Düsen, Düsen, Düsen, Düsen im Sauseschritt
Wider den "Unterbiss-Rock : Den langen Weg vom Gabelstapler auf den Rock-Olymp haben Jet für sich etwas abkürzen können. Mit im Spiel: Sex (o.k.). Drogen (check). Und die Frisur von Ron Wood
Wieder ein Lied im Eimer, bevor es die Welt je gehört hat. „Verdammt, jetzt hab ich dieses Riff vergessen, das ich heute früh beim Aufwachen im Kopf hatte“ Cameron „Cam“Muncey haut sich auf den Schenkel, ärgert sich aber nicht wirklich. Dafür hat der 24-jährige Schlaks mit dem Strahlenden Lächeln ein zu sonniges Gemüt. Er hätte es sich eben gleich notieren sollen. „Ich kann ja keine Noten schreiben.“ Dann vielleicht ein Diktiergerat? „Ja „, grinst Muncey, „ich sollte mir eines unters Kopfkissen legen. Als ich noch im Krankenhaus gearbeitet habe, ist mir mal mitten in der Arbeit eine Melodie eingefallen. Da hab ich sie mir von einem Münztelefon im Flur zu Hause auf den Anrufbeantworter gesungen. Aber so leise, wegen der ganzen Leute um mich rum, dass ich es daheim kaum identifizieren konnte.“Vor etwas mehr als eineinhalb Jahren arbeitete Muncey noch als Pfleger in einer Klinik in Melbourne, sein Freund Nie Cester, ebenfalls 24, der sich jetzt neben ihm auf einer Couch im Backstage des Münchener Clubs Metropolis fläzt, war Gabelstaplerfahrer mit bereits sechsjähriger Berufspraxis. Genau so lange spielten sie schon zusammen in einer Band. Ein paar Monate, nachdem sie im Herbst 2002 ihre Brotjobs an den Nagel gehängt hatten, arbeiteten Jet in Los Angeles mit einem Erstligaproduzenten an ihrem Debüt-Album und rockten mal eben als Support der Rolling Stones 20.oooer-Arenen. Ein Jahr später sind über eine Million Exemplare von GET BORN verkauft und Jet als eine der wenigen Bands des Garagen/Retrorock-Komplexes, der man eine gToße Zukunft zutrauen würde, schwer im Aufwind. Wie hat sich das alles so prächtig entwickelt? Ein wenig Wühlen in Erinnerungen bringt die Antwort an den Tag: durch Sex und Drogen (na gut, und tolle Songs, Vodafone und den iPod). Aber der Reihe nach.
Nie Cester bekam seine erste Gitarre im Alter von zwölf Jahren. Seine pubertären Rockstarträume projizierte er aber nicht etwa auf Kurt Cobain, der gerade mit Nirvana die Rockwelt umkrempelte: Er wollte Jimi Hendrix sein. Nie und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Chris waren mit den alten Rockplatten – Kinks, Beatles, Stones, Faces, Hendrix – ihres Vaters groß geworden, auch Cam Muncey nennt Hendrix als sein Idol. Der Alternative Rock der 90er sagte ihnen wenig, „nevermjnd war mir immer zu glatt“, sagt Muncey, „rlsach war okay. Und Pearl jam gingen anfangs ja auch, aber das wurde dann doch schnell recht schlimm. Irgendwann haben alle so gesungen wie Eddie Vedder.“ „Unterbiss-Rock“ nennen Muncey und Cester die Musik von Nickelback & Co. „Man muss den Unterkiefer beim Singen nach vorn schieben, um dieses pathetische lammern hinzukriegen“, lacht Muncey.
Die Bands des Britpop-Booms, allen voran Oasis und Supergrass, taugten schon eher als Inspiration für die frisch gegründete Band der mittlerweile 16-jährigen Freunde. „An unserer Schule drehte sich alles nur um Sport“, erzählt Muncey den immer wieder schönen Klassiker von der Rache derNerds, „wir waren die Dropouts, die Deppen. Und plötzlich hatten wir eine Band. Dann gab es dieses Schulfest und wir spielten und dieser riesige Rugby-Typ, einer der besonders ätzenden, stieg zu uns rauf und wanzte sich ran. Und wir so: „Verpiss dich von dieser Bühne, Mann!‘ Haha!“
Nach der Schulzeit wartete ein droger Arbeitsalltag auf die Jungs, die das einzige Richtige taten und nebenher ihre Band weiter verfolgten. Jet, nun bald mit festem Line-Up – mit Nies Bruder Chris an den Drums und Lehramts-Student Mark Wilson am Bass -, versuchten ihr Glück in Melbourne im berüchtigten „Pub-Circuit“, der Ochsentour durch die Pubs, durch die sich einst schon AC/DC malochten. Dass es fürwahr a long way to the top sein kann, if you wanna Rock’n’Roll, wurde den Grünschnäbeln früh klar. „Wir bekamen nur dieschlechstesten Abende, Montage, wenn kein Schwein da war“, erinnert sich Cester. „Wir spielten neben Covers auch eigene Songs, aber nicht zu viele am Stück, weil man so noch die letzten Leute vergraulte.“ Die Bezahlung war lausig, wenn überhaupt vorhanden. „Da war ’s zum Beispiel so“, erzählt Muncey, „dass derWirt uns drei Glas Bier als Gage hinstellte: die durften wir uns zu viert teilen.“ Ah sich keine Besserung abzeichnete, zogen sie die Notbremse. Cester: „Es hatte keinen Sinn. Wir brachen das ab und beschlossen: Wir müssen besserwerden.“ An die Stelle der Methode „Sprung ins kalte Wasser und sehen, was passiert“ traten konzentrierte Proben – in einem Lagerraum der Firma, für die Nie tagsüber Stapler und Chris Lkw fuhr – und Feilen am Songwriting, für das sie aus dem Fundus des Rock’n’roll schöpften, den man ihnen in die Wiege gelegt hatte. „Irgendwann waren wir so gut, dass wir zu den Typen in den Pubs sagen konnten: Den Montag kannst du dir an den Hut stecken, wirwollen den Donnerstag.“
Ende 2001 hatten sich Jet den Rang einer kleinen lokalen Berühmheit in Melbourne erspielt, einen entscheidenden Impuls aber gab die Bekanntschaft mit Dave Powell, einem legendären „Mover and Shaker“ der Szene. Powell besorgte das Booking im angesehenen Pub Duke Of Windsor und horchte auf, als Jet dort spielten. „Wir konnten nicht fassen, dass er sich tatsächlich für uns interessierte“, erinnert sich Muncey. „Ich seh ihn noch vor mir, wie er auf uns zukam, mit diesem leicht irren Blick.“ Es war klar: Diesen Mann mussten Jet für sich gewinnen. „Es war bekannt, dass Dave gern mal ein Naschen Koks nimmt“, sagt Cester, „also haben wir ihn nach einem Gig auf eine Line eingeladen. Von dem Tag an war er unser bester Freund! Haha!“ Powell wurde Jets Manager und begann, ausgestattet mit Connections aus zwei Jahrzehnten im Geschäft, von seinem „Büro“ im Lager des Duke Of Windsor aus („ein PC zwischen den leeren Bierfässern „) die Geschäfte seiner Schützlinge voranzutreiben.
Seit dem Aufstieg der australischen Landsmänner The Vines zur „The-Band“-Sensation im Frühsommer 2002 stand das Duke Of Windsor als Wohnzimmer einer aufblühenden Melbourner Rockszene unter verschärfter Beobachtung der Musikpresse und bald auch der A8tR-Scouts der Plattenfirmen. „Da hing dann schon immer ein Typ vom NMEab, der auch bald die erste Konzertstory über uns scftnei.“Internationale Erfahrung konnte langsam nicht mehr schaden, und bald stieß kein dünnerer Fisch als die Agentur Winterman & Goldstein, das Management der Vines, zum Team Jet/Powell. „Und weißt du noch, wie diese Connection zustande kam?“, fragt Nie Cester jetzt Muncey. „Mir fällt das gerade wieder ein: Erinnerst du dich an dieses Mädchen, die an dem einen Abend mal im Windsor war? Sam hieß sie. Ich bin mit ihr an dem Abend noch im Bett gelandet. Und später kam durch sie-über irgendeinen Bekannten oder Cousin von ihr – der Kontakt zu Winterman zustande. Haha! Wenn ich nicht mit diesem Mädchen geschlafen hätte, säßen wir nicht hier.“ Drogen und Sex also. Da haben wir’s. „Dreamtime nennt Nie Cester in Anlehnung an das Wort der australischen Aborigines für die mythische Zeit der Schöpfung der Welt rückblickend die zweite Jahreshälfte 2002, als Jet, die mittlerweile eine E.P. veröffentlicht hatten, von Plattenfirmen umworben wurden, bis ein regelrechter Bieterkampf um sie entbrannte. „Das war eigentlich die beste Zeit, diese Zeit des Übergangs. Wir hatten unglaublichen Spaß. Wir waren alle unsere Jobs los, in denen wir so lange festgesteckt waren, und hatten null Kohle, aber das war okay. Wir hingen im Duke OfWindsor ab, tranken Bier und planten undließen unszum Essen ausfuhren von alldiesen Leuten, die plötzlich was von uns wollten. Irgendwann war uns allen klar, dass es was werden würde, obwohl wir noch nichts in der Hand hatten. Wie wenn man weiß, dass man in zwei Monaten im Lottogewinnen wird.“
Mit der Unterzeichnung eines Plattenvertrages ließ man sich vorerst Zeit, ein Termin für die Aufnahmen zum Debütalbum mit dem Produzenten Dave Sardy (Marilyn Manson, Dandy Warhols, System Of A Down) wurde für Anfang 2003 in Los Angeles angesetzt. Kurz bevor es nach Kalifornien losging, kam Dave Powell eines Nachmittags mit Neuigkeiten aus seinem Bierfässerbüro: Er habe gerade einen Anruf vom Management der Rolling Stones erhalten – ob Jet denn Lust hätten, im Vorprogramm der Australien-Shows der „40 Licks“-Tour zu spielen? „Wir dachten zuerst natürlich, der verarscht uns „, sagt Nie Cester. Die sechs Konzerte mit ihren alten Helden waren für die vier Stones-Fans (Cester ist dazu langjähriger Ronnie-Wood-weil-früher-bei-den-Faces-Verehrer) eine weitgehend surreale Angelegenheit. „Hast du mal in einer leeren Riesenarena gestanden? Der Anblick ist schon seltsam genug.Und dann stehen da die Stones vor einem und machen Soundcheck. Und ich stehe da und starre sie an und Ronnie Wood guckt zu mir rüber und grinst und winkt mir so kumpelhaftzu. Oh, ähja. Hallo. Hallo Ronnie!“
Los Angeles und das Ende der „Dreamtime‘ verlang ten Jet eine gewisse Änderung ihrer Lebensgewohnheiten ab. „Wir waren immernoch in unserem Party-Mode“, erzählt Muncey, „undliefen bei den ersten Sessions auch ziemlich angeschlagen ein. Dave (Sardy) nahm uns zur Seite und fragte uns: Wollt ihr eine gute Platte oder eine Scheißplatte machen ? Falls ersteres, wäre es jetzt Zeit, dass ihr euch ein bisschen zusammenreißt.“ Zwei Monate, unterbrochen von den Stones-Gigs, arbeiteten Jet an dem Album. „Und wenn wir arbeiten müssen“, versichert Nie Cester, „dann können wir sehr diszipliniert sein. Dann können wir auch mit Billy Preston arbeiten. Haha‘.“Ver legendäre Pianist, der schon mit den Beatles spielte, istauf mehreren Songs von get born zu hören, was Jet erklärtermaßen mehr bedeutet als die Tour mit den Stones. “ Uns war klar, dass wir viele Keyboard-Sachen auf dem Album wollten „, erzählt Cester. „Ich hatte diesen einen Song und erklärte Dave, es wäre cool, darauf einen E-Piano-Soundwievon Billy Preston aufLET IT BEzu haben. Und er meintenur: Gut, dannfragen wir doch einfach Preston selber. Drei Tage später Stander im Studio. Das ist eben LA.“ Ansonsten wurde man nicht besonders warm mit der „Scheißstadt“ (Cester), wo hinter jeder Ecke, an jedem Tresen ein Wichtigheimer Geschäftskontakte für „Projekte“ knüpfen will. „Wir haben dieVisitenkarten gesammelt“, lacht Muncey, „und später zu Joint-Filtern verarbeitet. So: Wen rauchen wir heute? Steve von derWerbeagentur? Roll ihn ein!'“Wenn das Heimweh zu sehr drückte, drehten /et eine Runde im Auto, mit AC/DC auf voller Lautstärke. „AC/DC haben für australische Bands eine spezielle Bedeutung“, erklärt Cam Muncey, „so in der Art: Das sind unsere Jungs, die haben ’s geschafft und die Welt erobert. Da kamen wir uns dann vor wieso eine Gang vonAussie-Outlaws. Wir gegen Los Angeles!“
Seit get born fertig ist, waren Jet fast ununterbrochen in der Weltgeschichte unterwegs. Trotzdem – und obwohl ihnen ein Ruf als trinkund feierfreudige Tourgeselischaft vorauseilt – wirken Cester und Muncey an diesem Nachmittag Ende Februar frisch und drahtig, verglichen etwa mit den Kollegen The Darkness, die gerade ähnlich durch den Tour/Promo-Fleischwolf gedreht werden und beim Gespräch vor drei Tagen mitgenommen aussahen. „Vor allem wohl Ed, was?“, lacht Cester und lobt die Fähigkeit des Darkness-Drummers, sich auch dann noch einen Wodka reinzukippen, wenn alles zu spät ist. Jet sind nicht die Typen, die sich zu sehr ihren Kopfzerbrechen. Verheizt werden bis zum psychischen Meltdown wie die Kollegen The Vines? Darüber machen sie sich keine Sorgen („dieVines waren von vornherein etwas labiler, vor allem Craig“, sagt Cester), genauso wenig haben sie ein ethisches Problem damit, dass sie den Durchbruch ihrer Single „Are You Gonna Be My Girl“ deren Einsatz in Vodafone- und iPod-Werbespots verdanken. Sie haben so weit wie nötig ein Auge auf die Business-Seite „wir werden auf keinen Fall die Trottelband sein, die sich vor lauter Party-Hurra über den Tisch ziehen lässt“, sagt Muncey – und achten ansonsten darauf, die Bodenhaftung nicht zu verlieren: „Man darf das eben nicht allesfür bare Münze nehmen, wenn dir alle auf die Schulter hauen und dir erzählen, du seist der Größte.“
Jet Stehen mitten im Leben, da braucht auch keiner Kinderkram wie die vom NME gepushte „Fehde“ mit den Strokes. Albert Hammond Jr. hatte in einem Interview geäußert, Bands wie Jet verleideten ihm die Lust an der Musik. „Was weiß ich „, winkt Cam Muncey ab, „klar zuckt man zusammen, wenn man sowas liest. Aber als wir am ersten Tag beim Big Day Out Festival nach unserem Gig von der Bühne kamen, war das erste was ich sah, Julian Casablancas, der mir die Hand entgegenstreckte. Die Jungs sind auf uns zugekommen und haben sich entschuldigt, es war ihnen unangenehm, dass das so blöd rübergekommen war. Am Ende waren wir uns einig, dass die Presse an allem Schuld ist. Haha!“
Jetzt sind auch die Kollegen dazugestoßen. Der hünenhafte Mark Wilson sieht recht fit dafür aus, dass er gestern Abend angeblich Wodka mit Zigarettenstummeln drin geschluckt hat. Chris Cesterist als Bambino gleichtzeitig der Gesichtsälteste in der Band – erst als er bei der Schneeballschlacht, die jetzt draußen vor dem Metropolis entbrennt, in sein Lächeln ausbricht, sieht man ihm seine Jugend an. „Deine Frisur sieht heute irgendwie komisch aus“, sagt Muncey zu Nie Cester, „wie Mädchenschamhaare. “ Mädchenschamhaare? „Du weißt doch, wie die so in der Mitte zusammenlaufen, wiezu so einem kleinen Iro.“-„Du meinst, wie die Frisur von Ronnie Wood?“ fragt Cester. Cam Muncey biegt sich: „Oh Gott! Stell dir das vor! Eine Frau mit der Frisur von Ron Wood zwischen den Beinen!“ Das wäre, bei aller Liebe, dann doch zuviel für Jet.