Eagles
Die mexikanischen Yaqui-Indianer wissen es ganz genau: Lebewesen mit Zauberkräften, von ihnen Brujos genannt, können zwar durchaus in der Gestalt von Coyoten oder Raben auftreten, der größte Zauberer aber ist ein Adler. Ob sich nun die ersten US-Bürger bei derWahl ihres inzwischen arg zerfledderten Nationalsymbols in der Indianermythologie umgesehen haben, ist fraglich; gesichert ist aber immerhin, daß sich vier amerikanische Rockmusiker von den halluzinogenträchtigen Lehren der Yaquis inspirieren ließen, als sie sich den Namen „Eagles“ gaben. Mitte Mai tourt die Band zum erstenmal durch Deutschland— zu einem Zeitpunkt, da sie den kreativen Höhepunkt ihrer Karriere offenbar schon längst überschritten hat.
Mit einem sorgsam gepflegten Image als Großstadt-Desperados in geflickten Jeans und. einem eindrucksvollen Repertoire aus sanften Country-Balladen, bittersüßen Popsongs und melodischen Rock’n‘ Roll-Nummern eroberten sich die Eagles vor ziemlich genau fünf Jahren in wenigen Wochen ein Massenpublikum. Ihre Musik war mit akustischen oder elektrischen Instrumenten gleichermaßen perfekt in Szene gesetzt und schwebte auf einer Wolke von unerhört schönen mehrstimmigen Gesangssätzen — bis heute ein Qualitätsmerkmal des Eagles-Sounds. Die Gruppenmitglieder selbst sowie damals noch wenig bekannte Songschreiber wie Jackson Browne, David Blue und Jack Tempchin komponierten für die Band eine Fülle einprägsamer Songs, in denen Bilder von Outlaws, Cowboys, Hexen, Wüsten, Medizinmännern und Peyote beschworen und Rebellion, Paranoia, Einsamkeit und Fernweh besungen wurden. Die Eagles etablierten sich als amerikanische Band par excellence.
Musikalisch sind sie direkte Nachfolger von Crosby, Stills, Nash & Young. Allerdings haben sich die Eagles —anders als CSN&Y — immer als Gruppe präsentiert, in der alle vier Musiker eine gleichwertige Funktion innehaben. Glenn Frey und Don Henley tragen zwar den überwiegenden Teil der Solo-Gesangsparts, doch auch Bernie Leadon und Randy Meisner ( und später Joe Walsh) treten mindestens einmal als Leadsänger auf jeder Eagles-LP hervor, und alle vier (fünf) Eagles arbeiten als Songschreiber.
Noch heute werden die Eagles oft als Country-Rock-Band bezeichnet, eine Klassifizierung, die spätestens seit der dritten LP „On The Border“ nicht mehr zutreffend ist. Gleichwohl haben alle vier Ur-Mitglieder in Gruppen angefangen, die elektrifizierte Country Music machten.
Am stärksten in der Country-Tradition verwurzelt war Bernie Leadon, der 1957 nach San Diego kam, das Banjo unter dem einen Arm, und die akustische Gitarre unter dem anderen. Jahrelang spielte er Bluegrass Music, und gegen Ende der 60er Jahre schloß er sich Doug Dillard und Gene Clark an, auf deren Album „The Fantastic Expedition of Dillard & Clark“ er als Banjospieler, Gitarrist und Songschreiber mitmischte. In dieser Gruppe vertauschte er zum ersten Mal seine akustische Martin-Gitarre mit einer elektrischen Gibson und landete, nachdem ihm die musikalische Richtung von Dillard & Clark nicht mehr paßte, als Lead-Gitarrist in Linda Ronstadts Begleitband. Für ein halbes Jahr stieg er dann bei den Flying Burrito Brothers ein, die sich allerdings in einem fortgeschrittenen Auflösungsstadium befanden, so daß er schließlich Mitte 1971 zu Lovely Linda zurückkehrte.
Einen ganz ähnlichen musikalischen Background weist auch der Bassist Randy Meisner auf. Seine Gruppe The Poor zog 1968 auf der Suche nach Ruhm und Reichtum von Denver, Colorado, nach Los Angeles, wo sie weder das- eine noch das andere fand, und so schloß sich Meisner der ersten Poco-Formation an, mit der er „Pickin‘ Up The. Pieces “ einspielte. Die nächste Station war Rick Nelsons Stone Canyon Band, die er bereits wieder verlassen hatte, als sie mit „Garden Party“ den ersten großen Hit nach über zehn Jahren für das ehemalige „Teenage Idol“ in den US-Charts landen konnte. Ohne feste Verpflichtungen half er hin und wieder bei der schon erwähnten Miss Ronstadt aus. Auch Glenn Frey und Don Henley unterstützten während dieser Zeit (1971) Linda Ronstadt mit Stimmen, Gitarren und Schlagzeug. Der aus Detroit stammende Sänger und Gitarrist Glen Frey hatte zuvor einige Jahre lang mit John David Souther das akustische Folk-Duo Longbranch Pennywhistle gebildet, das 1968 ein kaum beachtetes Album für das kalifornische Arnos-Label aufgenommen hatte. Ein anderes Amos-Album konnte ebenfalls keine nennenswerte Publikumsresonanz hervorrufen: die LP der Gruppe Shiloh, in der der Texaner Don Henley Schlagzeug spielte. (John David Souther zählt heute übrigens ebenso wie Jackson Browne, der eine zeitlang gemeinsam mit Frey und Souther ein Haus in Kalifornien bewohnt hatte, zum engsten Freundeskreis der Eagles.) Glenn Frey, Randy Meisner, Bernie Leadon und Don Henley trafen sich also in der begleitband von Linda Ronstadt und fanden, daß sie sich als Begleitmusiker eigentlich unter Wert verkauften.
Als selbstständige Band mit dem Namen „Eagles“ beschlossen sie, den ganz großen Durchbruch zu bringen, und dieses Anliegen trugen sie Freys Manager David Geffen vor. Der stand gerade im Begriff, eine eigene Plattenfirma zu gründen, weil er nicht wußte, was er Besseres mit all dem Geld anfangen sollte, das ihm als Vertreter der geschäftlichen Interessen von CSN&Y in die Taschen geflossen war. Die Idee einer neuen Supergruppe gefiel ihm nicht schlecht. Also schickte Geffen die vier Eagles zunächst zum Üben in die Wüste (sprich „The Gallery“ in Aspen, Colorado, wo die Eagles einen Monat lang vier Sets pro Abend spielten, und die Zuschauer solange tanzten und soffen, bis sie unter den Tischen lagen) . Alsdann flogen sie für drei Wochen in die Olympic Studios nach London, wo sie unter der Regie des Rock-Produzenten Glyn Johns (Stones, Who, Faces u.a.) ihre erste LP aufnahmen.
Im Sommer 1972 wurden kurz nacheinander auf Geffens Asylum-Label die Single „Take It Easy“ und die LP „Eagles“ veröffentlicht, und die Adler hoben sofort ganz mächtig ab. Die Richtung stimmte. Noch zwei Singles wurden aus der LP ausgekoppelt, „Witchy Woman“ , und „Peaceful Easy Feeling“ , und beide konnten sich wie zuvor „Take It Easy“ lange Zeit in den oberen Regionen der US-Hitlisten halten.
Überraschenderweise konnten die Eagles den kommerziellen Höhenflug ihres Debütalbums mit der zweiten LP „Desperado“ nicht wiederholen. Waren dem Hitparaden — Publikum die Kompositionen vielleicht zu ambitioniert und die Arrangements zu ausgefeilt — in der Rock-Kritik jedenfalls wird „Desperado“ oft als Meisterwerk der Eagles bezeichnet. Ein clever konzipiertes Album, das in seinen ausnahmslos exzellenten Songs romantische Analogien zwischen Western-Outlaws und Rock’n‘ Roll-Stars als modernen Außenseitern der Gesellschaft zeichnet. ^^k uch das dritte Eagles-Album sollte in London entstehen, obwohl es bereits zu Differenzen mit Glyn Johns über die künftige Richtung der Gruppe gekommen war. Die Eagles wollten mehr Rock’n‘ Roll, Glyn Johns bestand auf Country. Zwei Titel nahmen die Eagles noch in London auf, „You Never Cry Like A Lover“ und „The Best Of My Love“, dann brachen sie endgültig ihre Arbeit in den Olympic Studios ab.
„Glyn Johns hielt uns für eine nette akustische Band, gut geeignet für Balladen, “ erklärte Don Henley damals. “ Er ließ den Rock’n’Roll einfach nicht durchkommen. Ich finde ja auch nicht, daß wir die totale Rock – Band sind, wir wollen bloß alles machen.“
Mit dem neuen Produzenten Bill Szymczyk und einem neuen Mitglied, dem Gitarristen Don Felder, haben die Eagles dann auch ihr am stärkstes vom Rhythm & Blues beeinflußtes Album aufgenommen, „On The Border “ — ungeschliffener, agressiver, und mit mehr Rock’n‘ Roll-Verve als die beiden Vorgänger. Das Verhätnis von wehmutsvollen Balladen mit zuckrigem Harmoniegesang zu kraftvollen Rocksongs ist auf keiner Eagles -LP ausgewogener.
„On The Border enthält mit „The Best Of My Love“ einen No.l-Hit der US-Charts, und die Adler flogen 1974 wieder ganz hoch. Sie hatten sich inzwischen von David Geffen getrennt und wurden nun von Irv Azoff betreut, der dafür sorgte, daß die Dollars für die Gruppe nur so rollten.
Allerdings machten sich auch Zerfallserscheinungen bemerkbar. Das ausgedehnte Tourneeprogramm, das die Eagles zur Promotion ihrer dritten LP absolvierten, zermürbte Bernie Leadon bis an den Rand des Zusammenbruchs und führte zu seinem Entschluß, nicht mehr öffentlich mit den Eagles aufzutreten. Und mit der Kreativität sah es auch nicht mehr so toll aus.
Die LP „One Of These Nights“, im Juni 1975 veröffentlicht, wurde zwar mit drei Hit – Singles („One Of these Nights“, „Lyin‘ Eyes und „Take It To The Limit“) kommerziell noch erfolgreicher als die Vorgänger, ist aber wesentlich uninspirierter und klischeehafter als diese. Einzig der Titelsong stellt einen Schritt auf musikalisches Neuland für die Band dar, der Rest ist ein Abklatsch bewährter Songmuster — so etwa „Lyin‘ Eyes“ , das bloß ein Remake von „Peaceful Easy Feeling“ und „Tequila Sunrise“ ist. Und so schlaffe Songs wie „Too Many Hands“ , „Visions“ oder gar „Journey To The Sorcerer“ hatte es bis dahin bei den Eagles nicht gegeben.
Die bei „One Of These Nights“ auszumachende Tendenz wird auf der jüngsten Eagles-LP „Hotel California“ noch ausgeprägter. Ein enormer Studio-Perfektionismus wird hier geboten, der jede Form von Spontaneität vermissen läßt, und der nur eine einzige Funktion hat: nämlich den Mangel der Songschreiber an neuen Ideen bombastisch zu kaschieren. „Hotel California“ ruft lediglich in Erinnerung, daß die Eagles unbestreitbar erklassige Musiker sind, die auf dieser LP allerdings ihre Qualitäten an reichlich schwache s Songmaterial vergeudet haben.
Bernie Leadon wirkt bei „Hotel California“ nicht mehr mit, er hat die Gruppe endgültig verlassen. Für ihn ist Joe Walsh als festes Mitglied in die Band aufgenommen worden. Walsh, früher Leadgitarrist, Sänger und Songschreiber der James Gang, hat bereits drei Solo-LP’s gemacht, und ist ein Mann mit einiger Reputation als gestandener Rock’n‘ Roller. Es war zu hoffen, daß er zusammen mit Don Felder den Eagles einen neuen Satz Donnerschwingen verpaßt, doch zunächst einmal wurde er (mindestens im Studio) eingezuckert, und seine Kompositionen für „Hotel California“ sind auch nicht gerade das Gelbe vom Ei.
Auf dem europäischen Kontinent waren die Eagles noch nie live zu hören. Wenn die musikalische Qualität ihrer Studioproduktion nachgelassen hat, so muß das nicht heißen, daß die Eagles nicht auch den neueren Songs auf der Bühne eine wirkungsvollere Dimension hinzufügen können. Und mindestens die Songs der ersten drei LP’s sind nun einmal allerbester kalifornischer Rock’n‘ Roll — mag der Adler heute lahmen , soviel er will.