Chaos, Rock’n’Roll und Amore: Wir waren drei Tage mit Wanda auf Tour
Vor einem Jahr tauchten Wanda wie aus dem Nichts auf. Ihr Debütalbum AMORE eroberte die Herzen im Sturm, im Oktober soll bereits die zweite Platte folgen. Der Erfolg ist ihnen sicher - falls sich die Wiener nicht vorher ins Grab spielen. Auf Tour mit der vielleicht letzten wichtigen Rock'n'Roll-Band unserer Generation.
Ich frage Marco, ob er sich besser fühlt. „Jetzt geht’s schon wieder“, sagt er. Seine Augen wirken immer noch ein bisschen verschleiert. „Aber gestern habe ich zum ersten Mal gedacht, wenn das so weiter geht, dann stirbt einer.“
Manuel versucht eine Frau mit geweiteten Pupillen abzuwehren, die ihn lallend fragt, mit wie vielen „n“ Wanda geschrieben wird. Draußen donnert es.
„Das Problem ist, dass wir keine Ruhe bekommen“, sagt Marco. „Wenn man in so einem halb befestigten Backstage-Raum sitzt, kommen dauernd Leute auf einen zu. Alle wollen ihre Euphorie mit uns teilen, mit uns feiern. Alle glauben, dass wir immer nur saufen.“
Es donnert. Die Lichter gehen aus. Stromausfall.
Von draußen hört man das Publikum johlen. Auf der Bühne laufen Menschen hin und her. Im dunklen Backstage-Zelt steht Lukas und schaut hinaus auf den Regen. „Wenn sie den Auftritt jetzt absagen, bringt uns das auch nix“, sagt er. „Was so an uns zehrt, ist ja nicht das Spielen, sondern die Anreise.“
Die Zuschauer weichen nicht von der Bühne zurück. Zu zweit und dritt suchen sie unter Jacken Schutz vor dem Regen. Veranstalter Günther Wimmer diskutiert mit einem Feuerschutzbeauftragen. Ein Blick auf die Uhr. Nicken. Dann richtet er sich ans Publikum.
„Es geht weiter.“ Jubel.
„Die letzte Band werden wir absagen müssen. Aber Wanda ziehen wir durch!“
Mehr Jubel. Wimmer zeigt in die Nacht. „Da hinten sind die Fluchtmöglichkeiten.“ Nicht für Wanda. Die Band steht schon wieder auf der Bühne. Nur 20 Minuten soll das Konzert dauern. Aus Sicherheitsgründen. Marco verteilt seinen wertvollen Zigarettenvorrat an die erste Reihe. Der Soundcheck zieht sich. Ein paar Ungeduldige beginnen, Becher zu werfen. Dann reicht es auch Marco. „Dominik, scheiß drauf!“, ruft er dem Sound- Techniker zu. „Heeey!“ Ein Schrei, der durch Mark und Knochen geht. „Luzia“.
Die erste Reihe explodiert. Die Fans steigern sich so sehr in die Texte, dass ihre Gesichter leidende Züge annehmen. „Am Ende seines Lebens wird ein jeder einsam sein.“
Wanda spielen wie in Trance. Wie Sprinter kurz vor dem Ziel, kurz vorm Zusammenbrechen. Aus 20 Minuten werden 30 werden 40. Lieber umfallen als stehenbleiben. Und dann fällt Marco wirklich um. Am Ende von „Bologna“ kippt er nach hinten, bleibt auf dem Rücken liegen. Die Augen geschlossen. Die Glied- maßen von sich gestreckt.
Die Organisatoren werfen einander fragende Blicke zu. Kurz fürchtet man, dass der Sänger nicht mehr aufsteht. Dann kämpft er sich doch wieder hoch. Wenn’st von allein stehst, kannst’ von allein geh’n. Irrtum!
„‚Ans, zwa, drei, vier!‘“, skandieren die Fans. Ein bislang unveröffentlichter Song. Wie selbstverständlich fordern ihn die Leute ein – und Wanda geben den Leuten, was sie wollen. Sie geben alles. Am Ende stehen sie minutenlang am Rand der Bühne und lassen sich feiern.
„Wir spielen jeden Tag im Jahr. Wir sehen uns wieder“, schreit Marco. Vielleicht wollen sie sich wirklich ins Grab spielen. Leidenschaft heißt Leiden. Wanda meinen es todernst. Wahrscheinlich sind sie die letzte wichtige Rock’n’Roll-Band unserer Generation.
Voll.