Dua Lipa: Selbstbewusst und ungestört – Treffen mit einem kontrollierten Superstar
ME-Autorin Laura Ewert traf sich mit Dua Lipa zum Interview, um herauszufinden, was man sieht, wenn man hinter den Insta-Filter der Popsängerin schaut.
Was sieht man, wenn man hinter den Insta-Filter schaut? Was erfährt man, wenn man den Popstar Dua Lipa trifft? Wenig über sie, mehr über die Welt.
Lange Zeit schien es, als sei Taylor Swift der uninteressanteste Popstar der Welt. Eine inkonsistent erzählte Figur: Irgendwas zwischen Countrykonservativ und Mega-Feministin mit Katzenfimmel, die Lieder über ihre Ex-Freunde singt. Überzeichnet und merkwürdig nichtssagend gleichzeitig. Wie ein Wattebausch, der immer zu viel Farbe aufnimmt, sodass auf ihm nie ein Bild gemalt werden kann. Eine stringentere Erzählung begann, als Kanye West 2009 auf der Preisverleihung verkündete, die schwarze Künstlerin Beyoncé habe den MTV Video Music Award für das beste Video eher verdient als Swift. Da stand dann plötzlich Rassismus gegen Sexismus und da kann man ja erst mal eine Weile drauf rumdenken. Es war ein guter Pop-Moment.
Pop, das ist die große Inszenierung. Die gut komponierte Geschichte. Der Künstler und seine wechselnden Identitäten. Eine Leinwand für die große parallele Erzählung zum Weltgeschehen. Im besten Falle zumindest. Also überraschte es nicht besonders als bekannt wurde, dass der weitere Streit zwischen West und Swift, insbesondere um seine Textzeile, er werde es in Zukunft sicher mal schaffen, Taylor ins Bett zu kriegen, und die Empörung der Künstlerin darüber, vorher zwischen den beteiligten Protagonisten abgesprochen worden war.
Ein Blatt, das nicht beschrieben wird
Besser eine gut erfundene Geschichte als keine. Und deswegen muss das Taylor-Swift-Beispiel hier unbedingt – und zwar positiv – gleich am Anfang erzählt werden, denn für den Popstar Dua Lipa hat sich keiner solche Absprachen ausgedacht. Keine Pop-Momente, die etwas über die Welt erzählen. Und das ist zunächst etwas schade, aber auch interessant, denn Dua Lipa ist trotzdem ein Superstar geworden. Mit purer Popmusik und tollem Lächeln. Sie singt über Liebe und Trennungen und Fremdgehen und Körper und Verlangen. Zu gutgelauntem Dance-Pop. Damit ist sie der Gegenentwurf zu derzeit vielen Künstlerinnen, die ihren Körper in den Ring werfen, um für Body-Positivity zu singen, wegen ihrer Herkunft den Ungehörten eine Stimme geben oder mit Ansprachen über Mental Health traurige Teenager abholen wollen.
Dass Dua Lipa so etwas machen würde, hört man eher nicht. Das macht die 24-Jährige zu Swifts Nachfolgerin – zumindest für diejenigen, die Popkultur als etwas Zeitgeistiges begreifen, die Justin-Bieber-Dokus küchenpsychologisch betrachten und Super-Bowl-Halftime- Shows schauen wie eine Operninszenierung. Die können kein Lied von Dua Lipa pfeifen. Für sie bleibt die Sängerin ein Blatt, das nicht beschrieben wird.
Im Kosovo ist sie seit Langem ein Star
Dua Lipa – ja, sie heißt wirklich so – ist eine Frau, deren Eltern aus Pristina kommen, die in London lebt und geboren wurde und mit 15 ihre Eltern verließ, nachdem sie mit ihr zurück in den Kosovo gezogen waren. Mit fünf hatte sie ihren ersten Song geschrieben – darüber, wie hübsch ihre Mutter ist, und dass Dua später ihre hübschen Kleider tragen möchte. Es gibt ein Video, in dem die wohl 12-jährige Dua ein Lied von Alicia Keys bei einer Schulaufführung singt. Sie wollte unbedingt Sängerin werden, und so ging sie alleine zurück nach London.
Im Kosovo ist sie seit Langem ein Star, nicht erst seitdem sie Bürgermeister und Präsidenten trifft, die Unabhängigkeit des Landes auf Insta feiert oder das seit 2018 jährlich in Pristina stattfindende Charity-Pop-Festival mit ihrem Vater veranstaltet. Dua Lipas Plan mit der Musikkarriere ging jedenfalls auf und der Erfolg kam schnell und plötzlich. Im März 2017 stand sie mit drei Singles gleichzeitig in den Top 15 der britischen Charts. Ihr Song „New Rules“ hat mehr als zwei Milliarden Aufrufe bei YouTube und 1,3 Milliarden Streams auf Spotify – mehr als jede andere Künstlerin mit einem Solosong. Im vergangenen Jahr gewann sie zwei Grammys.
Elektro-Pop mit zum Vor-dem-Spiegel-Mitsingen-Refrains
Ihr Erfolg hat auch damit zu tun, dass sie ihre Arme genremäßig sehr weit und effektiv öffnet: Sie hat mit dem EDM-Produzenten Martin Garrix zusammengearbeitet und mit Calvin Harris, sang mit Dancehaller Sean Paul, Klassik-Popper Andrea Bocelli und R’n’B-Sänger Miguel. An ihrem Debütalbum schrieb sie mit Coldplay-Sänger Chris Martin zusammen. Von allem, was die Massen mögen, ein bisschen und zwar in international autoradiotauglicher Version: Elektro-Pop mit zum Vor-dem-Spiegel-Mitsingen-Refrains.
Vor drei Jahren erschien ihr erstes Album, DUA LIPA, dann trat sie auf dem Glastonbury Festival auf, danach war sie überall und überall Fotos von ihr. Wer mit Fotografen spricht, die mit ihr arbeiten, oder mit Menschen aus dem Musikbusiness, hört meist ein Schwärmen. Auch die Klatschmedien berichten gerne, vor allem über Dua Lipas Liebesbeziehungen – aktuell eine mit dem Bruder von Gigi und Bella Hadid. Wer sie googelt, findet einiges über ihre neuen Frisuren – derzeit zweifarbig – und Outfits.
„Die Arbeit im Nachtleben macht mich aus, ich möchte sie nicht missen“
Auch zum Interview in Berlin ist sie bestens gekleidet. Die junge Frau sitzt in braun kariertem Blazer und Louis-Vuitton-Schuhen und mit bunten Flammen auf den Gelnägeln auf einem Sofa, ist freundlich und trinkt Wasser aus einer Plastikflasche. Sie erzählt, sie habe als Jugendliche in einem Restaurant und in einem Club gearbeitet, den sie wegen ihres Alters eigentlich gar nicht hätte betreten dürfen. Wenn sie Bilder von früher sieht, könne sie gar nicht verstehen, was für ein Babyface sie gewesen sei. Lachen. Hach, schöne Zeit, so lange her.
„Ich hatte so viel Spaß! Die Arbeit im Nachtleben macht mich aus, ich möchte sie nicht missen“, sagt sie, und dass sie immer noch mit denselben Freunden abhänge, dass sie oft gemeinsam zurückblicken und dann „OMG“ denken würden, dass sie immer noch nicht kapiert habe, dass sie ein Superstar ist, aber die Konzerthallen größer würden. Klassische Popstar-Phrasen-Bausteine, ein legitimer und erfolgversprechender Selbstschutz junger Frauen und Männer, von denen die ganze Welt ständig etwas erwartet.
Erinnerungen aus ihrer Kindheit und der Glaube an die Zukunft
Lieber redet Dua Lipa von ihrer Musik. Also, los: Wenn man sich an den Singles vorbei hört, von denen man das Gefühl hat, man kenne sie schon längst, dann hat Dua Lipas zweites Album FUTURE NOSTALGIA so etwas wie einen eigenen Groove. Ein bisschen Disco, ein bisschen Funk. Edler als ihr Debüt. Eine schöne, angekratzte Stimme, sexy, zurückgenommen, fast desinteressiert, nie fordernd. Das Album sei sehr poppig, sagt Dua Lipa. Nostalgische Sounds, aber modern produziert. Erinnerungen aus ihrer Kindheit und der Glaube an die Zukunft. Elemente von Disco, 80s, von „Flashdance“. Auch wenn ihre jungen Fans zu jung seien, um jemals Disco gehört zu haben, möchte sie natürlich die Vorbilder ehren, es sei wichtig, nicht zu vergessen, wer als Inspiration diente.
Viele Lieder fangen an wie Musik in einem Autorenn-Computerspiel. Man möchte sich dann die Sonnenbrille auf die Augen schieben, und den Ellenbogen aus dem Fenster hängen. Wenn man Dua Lipa von der Assoziation erzählt, sagt sie: „Yeah? I love that!“, und wirkt trotzdem leicht irritiert. In den besten Momenten riecht ihre Musik nach verbrannter Sonne. Aber meist ist in den Liedern Nacht und irgendwo blinken Lichter.
Nicht zu sehr festlegen, nicht angreifbar sein
Der Titel FUTURE NOSTALGIA beziehe sich vor allem auf die Musik, sagt Dua Lipa. Ob die Obsession mit Nostalgie nicht auch mit der Angst vor dem Tod zu tun habe? Keine Ahnung, das habe sie sicher nicht ausdrücken wollen. Dann redet sie schnell wieder über Musik, darüber, dass sie hoffe, dass die Songs, die es nicht aufs Album geschafft haben, nie gehört würden, weil sie einfach nicht perfekt seien.
Nicht zu sehr festlegen, nicht angreifbar sein. „In einer Zeit, in der so viel abgeht, möchte ich den Spaß zurück ins Radio bringen. Ich möchte Musik machen, zu der man am Morgen tanzen will.“ Und das ist doch ziemlich schlau von Dua Lipa. Denn wahrscheinlich wollen viele genau das: Dinge hören, die sie schon wissen, worüber sie nicht nachdenken müssen. Nicht zu viel Identität. Keine Probleme. Davon gibt es schon so viel.
Kontrolliert und unauffällig auffällig
Und gerade das, dass da kaum etwas ist bei Dua Lipa, das aneckt, das aufhorchen lässt, und man sich schon freut, wenn man mal Paparazzi-Fotos entdeckt, auf denen sie raucht, macht Dua Lipa so interessant. Das ist ihre Erzählung über die Welt. An ihr kann man gut beobachten, wie Popstars im Jahr 2020 als Gegenentwurf sein müssen: kontrolliert und unauffällig auffällig.
Der Wunsch nach Kontrolle ist bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen müssen, um ihre Kunst zu verkaufen, verständlicher denn je: Denn wir leben zwar in einem Zeitalter, in dem jeder entscheiden kann, Star zu sein und das auf TikTok, Instagram und YouTube nur lange und laut genug verkünden muss. Wir leben aber auch in einem Zeitalter, in dem dieser Zauber jederzeit verschwinden kann. Mit jedem Blick hinter den Insta-Filter, mit jeder unwillentlich aufgenommenen Story kann der Held menschlich werden. Es gibt ihn nicht mehr.
Ein Star der alten Schule
Mit jeder Inszenierung steigt die Fallhöhe, mit jedem Authentizitätsversprechen wächst die Erkenntnis, dass es keine geben wird. Und so ist es schlau von Dua Lipa, sich nicht mehrere Popstar-Identitäten aufzublasen, die platzen könnten. Nicht, weil sie Werbung für Jaguar und ein YSL-Parfüm macht und ein Image bewahren muss. Sondern aus Selbstschutz. Man könnte es auch als Verweigerung verstehen. Bei Dua Lipa entsteht kein großer Pop-Moment zum darauf Herumdenken. Keine zweite Ebene. Das macht sie zum Star alter Schule. Zum Anschauen, zum Mitsingen, zum Tanzen.
Das kann man schätzen, wenn man sieht, wie andere Künstlerinnen derzeit verkauft werden. Als Feministinnen natürlich, aber bloß nicht als welche, die nerven. Wann immer dieser Tage der Promoter einer Plattenfirma Musikjournalisten anruft, um eine Künstlerin anzupreisen, heißt es, die Sängerin sei feministisch. „Female Empowerment ist ihr total wichtig.“ Doch was genau damit gemeint ist, bleibt meist unklar. Und das schadet dem Anliegen des Feminismus.
„What you see is what you get“
Muss man als Popstar heute eigentlich immer neue Erzählungen mitbringen und neue Identitäten liefern, fragt man also Dua Lipa und sie antwortet: „Klingt etwas ermüdend, sich immer wieder neu erfinden zu müssen. Ich bin mehr so: What you see is what you get.“ Und das sagt sie nicht nachlässig, gleichgültig oder trotzig, sondern eher überzeugt. „Ich bin die beste Version meiner selbst“, sagt sie. Sie wolle gar nicht interessanter wirken. „Ich weiß, was ich mit meiner Musik sagen will. Sie ist eine Plattform, die mir gegeben wurde, auf der ich über Dinge sprechen kann, die mir wichtig sind, die mich interessieren, über die ich immer mehr dazulerne, für die ich mich engagiere. Frauenrechte, Kinderrechte, die Situation der Flüchtlinge.“ Doch dann redet sie gar nicht darüber. Dass sie diese Themen interessieren, muss als Erzählung reichen.
Kontrolle haben, Vorbild sein
Heute wisse sie ganz genau, was die Leute über sie wissen sollen, sagt Dua Lipa. Und was wäre das? „Ich will definitiv, dass die Leute wissen, dass ich alles unter Kontrolle habe. Das ist mir sehr wichtig. Selbst früher, als ich noch ständig dazugelernt habe, habe ich immer meine eigenen Entscheidungen getroffen.“ Kontrolle haben, Vorbild sein.
Im vergangenen Jahr hat Dua Lipa einen Vortrag an der Uni Cambridge gehalten, darüber, wie es jungen Frauen im Popbusiness ergeht und unter welcher Beobachtung sie in den sozialen Medien stehen. Aber davon hat man kaum etwas mitbekommen.
So könnte man meinen, der Erfolg von Dua Lipa erkläre sich vor allem dadurch, dass sie sexy, süß und cool ist. Bloß nicht stören. Aber dass sie diesen sexistischen Mechanismus entlarvt, ist zumindest ein kleiner Pop-Moment zum darauf Herumdenken. Einer, der kaum zu inszenieren ist. Aber der etwas über die Welt erzählt.
Dieser Artikel erschien erstmals im ME 04/20: