DVD


DVD des Monats

Hotdogs, Popcorn und politische Botschaften

U2 360° At The Rose Bowl

Mercury/Universal

***1/2*

Gestern noch frei im Internet – jetzt in vier verschiedenen Verkaufsformaten: Die aktuelle High-Tech-Rockshow von Bono & Co zeigt auch die Widersprüche der Band.

Es ist die größte Bühne der Rockgeschichte, die meisten Trucks, der schwierigste Aufbau, die spektakulärste Show, die beste Sicht für ihre Besucher. Aber eben auch der meiste Profit, wegen der mit Abstand heftigsten Ticketpreise aller Zeiten. Dinge, die nur in der Welt von U2 zusammenpassen. Dinge, die vermutlich nur die U2-Fans akzeptieren. Eine Band, die ein einziger Widerspruch ist. Sie propagiert technischen Größenwahn, um wiederum publikumsnah und intim zu sein. Sie würdigt ihre besten Jahre (vor 1987) mit gerade Mal zwei Stücken in der Show, während die schwachen letzten Alben fast das gesamte Set dominieren. Sie reduziert ihre politischen Botschaften auf die birmanische Oppositionelle Aung San Suu Kyi und den gegen die Apartheid in Südafrika kämpfenden Erzbischof Desmond Tutu, um ein Konzert und keine Predigt abzuliefern, und sie hat bei alledem – das verrät das Lächeln von Drummer Larry Mullen Jr. und Bassist Adam Clayton – sogar noch richtig Spaß.

Doch auch mit einem aufwendigen Aufbau ist und bleibt das Rose Bowl in Pasadena ein typisches Football-Stadion mit 8-Dollar-Hotdogs, salzigem Popcorn und der Anweisung, auf seinen Plätzen sitzen zu bleiben, um die Sicht der übrigen Konzertbesucher nicht zu beeinträchtigen. Vor allem birgt es aber Platz für nicht weniger als wahnsinnige 97.000 Menschen, denen aber selbst eine rundum offene Bühne, ein 360-Grad-Laufsteg, Projektionsflächen und ein Meer aus bunten Lichtern nicht mehr als ein abstraktes Pop-Spektakel ermöglichen kann. Insofern sollten Bono & Co. vielleicht weniger Energie darauf verwenden, das einst als Gratis-Internet-Stream verfügbare Großspekatkel als Standard-Super-King-, Blu-Ray-, Limited-Super-Deluxe-Digipak- und Limited-Super-Deluxe-Box-Edition zu vermarkten, als der wichtigen Frage nachzugehen, warum noch Tickets für die drei Deutschland-Shows im August erhältlich sind. Die wären nämlich vor ein paar Jahren noch binnen weniger Minuten ausverkauft gewesen. Marcel Anders

www.U2.com

Stones In Exile

Eagle Vision

****1/2*

Mondän und steuerflüchtig: Die Rolling Stones in Südfrankreich

Die Rolling Stones, so wird gemutmaßt, sind mittlerweile nur noch eine Projektionsfläche für mittelalte Menschen, die ihrer Jugend nachtrauern und von den popkulturellen Errungenschaften nach 1975 keinen blassen Schimmer haben. Ein Verdikt, das beträchtlich ins Wanken gerät, wenn man hört und sieht, mit welcher Begeisterung der nostalgischen Verbrämung unverdächtige Zeitgenossen wie Jack White, Will.I.Am oder auch Caleb Followill von den Kings Of Leon die Stones der frühen Neunziger loben. Wobei es in Stephen Kijaks Film nicht nur um das 72er-Doppelalbum EXILE ON MAIN ST. geht, sondern quasi um das Gesamtkunstwerk: Fünf Engländer auf der Steuerflucht in Südfrankreich, die in einem dekadenten Landhaus samt Familie und allerlei Begleitpersonal einen Sommer lang mondän feiern und nebenbei im Keller ein Album aufnehmen. Sie konnten es sich leisten, Publikum und Plattenfirma den dritten Finger zu zeigen, und das taten sie dann auch. Ein riskanter, subversiver Akt also, der jedoch ganz dem damaligen Rock’n’Roll-Stil entsprach. Kijaks kluge Zusammenstellung aus Archivmaterial, Augenzeugenberichten, alten und aktuellen Interviews – unter anderem mit den Stones selbst, Martin Scorsese und den oben erwähnten Herrschaften – zeichnet ein rundes Bild jener seltsamen Ära.

Uwe Schleifenbaum

www.eagle-rock.com

The Wigan Casino

Voiceprint

****

Ein Kapitel in der Popgeschichte: Der Wallfahrtsort des Northern Soul

Clubs und Diskotheken in London sind seit Jahrzehnten renommiert, doch auch außerhalb der Metropole entwickelten sich Kultstätten. In Wigan, Lancashire, lag ein Ort, der von 1973 bis 1981 junge Leute aus ganz England anzog – wie einst die legendären Soul-Allnighter im Seebad Brighton inklusive Prügeleien zwischen Mods und Teds. Regisseur Tony Palmer machte sich unsterblich mit der mehrteiligen Pop-Analyse ALL YOU NEED IS LOVE, drehte er aber auch die Dokumentation THE WIGAN CASINO. Und zwar 1977, also in dem Jahr, als Punk, Disco und Queen Elizabeths 25. Krönungsjubiläum kollidierten. Mit zahllosen Interviews und Impressionen entwarf Palmer ein Porträt über Menschen, die in nordenglischer Trostlosigkeit mehr als nur Vergnügen suchten. Von Freitagnacht bis Sonntagmorgen tanzten im Wigan Casino amphetamingesättigte Selbstdarsteller zu obskuren Soul-Scheiben, erfanden neue Tanzstile und schrieben Pop-Geschichte. Nach Verstößen gegen das Drogengesetz und einem Brand 1981 wurde die Geburtsstätte des Northern Soul geschlossen. Heute ist sie ein Einkaufscenter.

Mike Köhler

www.wigan-casino.co.uk

Blank Generation

MVD Visual

***

Richard Hell trifft auf Andy Warhol, inszeniert von Fassbinders Muse

Er gilt als sagenumwobene Figur: Ulli Lommel. In den Mittsechzigern aufstrebender Kino- und TV-Schauspieler konventioneller Machart, der wenig später zur Muse von Rainer Werner Fassbinder mutierte und in dessen umfangreichem Werk mitwirkte. Weitere Meriten erwarb er sich als Regisseur zwischen Kommerz und Experiment. Im Zentrum seines Splatter- und Erotik-Oeuvres steht das 1980 gedrehte Roadmovie BLANK GENERATION um das desolate Leben des Punkrockers Billy. Den spielt ein authentischer Vertreter der damals anrollenden Nihilismus-Welle: Richard Hell. Als ehemaliges Mitglied von Johnny Thunders Heartbreakers und Television und als Boss der eigenen Band The Voidoids war er prädestiniert, in dem wirren und handlungsarmen Film durch New Yorks Lower Eastside zu streunen. Allerdings stahl die Schauspielerin Carol Bouquet in der Rolle von Billys Freundin, dem laut Malcolm McLaren „einzig wahren Rollenmodell eines Punk“ oft die Schau. Gerettet wird der Film vor allem durch die Auftritte von The Voidoids mit Mark Bell, dem späteren Marky Ramone, am Schlagzeug und Lou-Reed-Gefolgsmann Robert Quine an der Gitarre. Ebenfalls sehenswert: die Einblicke in den Backstagebereich des legendären Clubs CBGB und der schlicht famose Gastauftritt von Andy Warhol.

Mike Köhler

www.satt.org/musik/10_04_blank.html

Rufus Wainwright

Prima Donna – The Story

Of An Opera

Decca/Universal

**1/2*

Verkappte Filmbiographie

Ursprünglich sollte es eine BBC-Doku werden, die die Entstehungsgeschichte von Rufus‘ erster Oper PRIMA DONNA erzählt. Doch es wurde zur ausführlichen Biografie. Sein Leben allein scheint den Schlüssel zu liefern, für den Sprung von der Pop- in die Klassik-Welt. Seine Leidenschaft reicht zurück bis in die Kindheit, als er Zuhause „Tosca“ aufführte – während andere Kinder Baseball spielten. Nur: Seine Begeisterung für die Callas und Beniamino Gigli gerät zur Nebensache. Stattdessen wird dem Zuschauer suggeriert, die Scheidung seiner Eltern und das Leben mit Mutter und Schwester hätten Rufus Interesse an Männern gestärkt. Das ist ähnlich profan wie die Analyse seiner aktuellen Beziehung oder das Trauma seiner Tage in L.A. („Booze, drugs, sex – I did what it takes to progress“). Dagegen treten Aspekte wie Vorbehalte klassischer Musiker gegen den Erstling des Quereinsteigers zu sehr in den Hintergrund. Aufgesetzter, banaler Humbug. Kein Wunder, dass die BBC dieses Werk abgelehnt hat. Es hat sein Thema schlichtweg verfehlt.

Marcel Anders

www.rufuswainwright.com