Dogma-Pop
Ein halbes Jahrzehnt nach ihren Easy-Listening-Erfolgen wollten die Cardigans nach ganz eigenen Regeln ein ernsthaftes Meisterwerk erschaffen. Wie und warum, erfuhr der ME bei zwei Begegnungen in schwedischen Diplomatenkreisen
Es gibt sie also noch, dachte ich, als ich die Mitglieder der Cardigans im Herbst letzten Jahres in einem kleinen Restaurant in Stockholms Bohemeviertel Södermalm Crepes essen sah. „Die kommen öfter her, wenn sie an einem Album arbeiten „, klärte mich Mustafa, der Besitzer des „Fyra Knop“, auf.
Als sympathische Easy-Listening-Band hatten die Cardigans ihren Platz in der Neo-Lounge-Phase Mitte der 90er Jahre. Life (1995) und First Band On The Moon (1996) hörte man damals so, wie man Pizzicato Five oder Combustible Edison gehört hatte. Mit einer Olive im Glas, sozusagen. 1998 war dann Schluss mit lustig. Gran Turismo, ein mit TripHop, Glam-Rock und Elektronik angereichertes Werk, war ziemlich spurlos an mir vorübergegangen. Okay, Jonas Äkerlunds Clip zu „My Favourite Game“ blieb haften, und Nina Persson war für ihren Glam-Look und ihre Latexhosen von den Lesern des NME zur „sexiestwoman in Rock“gewählt worden. Ausgerechnet!
Statements wie „The Cardigans are frozen now“ ließen die Zukunft der Band gelinde gesagt ungewiss erscheinen. Und nun, nach vier Jahren Pause, ein neues Album der fünf Immer-noch-Freunde aus Jönköping. Und siehe da, long gone before daylight ist eine schöne Überraschung. Ein rundes, ruhiges Naturprodukt, das nicht nur als Popalbum in der Öffentlichkeit funktioniert, sondern auch in aller Ruhe zuhause genossen werden kann. Keine Mätzchen, keine Effekte, no nonsense. Man möchte fast behaupten, dass die Cardigans seriös geworden sind. Seriös genug zumindest, um ihre Platte in einem Sitzungszimmer in den nordischen Botschaften zu Berlin vorstellen zu können. Helles Holz, zeitgenössische Kunst, ein Filzteppich der Designerin Pia Wallen. So viel steht fest, wir befinden uns auf schwedischem Territorium.
Peter Svensson grinst. Lange Locken fallen vom musikalischen Kopf der Band auf ein Hemd mit raffinierten Ledernähten. Bassist Magnus Sveningsson hat sich gerade ein neues Instrument gekauft und ist sowieso gutgelaunt. Bengt Lagerberg, der Schlagzeuger, und Lasse Johanson, Keyboard und Gitarre, halten sich im Hintergrund. Sie sind müde. Und Nina? Die Nina, nach der mich alle fragen werden? Nina trägt eine weiße Strickjacke, Schal, Hippiebluse. Sie wirkt ernsthaft. Sie wirkt wie jemand, der etwas hinter sich bringen will. Sie bohrt in der Einwegpackung ihrer Kaffeesahne. Hohe Stirn, schwarze Strähnen. Und dann lacht Nina Persson, und die Sache kommt ins Rollen.
Was für ein passender Ort. Für die nichtschwedischen Hörer seid ihr ja fast so etwas wie ein nationales Markenzeichen. Ikea, H&M und die Cardigans.
Nina: Unsere Produkte halten aber länger!
Ihr kommt ja aus Smaland. Aus dieser Gegend stammt ja auch mein Held Michel von Lonneberga.
Nina: Ja, aber er kommt vom anderen Ende von Smaland. Trotzdem ist das natürlich ein wichtiger Teil unserer Kindheit.
Peter: Wie auch all die anderen Lindgren-Sachen. Pippi, Ronja, Karlsson …
Kennt ihr denn auch die ganzen Pippi-Langstrumpf-Lieder auswendig?
Peter: Klar, alle.
Magnus: Aber wir werden sie jetzt nicht vorsingen. Das wäre das Ende, (singt „This is the end“)
Apropos „The End“. Ich habe die Doors auf eurem Album entdeckt.
Peter: Wir hassen die Doors.
Magnus: Die sind so was von überschätzt. Welche Stelle meinst du?
“ Blue, blue black and blue, red blood sticks like glue “ („And Then You Kissed Me“), das ist totaler Morrison, wie du das singst.
Peter: Ja, du hast Recht. Ich geb’s zu.
Nina: Ich wollte eigentlich nur wie „Nina singt den Blues“ klingen. Aber stimmt, das ist echt Jim Morrison.
Passiert dir das oft?
Nina: Na ja, live passiert es manchmal, dass ich wie Nico klinge, die deutsche Sängerin.
Magst du denn Nico ?
Nina: Musikalisch schon. Aber sie scheint einen ziemlich fiesen Charakter gehabt zu haben.
Ich habe außerdem Fleetwood Mac auf eurem Album gehört. So etwas Peter-Green-Mäßiges.
Peter: Ja, stimmt.
Nina: Wir haben gestern übrigens gedacht, dass wir Stevie Nicks gesehen haben. Sie war es aber nicht.
Magnus: Wir haben manchmal solche Produktionsideen, und das gibt dem Song dann eine gewisse Würze. Bei „A Good Horse“ wollten wir beispielsweise wie eine richtig harte Rockband klingen.
Peter: Tun wir doch auch. Du bist der Einzige, der das nicht glaubt.
Magnus: Ich find es ein bisschen zu lahm.
Wenn es lauter und heftiger wäre, hätte das Album vermutlich nicht mehr diese Stringenz. Auf Long Gone Before Daylight passt alles so schön zusammen.
Magnus: „Rumours , dieses Meisterwerk von Fleetwood Mac, ist eines meiner Lieblingsalben. Ich denke, dass wir auf unserem Album etwas Ähnliches machen wollen, sowohl was die Texte angeht als auch die Musik.
Habt ihr schon von dem kürzlich veröffentlichten, lange Zeit verschollenen Camper-van-Beethoven-Album gehört ? Sie hoben 1986 Tusk komplett neu eingespielt am Stück – und gehen damit auf Tour.
Nina: Wirklich? Mit dem Fleetwood-Mac-Material? Wow? Das muss ich mir anhören.
Neil Young hob ich auch in ein paar Passagen eures Albums rausgehört. So die ohio-Phase. Kann das sein?
Magnus: Oh, ja, darauf kannst du wetten. Wir mögen ihn sehr, sehr gern.
Und ein paar Mal klingen die Gitarren nach George Harrison.
Peter: Exakt.
So, jetzt müsst ihr mal ein paar Einflüsse nennen.
Peter: Nein, müssen wir nicht. Du hast die wichtigsten ja schon identifiziert. Magnuns: Lauter Volltreffer.
Nina: Hast du auf unserem Album eigentlich auch die Cardigans gehört?
Wer sollen die denn sein?
Nina: Na, diese bescheuerte Band aus der Schweiz.
Von wegen Schweiz. Ihr klingt total amerikanisch. Scheint jetzt ein großes Ding in Schweden zu sein. Ihr seid ja nicht die Einzigen. Kristofer Aström, Christian Kjellvander, Nicolai Dunger – alle haben diesen Country-Touch.
Magnus: Ja, und das sind gute Platten. Richtig gute Platten.
Peter: Im schwedischen Musikfernsehen ist amerikanische Musik auch sehr präsent. Ich höre seit sieben, acht Jahren hauptsächlich amerikanische Sachen, altes und neues.
Magnus: Die Briten dagegen langweilen uns ziemlich.
Peter: Mit Ausnahmen. Die britischen Bands wie Fleetwood Mac haben ja auch sehr amerikanisch geklungen. Oder die Stones.
Lasse: In ihrer besten Phase vor 60 Jahren.
Magnus hat im Internet geschrieben, ihr hättet eine „Dogma-Methode “ des Aufnehmens entwickelt. „Dogma“ wie Lars von Trier? Handkamera und so ? Was soll das denn heißen?
Nina: Wir wollten keine Loops benutzen, den Gebrauch des Computers eingrenzen.
Peter: Es gibt heute keine Grenzen mehr. Wir wollten das ändern und uns selber welche auferlegen. Wir wollten einen Live-Band-Sound.
Dafür, dass es einfach klingen soll und ihr auf die Kinkerlitzchen verzichtet habt, hat die Produktion aber verdammt lang gedauert. Ihr wart in den USA, Südspanien, England, Dänemark… wirkt, als wäre es darum gegangen, möglichst viele Spesen zu verbraten.
Magnus: Um nochmal auf den Dogma-Vergleich zurückzukommen: Man kann mit Digicams gute Sachen anstellen. Aber wenn du „Apocalypse Now“ mit so einer Kamera aufnehmen willst, ist das gar nicht so einfach. Das ist es ja, was wir wollten: ein Meisterwerk, ein Breitwandfilm, großes Kino. Und am Anfang klang es zu sehr nach Digicam.
Peter: Was wirklich lang gedauert hat, war…
Magnus: … dass wir so viel Dope geraucht haben…
Peter: … dass wir so viele Varianten aufgenommen haben, um den perfekten Moment zu finden. Wir waren langsam, aber es hat sich gelohnt.
Ich finde, das Album klingt wie ein Western mit einer sozialdemokratischen schwedischen Femme fatale in der Hauptrolle.
Magnus: Wie Ann-Margret (Hollywood-Schauspielerin schwedischen Ursprungs, Anm.d. Autors), die war doch auch Schwedin, oder?
Nina: Ich bin mir nicht so sicher mit der Sozialdemokratin.
Soll ich es dir beweisen?! Die Art, wie du mit Beziehungen und GeschlechterroUen umgehst. Die Zweifel, aber auch das Selbstbewusstsein. „A Good Horse „, das ist ja ein ziemlicher Hammer, wie du uns Männer da behandelst. Toll!
Nina: Wieso? Ist es erniedrigend, ein gutes Pferd zu sein, oder was?
Du hast das ganze Hengstgetue ganz schön auf den Kopf gestellt.
Peter: Ich kenn diesen Song anscheinend gar nicht. Nina, was hast du eigentlich gemeint?
Magnus: Ja, was ist das Pferd?
Nina: Öh, ein Werkzeug. Kann ein Mann sein, aber auch etwas anderes. Ich sag ja immer, dass ich über meine Texte nicht reden kann.
Wieso? Das muss dir doch nicht peinlich sein. Obwohl „You’re The Storm“ ist ja fast pornografisch.
Peter: Was ist los mit dir, Mann?
Ich zitiere: „You’ve been aiming at my land, your hungry hammer is falling.“
Nina: Stimmt schon. Die Bilder funktionieren schon auch auf einer sexuellen Ebene. Aber nicht nur. Ich will meine Texte immer mit verschiedenen Sachen vollstopfen, damit jeder etwas finden kann.
Was hast du mit deiner Stimme gemacht? Sie klingt echt toll auf dem neuen Album. Ein bisschen nach Walnuss.
Nina: (lacht laut) Was? Mit ein bisschen Sellerie.
Nina: Kannst du das erklären?
Ich wollte nicht rauchig sagen.
Peter (singt): I am the walnut, I am the eggplant googooagoo.
Nina: Ich bin allergisch auf Nüsse. Und ich arbeite nicht an meiner Stimme. Aber ich habe in letzter Zeit sehr viel gesungen, das ist immer gut. Ich habe die Songs eine Million Mal gesungen, ehe wir sie aufgenommen haben.
Peter: Wir nehmen deine Stimme jetzt auch anders auf. Ein anderer Sound. Wir lassen alle Frequenzen durch. Es ist dynamischer, mehr Luft.
Besonders ganz am Ende. Die schläfrigen Songs. Diese ganze müde, klare Atmosphäre mag ich sehr gern.
Magnus: Ja, das ist vielleicht auch so ein Dogma-Ding. Wir haben diesmal die Songs einfach ausklingen lassen, wenn uns etwas besonders gut gefallen hat. Den Sachen mehr Raum gegeben.
„03.45 No Sleep“, der Schluss-Song, ist ja auch fast so eine Art Versöhnung nach all den Zweifeln und Beziehungskrisen auf dem Album. Du kommst als Figur dadurch souveräner weg.
Nina: Ja, dieser Song stellt keine Fragen. Bleib einfach im Bett und relax! Ist das auch eine Message?
Nina: Ja, vielleicht.
Magnus: Der letzte Song ist so wichtig wie der erste. Man muss wissen, wie man eine Platte beendet.
Oder ein Interview. Wir sehen uns später auf der Party.
Vier Stunden später. Berlin, Charlottenburg. In der repräsentativen Altbauwohnung des schwedischen Kulturattaches Bengt-Pahlsson findet ein Empfang zu Ehren der Cardigans statt. Über Hundert Menschen drängen sich zwischen Kunst, Canapes und anderen Sitzmöbeln. Diplomaten und ihre Kinder, Musiker, Medienleute, ein derangierter finnischer Künstler, eine Opernsängerin und ihr rumänischer Bodyguard-Gatte prosten einander zu. Aha, Dramatiker Albert Ostermaier ist auch da. Gegen elf steigt der Kulturattache von allen Johan genannt, auf einen Stuhl. „Willkommen Freunde!“, beginnt er seine Rede: „Unsere Ehrengäste werden in wenigen Minuten eintreffen. Ihr langweilt euch siche rnicht. Und Essen undTrinken sind ja umsonst“ Applaus! „Wie immer werde ich so gegen drei ins Bett gehen. Ihr könnt selbstverständlich länger bleiben. Skal!“
Die Cardigans sitzen vor einer Bücherwand. As unplugged as it gets. Bengt lässt seine Besen über einen Gitarrenkoffer streichen. „For What It’s Worth“ heißt die erste Single. Ein kräftiges Liebeslied mit hochgekrempelten Ärmeln. Eigentlich wollten sie nur diesen einen Song spielen. „Also ut, noch eins. Ihr müsst jetzt aber ganzleise sein, sonst klingt es beschissen“ sagt Nina und holt die Zeilen irgendwo aus ihrem dünnen Körper. „03.34: No Sleep“ – das geliebte Schlusslied. Ich schlucke.
„Na, hab ich nach Walnuss geklungen?“ , fragt mich Nina. „Nein „, sage ich, „das war Eiche.“ „Du redest über mich wie über einen Whisky“ „Ja“ gebe ich zu, „ein sehr, sehr guter Whisky.“ www.cardigans.com