Drei Stars auf einen Streich
Die Zelebritäten gaben sich weder mal die Klinke in die Hand. »Hintereinander standen Moon Martin, Bob Geldof und Robert Palmer auf der Matte. Während der verhärmte Mond nervös an seinen Stress-Kapseln knabberte, gab Dr. Bob weltmännisch seine Reise-Erlebnisse zum Besten. Don Roberto schließlich , überzeugte durch... Schönheit. Gitti Gülden drückte die Aufnahmetaste.
Eine seltene Fügung bewirkte es, daß an drei aufeinanderfolgenden Tagen drei Künstler verschiedenster Couleur nach Hamburg kamen: Moon Martin, Bob Geldof und Robert Palmer. Ich gebe unumwunden zu, daß die Gespräche von Tag zu Tag besser wurden.
Dennoch ist nicht zu verleugnen, daß ich von einer Gefühlsregung in die andere taumelte. Beim kleinen Moon, der an Woody Allen erinnert, pendelte die Skala von leichtem Amüsement bis zu mittlerer Verärgerung. Der clevere Herr Geldof bewirkte bei mir durch seine angedeutete Arroganz zunächst einige Anflüge von Trotzverhalten, das dann aber der Bewunderung für sein erzählerisches Talent wich. Und Robert „Mr. Nice Guy“ Palmer? Mein Gott, der Mann ist einfach toll!
Zunächst sei das äußere Erscheinungsbild der drei Herren beschrieben. Der tatsächlich sehr kleine John „Moon“ Martin hat sich ein völlig neues Styling zugelegt. Das Haupt ziert ein schicker Neue-Welle-Popper-Haarschnitt, der Kragen des Jeanshemdes ist lässig hochgeschlagen. Der frühere knallrote Brillenrahmen wich einem dezenten Naturhorn-Modell. Die Augen sind nicht mehr erstaunt aufgerissen, sondern blicken fest. Alles ganz wie auf dem Cover seiner letzten Platte. Aus der rückwärtigen Tasche der knappen Designerjeans ragt ein rotes Kämmchen.
Bevor er zum Gespräch bereit ist, holt er aus seinem „Buch-und-Vitamin-Koffer“ eine große Tüte. Während des Interviews entnimmt er derselben kleine Quadrate, die er die ganze Zeit langsam knabbert. „Stress-Caps“ verrät die Tütenaufschrift.
Partner Nummer zwei, die clevere Oberratte Bob Geldof, ist da ganz anders, souverän. Sieht aus, als sei er gerade aufgestanden, wirre Strubbelhaare, müder Hundeblick. Er trägt eine Art vorrevolutionäres russisches Bauernhemd, die Hosenbeine stecken in weichen Stiefeln. Er ist lässig, ruhig, spricht höflich und druckreif, seiner journalistischen Vergangenheit angemessen. Ein Stichwort – und der Mann hört nicht auf zu reden.
Spanische Radiosprecher künden den Dritten im Bunde gerne als „Don Roberto Palermo“ an. Wenn sie wüßten, wie perfekt das auf den smarten Sänger paßt, der sich in jüngster Vergangenheit auf seinem Wohnsitz Bahamas Meriten als Produzent verdiente. Palmer ist ein äußerst starker Raucher der Marke Dunhill, ein Milch- und Selters-Trinker. Er ist fasziniert von fotorealistischer Malerei und glatten Skulpturen. In Hamburg kaufte er zwei Bilder, das Cover seiner letzten Platte ziert eine Wunderlich-Plastik aus seinem Besitz.
Robert Palmer war der interessanteste und amüsanteste der drei Gesprächspartner. Er ist intelligent, charmant, humorvoll, sieht gut aus, kurz: der Mann hat Stil!
Zunächst möchte ich von Moon Martin wissen, wie er den Produzenten seines letzten Albums, Robert Palmer, kennenlernte.
„Wie ich Robert kennenlernte? Ich glaube, das war Robert selbst. Ja, er erzählte mir, er war gerade auf dem Weg zu einem Konzert in Kansas. Er legte m eine Kassette ein, und Robert mochte ‚Bad Case‘ auf der Stelle. Beim Soundcheck hat er es dann geübt und in der Show am Abend gleich gespielt. Also, so keß wäre ich nie!Ich meine, ich würde mich nie erdreisten, so etwas zu tun. Das ist doch dreist! Anyway. Nachdem er den Titel aufgenommen hatte, rief er mich an. Er käme nach LA und wolle, daß ich seine Version höre. Ich hab’s mir angehört und mochte es sehr, muß ich sagen. So traf ich Robert.“
Und wie war das mit Mink de Ville, der ja deinen ‚Cadillac Walk‘ überhaupt erst berühmt gemacht hat? Überhaupt war es doch wohl so, daß zunächst deine Songs bekannt wurden – und dann erst du selbst.
„Ich weiß. Ich weiß allerdings nicht, warum. Erst als Willy mit ‚Cadillac Walk‘ berühmt wurde, da dachten die sicher, versuchen wir’s mal mit dem Verfasser. Plattenfirmen existieren, um Geld zu machen. Daran ist nichts falsch, so sollte es sein. In ihrer Absicht, möglichst viel zu verkaufen, suchen sie zu sehr nach Sachen, die bereits verkaufsträchtig sind. Wenn dann etwas Neues kommt, neigen sie dazu, nicht hinzuhören. Dann dauert es eben sehr lange.“
Das Telefon klingelt. Während Moon telefoniert, lassen wir Bob Geldof zu Wort kommen. Was ist in der Zwischenzeit mit den Boomtown Rats geschehen?
“ Oh dear! Also fangen wir an: Nach der letzten Welttournee flog ich nach Moskau, nahm einen Zug und reiste quer durch Rußland. Ich blieb eine Weile in Sibirien. Dann nahm ich wieder einen Zug und fuhr in die Mongolei. Ich blieb eine Weile in der Mongolei. Von dort weiter nach China, wo ich mir einige chinesische Städte ansah. Ende letzten Sommers kam ich zurück, und wir nahmen V DEEP auf. Gleich am nächsten Tag habe ich mit den Dreharbeiten zu “ The Wall“ begonnen. Das dauerte dann drei Monate. Dann …“
Einen kleinen Moment bitte, wie fühlt sich Bob Geldof als Schauspieler?
“ Oh, wunderbar. Ich liebe es, weil es etwas anderes ist, erfrischend. Allerdings ist das einzige, was mir momentan zu diesen drei Monaten einfällt, daß ich die ganze Zeit morgens um sechs aufstehen mußte, um bis abends um sechs zu arbeiten. Anschließend ging’s zur Band in den Übungsraum, um bis nachts um zwei unsere Show zu proben. Also zu Weihnachten fuhr ich dann nach Schottland rauf in den Schnee. Dann …“
Bevor weitere Details der letzten Monate aus dem Leben des Bob Geldof aus ihm heraussprudeln, würde ich gern Näheres über seine Erlebnisse in Rußland und China erfahren. Das ist ja, wie man weiß, ein nicht alltägliches touristisches Unterfangen.
„Meine Freundin und ich schlossen uns einer kleinen Gruppe an. In China reisten wir allein. Rußland mochte ich nicht. Kein Schritt allein. Sibirien ist landschaftlich wunderschön, die Mongolei ebenfalls, nettes Volk, aber eben dieser militante Kommunismus. Schlimm. China dagegen ist das beste Land, in dem ich in meinem ganzen Leben gewesen bin. Die Menschen sind unfaßbar. Einfach wundervoll. China und Thailand sind meine Lieblingsländer. Traumhalt. Die Menschen sind unbefangen. Nicht naiv, das wäre kindisch, aufrichtig ist das richtige Wort, weil sie voller Neugierde stecken und freundlich sind. Wundervolle Menschen. Ich liebe Zugreisen. Meine Hobbies sind Lesen, Fernsehgucken und Reisen. Wenn ich alle drei Dinge auf einmal machen kann, um so besser. „
Man stelle sich vor: mit dem Zug durch Sibirien, die Unterdrückung des Systems durch die Lektüre von Dostojewskis „Schuld und Sühne“ plastisch vor Augen, während im kleinen Reise-TV-Set „In 80 Tagen um die Welt“ läuft.
Kehren wir zu Moon Martin ins Hotelzimmer zurück. . Kann er sich ähnlich polyglotte Unternehmungen leisten, oder muß er ab und zu noch als Lieferfahrer sein Geld aufbessern? Entsetzen spiegelt sich in seinen Zügen, die beiden langbeinigen Verehrerinnen tuscheln.
„Wer? Ich? Um Himmelswillen/Mein Gott, das war ja nun
überhaupt nicht dramatisch, mit neuem Material rüberzukommen. Außerdem habe ich nicht versucht, das ultimative Album zu machen. Ich habe nur noch warten müssen, bis Robert Zeit hatte. Ich meine, es kamen ja eine ganze Menge Produzenten in Frage, Nick Löwe z. B. Aber ich bin schließlich wieder nach Nassau geflogen. Wir haben ein paar Bänder von meinem Material gemacht, und ich muß wirklich sagen, daß Robert sich bemüht hat, das meinen Vorstellungen entsprechend hinzukriegen.“
Der ideale Zeitpunkt, den besagten Don Roberto jetzt mal ins Spiel zu bringen? Der begabte Sänger, Gitarrist und Produzent von Peter Baumann, Desmond Dekker, Moon Martin u. a. arbeitete jüngst auch mit Gary Numan. Erstaunlich.
Ich weiß. Aber ich möchte auch wissen, warum. Ich halte ihn und David Sylvian von ‚Japan‘ für sehr gefühlvolle Sänger. Sie sind meine beiden modernen Lieblingssänger. Die meisten Leute lassen sich von dem kosmetischen Erscheinungsbild der Musiker, aber auch von Äußerlichkeiten der Musik blenden und verführen. Sie hören nicht hinein. Wenn ich etwas höre, dann höre ich es von innen nach außen.
Nimm Numan. Er ist 22 und entschließt sich, in seiner kleinen Maschine einmal um die Welt zu fliegen, und er macht es auch. Das ist doch unglaublich. Dieser ganze Image-Ballast ist mir unbegreiflich.
Was zieht Robert Palmer vor, Produzieren oder Singen?
„Ich bin Sänger. Singen bedeutet meine Freiheit, mein mich-Gehenlassen. Wenn du singen willst, brauchst du Musiker, Arrangements, ein Studio, die Produktion und schließlich die Veröffentlichung. Das ist das ganze Handwerk. Es dauert ziemlich lange, bis du gelernt hast, zu deiner eigenen Zufriedenheit zu arbeiten.
Ohne Enthusiasmus solltest du allerdings nichts anfangen, ganz gleich, was du machst. Zu Anfang ist die Begeisterung so groß, daß du dich selbst austrickst. Während du arbeitest, denkst, glaubst und fühlst du, das sei gut. Doch die Zweifel kommen hinterher, wenn du noch mal hinhörst. Also mußt du den gesamten maschinellen Prozeß der Studioarbeit, halt das gesamte Handwerk lernen.
Sonst nimmt dir jemand das Heft aus der Hand und erzählt dir, wie es klingen soll. Falls deine Arbeit erfolglos wird, machst du dann den Produzenten oder wen auch immer dafür verantwortlich. Das will ich nicht. Ich möchte meinen Sound so, wie ich ihn bestimme, auch wenn das keinem Menschen außer mir gefällt. Das kann hart sein, ist mir aber lieber, als einen Hit zu landen und dennoch der Dummi zu bleiben.“
Ist das Erlernen des Produktions-Prozesses grundsätzlich autodidaktisch?
„Hmm. Ich male gern, ich fotografiere gern, ich schreibe gerne Kurzgeschichten. Seit meinem 15. Lebensjahr mache ich Musik und genieße es mehr, als je zuvor. Im Laufe der Jahre wurde die Musik immer organischer. Dann passiert aber das Paradoxe: Du mußt den mechanischen Prozeß lernen, der hinter dem Musikmachen steht. Klingt verrückt, aber je mehr Ahnung du von den Maschinen und der Technik hast, desto organischer wird die Musik. Sie wird physischer.“
Wir sind jetzt gezwungen, zu einem seiner Schützlinge, Mr. Martin zurückzukehren, da sein Manager und die beiden Mädchen darauf drängen, endlich essen zu gehen. In den Texten seiner letzten LP MYSTERY TICKET erscheinen Frauen ja als nahezu als traumatische Wesen. Die eine quält dich, die andere ist in dein Auto verknallt, die dritte erzählt kohlrabenschwarze Lügen. Erstauntes und verwirrtes Heben und Senken der Augenbrauen.
„Wie? Was machen diese Frauen ?Du meinst, die machen sich über mich lustig? Ich sage nicht, daß du falsch liegst. Aber ich sage dir, da sind noch eine Menge Songs, die überhaupt nicht so sind. Überhaupt nicht.“
Die Finger trommeln nun ungeduldig auf der Tischplatte, die Stress-Caps bleiben liegen. Handeln seine Songs von tatsächlichen Erlebnissen, ist das die Wirklichkeit?
„Ach, ich weiß doch nicht, was wirkliches Leben ist. Ich glaube nicht, daß ich das überhaupt wissen will. Ich schreibe das nur, weil es so toll klingt. Ich versuche immer, etwas zu entdecken, das ich mag. Oder ich versuche rauszufinden, was ich tun kann, damit ich es mag. Und ich bin verletzt, wenn jemand das, was ich mache, nicht mag. Das mag ich nicht.“
Spricht’s und erhebt sich, um rechts und links den langbeinigen Verehrerinnen unter die Arme zu greifen. Erlöst entschweben die drei mit dem Fahrstuhl. Zeit, sich wieder mit unserem Weltreisenden Bob Geldof zu beschäftigen.
„…, ja. Und in diesem Jahr fahre ich per Frachtschiff von Bristol aus zu den Westindischen Inseln. Danach werde ich mit einem Boot den Mississippi runterfahren. Das wird ein Spaß! Danach sollten wir mal wieder durch England touren. Wir sind’s eigentlich leid, in England oder auf dem Kontinent zu touren. Das kann man drei, vier Mal machen, dann wird’s langweilig. Mein Gott, mir könnte nichts gleichgültiger sein, als z. B. Göteborg in Schweden wiederzusehen. Da war ich schon mal, vielen Dank, auf Wiedersehen!
Wenn wir nicht in Form sind, touren wir nicht. Wir würden die Leute nur betrügen. Im letzten Jahr haben wir uns geweigert, prompt wurde unsere Platte nicht veröffentlicht. Fein, sagten wir, dann touren wir eben in Asien. Wir waren in Indien, Hongkong, Singapur und Malaysia.
Anlage und Instrumente haben wir uns jeweils vom örtlichen Veranstalter geliehen. Wir haben halt genommen, was gerade da war. In Indien haben wir in Städten gespielt, wo noch nie zuvor ein Rockkonzert stattgefunden hat.“
Das scheint ja richtig in Mode zu kommen, zuerst Police, dann die Boomtown Rats?
„Police haben lediglich auf ihrer Rückreise von Australien ein einziges Konzert in Bombay gegeben. Das war alles. Wir wollten als eine Gruppe von Freunden mit Hilfe unserer Konzerte mal an Orte kommen, wo wir vorher noch nie waren. Das war unglaublich erfrischend. Wir spielten, was wir wollten, Sachen von Sam Cooke, BobMarley, Dr. Feelgood, was auch immer. Den Leuten war’s egal, die wußten ja nicht, von wem die Stücke waren.
Interessant war übrigens, daß Leute, die noch nie in ihrem Leben auf einem Rock-Konzert waren, genauso reagieren, wie Leute hier, die vielleicht zehn mal im Jahr zu einem Gig gehen. Es war einfach wundervoll, ein paar tausend Turbane auf und ab hüpfen zu sehen.“
Diese Reise-Erlebnisse beeinflussen doch sicherlich auch Texte und Musik.
„Diese Fülle von neuen Erlebnissen, ja. Was die ganze Angelegenheit so erfrischend macht, ist, daß alles so neu ist. Europa erscheint mir alt und müde. Amerika ist schlimmer, denn es ist jung und müde. In Asien spürst du aber trotz der gräßlichen Armut, die dir die Tränen in die Augen treibt, einen gewissen Optimismus. Unzählige sinnliche Erlebnisse strömen auf dich ein. Du kannst nicht alles aufnehmen. Du machst so eine Art Gedächtnis-Schnappschuß von einer Fülle von Bildern. Wenn du dann eines Tages einen Text schreibst, taucht so ein Bild auf. Insofern beeinflußt uns das.“
So sprudelte es also aus Bobs Munde, und er mußte sich beeilen, um sein Flugzeug nach London zu bekommen. Schalten Sie auch das nächste Mal wieder ein, wenn Dr. Bob von seinen Reisen erzählt.
Und Robert Palmer? Nun, der plaudert immer noch über Musik.
„Musikmachen ist eine rein körperliche Angelegenheit Du gibst Krach von dir, atmest, schreist, bewegst Arme, Beine, Hände, Bauch, Lunge, Stimmbänder, alles total physisch. Dann kommt das Gefühl dazu. Es ist lächerlich, ängstlich zu fragen: War das gut so, magst du das? Einzig und allein deine Fähigkeiten grenzen dich ein, nicht das Urteil anderer.“
Moon Martin schwärmte begeistert von einer verrückten karibischen Nacht, in der er bei Tina Weymouth’s „Tom Tom Club“ mitgesungen hat.
„So, hat er das. Nun ja, ich bin mit Tina und Chris befreundet. Da ist schon mal der eine in ein Projekt des anderen verwickelt, was soll’s.“
Wie kommt es überhaupt zu diesem Trend, Platten bevorzugt in der Karibik zu produzieren?
,Das ist neutraler Boden. Ich erinnere mich an ein Barbecue, an dem AC/DC neben den Talking Heads saßen. Unter anderen Umständen würden die sich noch nicht mal Hallo sagen. Jeder ist entspannt.“
Musikmachen, Produzieren ist das harte Arbeit oder reine Freude?
„Beides. Auf der einen Seite ist es die härteste Arbeit überhaupt, was Konzentration und physische Anstrengung betrifft. Wenn sie getan ist, ist es die befriedigenste Arbeit überhaupt.“
Das ist nicht nur mit dem Musikmachen so, Don Roberto, beim Schreiben solcher Geschichten wie dieser geht’s mir ähnlich.