DVD
Life In A Day
Rapid Eye Movies/Alive
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Ein Tag als abendfüllendes YouTube-Spektakel
Die Idee war grandios: Der Kamera und Computer besitzende Teil der Weltbevölkerung war aufgerufen, die persönlichen Erlebnisse eines bestimmten Tages festzuhalten, Regisseur Kevin Macdonald bastelte dann aus über 80 000 Uploads und 4 500 Stunden Rohmaterial aus 192 Ländern einen 90-minütigen Film. Das Ergebnis ist absolut sehenswert, und auch ohne gleich in seifiges One-World-Getue abzugleiten, lässt sich eines feststellen: Wir sind uns ähnlicher, als wir denken, wobei es keine große Rolle spielt, ob wir zum Frühstück Marmeladentoast oder ein frisch gefangenes Gürteltier servieren – wir waren eben gerade Pipi und haben jetzt Hunger. Romantisches hat Macdonald kompiliert, Tragisches, Lustiges, Schockierendes, auch erfrischend Belangloses, wobei die amerikanischen Beiträge offenbar dann doch bevorzugt behandelt wurden. Was bleibt, ist ein Kaleidoskop der Gegenwart, Scheitern inklusive: Da will ein Mann die Geburt seines Kindes filmen, fällt angesichts des Kaiserschnitts dann aber doch lieber in Ohnmacht.
Uwe Schleifenbaum
Let There Be Rock (Ultimate Rockstar Edition)
Warner Entertainment
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Kurz vor Bon Scotts Tod: AC/DC in Bestform
Ab dem 19. Februar 1980 teilte sich für AC/DC-Fans die Welt in ein Davor und Danach: Sänger Bon Scott war den Rock’n’Roll-Tod gestorben, wenige Monate später trat Nachfolger Brian Johnson seinen Dienst an. Die in eine metallene Dose verpackte „Ultimate Rockstar Edition“ des Konzertfilms „Let There Be Rock“, ergänzt um Gitarren-Plektron, Sammelkarten und 32-seitiges Buch, reißt wieder alte Wunden auf. Aufgezeichnet am 9. Dezember 1979 im Pavillon de Paris von einer 40-köpfigen Crew der Filmemacher Eric Dionysius und Eric Mistler, verdeutlicht der Mitschnitt, welch herber Verlust Scotts Ableben darstellte. AC/DC lieferten einen explosiven Repertoirequerschnitt durch ihre bisherigen sechs Studiowerke, der 1980 auf Videokassette erschien. Auch wenn das 4:3-Bildschirmformat mit Randbalken und eine bestenfalls gute Soundqualität nach heutigen Standards dürftig wirken: Klassiker wie „Hell Ain’t A Bad Place To Be“, „The Jack“, „Whole Lotta Rosie“ und der knapp 13-minütige Marathon „Bad Boy Boogie“ entschädigen für alles. Als Sahnehäubchen gibt’s Garderobenschabernack: Bon Scotts backstage geäußerte Erkenntnis, dass er momentan zu viel Alk trinke, blieb, wie wir wissen, leider ohne echte Konsequenzen.
Mike Köhler
Hotel Chelsea
Koch Media
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Abel Ferraras Hommage an New Yorks legendäre Künstlerbleibe
Das Hotel Chelsea war jahrzehntelang die perfekte Herberge für Maler und Literaten, für Dandies, Paranoiker, Musiker und Bohemiens. Wobei die Betonung leider auf „war“ liegen muss, denn seit eine geschäftstüchtige Investorengruppe den Laden übernommen hat, ist es vorbei mit dem elegant schäbigen Charme des Hauses und seinen illustren Dauergästen. Abel Ferrara lässt die Geschichte Revue passieren, indem er Zeitzeugen interviewt, im Archiv gekramt hat und legendäre Momente – Stichwort: Sid und Nancy – einfach nachspielen lässt. Was sich da auftut, ist ein Popkulturmuseum des vergangenen Jahrhunderts, bewohnt von Marilyn Monroe und Andy Warhol, von Charles Bukowski und William Burroughs, von Janis Joplin und Stanley Kubrick, oder besser gesagt: von ihren Geistern. Ein durch und durch magischer Ort, in dem pralles Leben und jäher Tod, exzessive Party und stilles Leid, große Kunst und rasanter Absturz zum Alltag gehörten. Wobei Letzteres durchaus wörtlich zu nehmen ist, denn „manche kamen nur“, so die lakonische Feststellung, „um sich aus dem Fenster zu stürzen“.
Uwe Schleifenbaum
Wer wenn nicht wir
Senator Film
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Wie alles begann: der Baader-Ensslin-Komplex
Uli Edels Film „Der Baader-Meinhof Komplex“ wurde mitunter vorgeworfen, der Ikonisierung der RAF-Granden mit allzu vielen Stars und schönen Bildern weiteren Vorschub zu leisten – ob zu recht, darüber kann man streiten. Andres Veiel beleuchtet mit „Wer wenn nicht wir“ einen Aspekt der RAF-Vorgeschichte, und zwar weit weniger grell: Wie die begabte Pfarrerstochter Gudrun Ensslin, eine enttäuschte Idealistin mit Hang zum Masochismus, zur Gewalttäterin mutiert, inszeniert Veiel eher als psychologisches Kammerspiel. Ensslin ist, genau wie ihr Teilzeitverlobter Bernward Vesper, mehr tragische Gestalt denn selbstlose Kämpfernatur, zutiefst leidend an der Schuld der Väter, an ihrem Verschweigen und Verdrängen. Wie sie dann als Geist, der das Gute will und das Böse schafft mit heiligem Ernst und urdeutschem Größenwahn zur Tat schreitet, ist klassischer Tragödienstoff, und in selbiger endet auch alles, die hübsch verkorkste Liebesgeschichte inklusive. Und einen Schurken gibt es natürlich auch: den Desperado Andreas Baader. Ein wenig plakativ wird es nur, wenn dessen erotischer Beziehung zu Gudrun Ensslin allzu viel Bedeutung beigemessen wird. Denn der deutsche Terror wurde definitiv nicht im Bett gezeugt.
Uwe Schleifenbaum