Chaos, Rock’n’Roll und Amore: Wir waren drei Tage mit Wanda auf Tour
Vor einem Jahr tauchten Wanda wie aus dem Nichts auf. Ihr Debütalbum AMORE eroberte die Herzen im Sturm, im Oktober soll bereits die zweite Platte folgen. Der Erfolg ist ihnen sicher - falls sich die Wiener nicht vorher ins Grab spielen. Auf Tour mit der vielleicht letzten wichtigen Rock'n'Roll-Band unserer Generation.
Christian ist mit 24 Jahren der Jüngste der Band. Sein kantiges Gesicht und sein scharfer Blick lassen ihn bedrohlich aussehen. Tatsächlich ist er aber ein sehr sanfter Zeitgenosse. Eines Tages stand Marco mit acht Dosen Bier in seiner Wohnung und hat ihm Songs auf der Gitarre vorgespielt. Beim Georg-Danzer-Hören lernten die beiden einander besser kennen. Später zogen sie mit Akustikgitarren als singendes Duo durch Wien und traten auf, wo immer man sie ließ: in Cafés, in der U-Bahn, sogar in der Kirche. Das war vor drei Jahren. Wäre der Erfolg mit Wanda nicht über ihn hereingebrochen, hätte sich Christian wohl einen Beruf gesucht, der dem geregelten Leben zuträglicher ist, als der eines fahrenden Musikers, sagt er.
Einen solchen Job hatte Lukas, den sie Hasi nennen, schon. Nach seinem Jazz-Studium am Gustav-Mahler-Konservatorium in Wien gründete er ein Unternehmen für Sound-Design. Einer seiner Kollegen war Produzent Paul Gallister, Marcos Freund und Mentor. „Marco saß immer in Pauls Küche“, erinnert sich Lukas. „Er hat Kaffee getrunken und geraucht. Seine Art zu reden, seine Art zu leben – das hat mir sehr gefallen.“
Auch Marcos Lieder gefielen Lukas. Trotzdem dauerte es, bis er sich auf Wanda einließ. „Oft kam ich allein zu Proben, weil mir keiner ausgerichtet hatte, dass alle anderen im Wirtshaus sitzen“, erklärt er. „Aber die Musik hat mich nie losgelassen. Zum Glück haben wir uns dann alle zusammengerissen.“
Aufregung im See. Etwas hat angebissen. Etwas Schweres! Marco holt die Angel ein. Am Haken baumelt eine Alge. „Ich glaube, wir lassen’s für heute gut sein“, sagt er und tritt den Rückweg an.
Ein wenig später spazieren wir zum Nordstrand. Die Anderen wollen schwimmen gehen. Ich frage Marco, ob wir die Zeit für ein Interview nutzen können. Er ist einverstanden. Die Strandbar ist nicht weit. Wir setzen uns an einen Tisch. Im Hintergrund dudelt Strandmusik.
„Ich bin nur ein weiterer langweiliger Vollidiot“
Marco Michael Wanda
Wie fühlt es sich an, ununterbrochen auf Tour zu sein?
Ich kann nicht mehr zwischen Tour- und Privatleben differenzieren – aber das finde ich sehr angenehm. Früher habe ich verzweifelt versucht, ein Leben auf die Beine zu stellen. Das ist mir nie gelungen. Ich habe das Gefühl, ich lebe überhaupt erst seit ein paar Monaten.
Du wirkst wie jemand, der gefunden hat, wonach er lange gesucht hat.
Genau, jetzt ergibt alles Sinn. Ich hab’ immer gewusst, ich werde irgendetwas machen, das besonders ist. In der Schule haben sie mich ausgelacht. „Ich geh’ nach Hause.“ – „Warum gehst du nach Hause?“ – „Ich muss nix lernen. Ich werd’ berühmt!“ Das hat mir natürlich nie einer geglaubt (lacht)!
Kannst du dich daran erinnern, wie das war, als du dein erstes Lied geschrieben hast? Wie alt warst du?
Mit sechs Jahren habe ich ein Lied geschrieben. Das hieß „Ich kotze“. Bei meinem ersten Klavierkonzert habe ich vor geistig Behinderten gespielt. Ich habe auf die Tasten gedroschen, mir den Finger in den Mund gesteckt und versucht, zu kotzen. Das Publikum ist ziemlich darauf abgefahren.
Wie kam es denn zu diesem Auftritt?
Meine Mutter war Musiktherapeutin. Deswegen bin ich auch in einen Behinderten-Kindergarten gegangen. Da waren nur behinderte Kinder und ich. Oder, besser: Nur behinderte Kinder (lacht).
Später hast du an der Universität für angewandte Kunst in Wien Sprachkunst studiert.
Während dieser Zeit habe ich mich mehr mit meiner Musik als mit Literatur beschäftigt. Nur die Technik der Écriture automatique habe ich angewendet: halluzinogene Drogen nehmen, abschalten und schreiben. Ich war immer ein großer Fan davon, mit dem Bewusstsein an die Grenze zur vollkommenen Auflösung von allen Gesetzen zu gehen. Das muss man nicht regelmäßig tun. Aber es ist sicher nicht schlecht, einmal erledigt gewesen zu sein. Sein Hirn so zermartert zu haben, bis nur noch Scheiße rauskommt. Erst dann kann man einen ganz einfachen Satz niederschreiben.
Schreibst du auf diese Weise auch Lieder?
Ja. Ich hab das Über-die-Grenzen-Gehen halt schon hinter mir. Ich schreibe für meine Begriffe jetzt nur wahre Sätze…
… die aber mit dir persönlich nichts zu tun haben.
Das ist das Schöne. Ich glaube, dass da etwas durch mich spricht. Etwas Uraltes. So wie C. G. Jung das sagt: Durch uns spricht das unbewusste Material von 8 000 Generationen.
Warum willst du nicht über dich selbst schreiben?
Es gibt so viele Musiker, die uns mit ihrer Geschichte quälen. Das will ich nicht. Ich will mich selbst dem Publikum ersparen. Ich bin nur ein weiterer langweiliger Vollidiot. Niemand hat verdient, dass ich Befindlichkeitslyrik schreibe.
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