Edgar Bronfman


Edgar Bronfman, Sohn einer kanadischen Schnapsbrennerfamilie, macht sich selbst zum mächtigsten Mann im Musikbusiness.

WAS SOLL SCHON AUS EINEM WERDEN, WENN MAN BEREITS ALS Kind die Welt zumeist aus der Vogelperspektive sieht? Der kleine Edgar jedenfalls lernte den Planeten zunächst aus 46.000 Fuß Höhe kennen, denn er begleitete oft seinen Vater, Edgar Bronfman Senior, auf dessen Geschäftsreisen im familieneigenen Gulfstream V-Jet. Diese Sicht der Dinge hat er sich bis heute erhalten. Ais er im Juli letzten Jahres dem Philips-Chef Cor Boonstra einen Scheck über 10,4 Milliarden Dollar auf den Schreibtisch legte und den Holländern den Musikkonzem PolyGram abkaufte, schüttelten die Börsen-Analysten in Amerika den Kopf und beschimpften Bronfman als „stargeilen Dilettanten“. Ein halbes Jahr später werden die Konturen des von ihm neu konglomerierten Entertainment-Konzerns „Universal Music Group“ immer deutlicher, und Bronfman grinst mit dem Lächeln des Alles-Überblickers: „Viele sagten, es fehle meiner Firma an einer klaren Richtung. Inzwischen lernen sie, wie sie die einzelnen Fixpunkte unserer Strategie richtig zu verbinden haben.“

Auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen – Bronfman hat einen klaren Plan. Lind dieser Plan hat ein einfaches Ziel: Seine Firma soll die Nummer 1 in der Entertainment-Welt des angehenden zweiten Jahrtausends nach Christi werden. Und damit meint er nicht nur die Größe, sondern auch die Qualität.

Was Bronfman (44) darunter versteht, liegt tief in den Wurzeln seiner Familie. Großvater Samuel Bronlman war 1889 aus dem zaristischen Rußland nach Kanada geflohen und gründete in Montreal die Whiskey-Brennerei „Distillers Corp.“. 1924 schluckte er den größten Konkurrenten „Joseph E. Seagram & Sons Of Waterloo“ und taufte sein Unternehmen in „Seagram“ um. Als Amerika in den 30er Jahren die Alkohol-Prohibitition erließ, wurde Kanada zum Eldorado der Trinker – und Samuel Bronfman zu ihrem wichtigsten Lieferanten.

Samuels Feuerwasser sprudelte in Strömen, vor allem in den firmeneigenen Etablissements in Manitoba. Immer, wenn Edgar darüber nachdenkt, was es heißt, nicht nur der Größte, sondern auch der Beste sein zu wollen, dreht er sich auf seinem Schreibtisch-Stuhl um und blickt auf das edle Öl-Portrait seines Großvaters Samuel.

Als Edgar 1989 von seinem Vater Edgar Bronfman Senior (im Nebenjob Präsident des Jüdischen Weltkongreß) die Familienfirma übernommen hatte, war Seagram auf einem Geschäftsfeld bereits die Nummer 1 auf der Welt – kein anderes Unternehmen brannte so viel Schnaps wie die Kanadier. Seagrams Imperium: die Whiskeys Chivas Regal, 7 Crown, Clenlivet, V.O., Crown Royal, dazti Absolut Vodka, Captain Morgan Rum, Seagram’s Gin, diverse Wein-Großvertriebe und Martell Cognac. Der Rest des Familienbesitzes bestand aus Millionen von Aktien, die zwar brav im Wert wuchsen, ansonsten aber still und langweilig in Safes lagerten. Genau dies war Edgar ein Dorn im Auge: „Ich hätte Seagram als stille, stetig wachsende Holding führen können. Aber ich wollte ein Unternehmer sein, der auch etwas unternimmt.“ Bronfmans erster Coup: Am 6. April 1995 verkaufte er die familieneigenen Aktien am Chemie-Multi „DuPont“ für satte 8,8 Milliarden Dollar.

Nur drei Tage später flog er nach Tokio ins Headquarter von „Matsushita“ und zückte sein Scheckbuch. Er schrieb die Zahl 5.700.000.000 auf einen Scheck und war somit Besitzer der amerikanischen Entertainment-Firma „MCA“, die die lapaner fünf Jahre zuvor für 6,6 Milliarden Dollar gekauft hatten. Zu MCA gehört das Hollywood-Studio „Universal Pictures“ samt Freizeitparks und TV-Station und die Plattenfirma „MCA“, deren Ruf in den Jahren der japanischen Herrschaft auf den Nullpunkt gesunken war und in der Branche nur noch „Music Cemetary of America“ (Musik-Friedhof Amerikas) gescholten wurde. Bronfman, seit seiner lugend ein begeisterter Musik-Fan, nannte „MCA“ in „Liniversal Music“ um, entließ das komplette Management und holte sich von „Atlantic Records“ den schillernden Doug Morris als Musik-Chef.

Bronfmans Erfolg als Film-Mogul entwickelte sich mit diversen Flops („Waterworld“, „Daylight“) zwar nur mäßig, doch in den Augen des Chefs lief alles nach Plan: „Für mich war MCA nur der erste Schritt“, verriet er dem LIS-Magazin „Fortune“. „Wir spielten als Entertainment-Firma nur in der zweiten Liga. Ich wollte aber in die erste Liga kommen.“ Der zweite Schritt folgte auf dem Fuß: Zwei Jahre nach der „MCA“-Übernahme füllte Bronfman erneut die Kriegskasse und verkaufte seinen Fernseh-Ableger „Universal TV“ für 1,2 Milliarden Dollar. Zunächst erwarb er für einen Spottpreis 50 Prozent des Libels „Interscope“, das für den bisherigen Besitzer „Time Warner“ wegen der nicht gerade familienkompatiblen Gangsta-Rap-Texte seiner Acts untragbar geworden war.

finde 1997 dann flog Bronfman nach London, um in der britischen Metropole mit dem „EMI“-Chef Sir Colin Southgate zu dinieren. Die „EMI“ war zu haben, doch Southgate pokerte den Preis zu hoch. Noch am gleichen Abend speiste Bronfman mit Cor Boonstra und dem damaligen „PolyGram“-Chef Alan Lew. Die Bosse waren sich schnell einig. Die Anwälte brauchten anschließend ein halbes Jahr, dann waren die Verträge in trockenen Tüchern: Seagram kauft PolyGram für 10,4 Milliarden Dollar.

In den Tagen, als der Deal unterschriftsreif wurde, ließ Bronfman so gut wie keinen Anruf in sein Büro durchstellen. Er war nervös. Es waren jedoch nicht die Milliarden, die auf dem Spiel standen, die ihm den Schlaf raubten. Auch die Bedenken der Familien-Patrone und Chairmen der Seagram-I lolding, Vater Edgar M. und Onkel Charles R. Bronfman, sorgten Edgar junior kaum. Grund des Nervenflattems: Celine Dions Single „To Love You More“ war erschienen, und Edgar fieberte den weltweiten Verkäufen entgegen. Schließlich hatte er selbst gemeinsam mit David Foster diesen Song komponiert. Die Single wurde ein Riesen-Hit (in Japan gar die bestverkaufte Single des Jahres). Wieder einmal hatte Edgar Bronfrnan sein Hobby erfolgreich mit dem Beruf verbinden können (1976 nahm Dione Warwick seinen Song „Whisper“ auf, die von ihm unter dem Pseudonym Sam Roman geschriebene Tiielmelodie zu dem Stallone-Streifen „Daylight“ wurde 1997 für den „Oscar“ nominiert).

Das ist auch der Grund, warum sich nach der Einverleibung der „PolyGram“ nur wenige der Top-Vertragskünstler von U2 über Elton lohn bis hin zu Marilyn Manson Sorgen über ihre Zukunft machen müssen. Auch Paul McCuinness, Manager von 112, atmete auf: „Ich muß sagen, daß ich ihn dann doch mochte, nachdem wir uns endlich persönlich getroffen hatten. Er ist zwar verdammt schüchtern, aber er ist auch ein echter Musik-Freak. Er wollte sein Leben lang ins Showgeschäft – und das ist eine definitiv gute Nachricht für uns.“

Eine weniger gute Nachricht ereilte etliche Mitarbeiter kurz nach der Fusion: Jährlich sollen 300 Millionen Dollar eingespart werden. Die Rotstifte sind gespitzt, die Köpfe rollen: In einer ersten Welle sollen weltweit 3.000 Mitarbeiter ihren Job verlieren. Allein bei der Zusammenlegung der Labels „Island“ und „Mercury“ sind 25 Millionen Dollar für Abfindungen fest verplant, weitere 18 Millionen für den Rausschmiß diverser Künstler. Schließlich bietet so eine Fusion die perfekte Ausrede, sich auf einen Schlag von allen unprofitablen Acts zu trennen – eine Chance, für die andere Firmenbosse selbst ihre Großmutter verkaufen würden.

Doch für Bronfman ist viel wichtiger, nun, da er der Größte ist, auch der Beste zu werden. Rock-Stars sind keine Whiskey-Marken, das weiß er. Andererseits hat sich gezeigt, daß auch das Musikgeschäft den ganz normalen Gesetzmäßigkeiten des globalisierten Spät-Kapitalismus unterworfen ist. Und die heißen: Weltweite Konzentration aufs Kerngeschäft und dabei immer an die Künstler denken: „Wenn wir unseren Künstlerstamm eindampfen und das Zielfernrohr auf Anstrengungen in den Bereichen Promotion, Marketing und A&R scharf stellen, arbeiten wir ökonomischer, und unseren Künstlern geht es besser. Und völlig klar ist: Je besser du arbeitest, desto mehr Künstler kommen in deinen Laden.“