DJ Koze im Interview: „Unsere Gehirne sind geschrottet“
DJ Koze im Gespräch über die Kaputtheit von Gehirnen, die Gottlosigkeit des Moments und andere Widerstände.

DJ Koze ist eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur als DJ, Produzent und Remixer, sondern auch wegen seines Mindsets. Seine Welt ist nicht nur schwarz und weiß, er erkennt die Widersprüche in den eigenen Ansichten und in seiner Arbeit, hinterfragt sich ständig und erzielt dadurch immer wieder erstaunliche musikalische Ergebnisse. So wie auf seinem neuen Album MUSIC CAN HEAR US. Ein Gespräch über Hörgewohnheiten in Zeiten des Algorithmus und über das Altern in Würde in einer vergifteten Welt, in der alles auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist.
Interviews in Hotels genießen unter Journalist:innen keinen besonders guten Ruf. Wegen der klinischen Atmosphäre und der Ökonomisierung journalistischer Arbeit. Wenn DJ Koze in ein Hotel in Berlin-Mitte ruft, ist alles anders. Das Zimmer, in dem das Gespräch stattfindet, einen „Konferenzraum“ zu nennen, wäre eine Beleidigung. Der Raum strahlt altbundesrepublikanische Atmosphäre aus. In allen Ecken stehen und liegen Musikinstrumente herum – ein Klavier, eine Gitarre, ein Bass, eine Violine. Auf einem Tisch neben der Tür stehen zwei Turntables und ein Mixer. Und an der Wand hängen Regale mit sehr vielen Schallplatten.
Immer wenn ein neues Album von dir erscheint, kommt das mit einer Macht, die mich erst zu erschlagen droht: die vielen Features, die unterschiedlichen Stile. Das braucht Zeit zum Einordnen. Im Vergleich zu MUSIC CAN HEAR US klingt dein letztes Album KNOCK KNOCK geradezu homogen.
DJ Koze: Heißt das, dass ich mich im Laufe des Alters immer mehr ins Abseits schieße? Ich würde das gerne weniger überfordernd machen, aber es gelingt mir nicht. Ich habe das Gefühl, es gibt zwei Arten von Künstlern. Die einen scheißen immer auf die gleiche Stelle und verfeinern sich, so wie Tai-Chi-Masters. Und die anderen sagen, ich war da schon, ich muss was Neues machen, ich lasse mich oder andere nicht langweilen, ich muss weiter grinden. Das bin ich, obwohl ich mit dem, was ich mache, auch immer auf die gleiche Stelle scheiße. Ich könnte ja überraschen, indem ich nur eine Nische bediene, aber irgendwie kann ich das nicht, weil ich Musik immer nach Empfindung mache wie ein Seismograf. Dann fühle ich das so doll, drei, vier Tage, oder drei Wochen und dann lege ich es weg und am Ende sind diese ganzen Stimmungen da. Ich bin halt nicht so.
Das bringt mich zu einem Lieblingsthema. Die permanente Verfügbarkeit von Musik gegen „Deep Listening“. Ich weiß das aus eigener Erfahrung als Musikjournalist, wenn es am Ende des Jahres um die Listen der besten Platten geht. Dann entdeckt man Sachen, die man im Januar gut gefunden hat, aber nur einmal angehört hat.
Manchmal habe ich das Gefühl, bei diesen Listen lügt man auch, weil man sich besser darstellen will. Ich mag auch diese schnell verfügbare Snack-Musik gerne, die mir selbst aber nicht so gut gelingt. So ein Stück von Burna Boy, das schmeiß’ ich an und es steht sofort im Raum, es ist nur 2:30 lang, aber es ist alles da, und ich denke: „Ist das geil!“ Aber die „Musik packe ich dann trotzdem nicht auf die Liste, sondern welche, die Tiefe hat, weil ich denke, das ist wichtiger. Was ist eine Platte, die ich leicht rotweingeschwängert oder leicht sediert anhöre, was ist Musik, die ich meiner Freundin oder einem Freund vorspielen würde? Das wäre nicht die schnelle, funktionale Musik. Aber ich selbst kann das nicht. Ich habe das Gefühl, um etwas zu hinterlassen, muss es auch eine Tiefe haben. Und daran arbeite ich immer. Auch wenn es ein Popsong ist.
Pop und Tiefe müssen sich ja nicht ausschließen.
Total! Wenn ich andere Musik höre, die ich mag, dann denke ich: „Komisch, meine eigene hat damit überhaupt nichts zu tun.“ Das kann ein Segen sein, aber auch ein Fluch. Es ist geil, wenn das, was du machst, nicht so klingt wie anderes. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Das ist eigentlich das höchste Gut, das es gibt, aber gleichzeitig kann man das auch andersrum sehen: The road less travelled is less travelled for a reason. Weil sich das anderen Leuten vielleicht nicht erschließt. Ich bin immer hin und her gerissen. Es ist wie ein Handwerk, das ich gelernt habe. Ich kann nicht andere Musik machen als die, die ich mache. Ich lasse mich auch beeinflussen, ich merke, dass die Lieder nicht alle sieben Minuten lang sein müssen. Wenn ich gebeten werde, für Streaming-Plattformen einen Edit zu machen, dann denke ich: „Wow, jetzt habe ich noch mal zwei Minuten rausschneiden müssen und eigentlich ist das Lied ja jetzt fast besser.“
Worauf ich hinaus will: Ich habe zwar nicht das Recht, von dir zu fordern, welche Musik du machen sollst. Aber ich möchte nicht, dass du immer wieder neue Variationen deines Albums KOSI COMES AROUND von 2005 machst.
Für mich gibt es keine Alternative, trotzdem verstehe ich die andere Vorgehensweise auch. Bei KID A hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn Radiohead das Album noch viermal gemacht hätten. Bei manchen Bands ist das okay. Tocotronic haben ja auch eine Geradlinigkeit. Die machen nicht auf einmal eine Reggae-Platte, sie haben eine minutiöse Evolution.
Einerseits hören „die Kids“ nur noch Edits von 80er-Jahre-Hits, die nicht länger als eine Minute dauern dürfen, weil es sonst langweilig wird. Andererseits machst du crazy Musik, die trotzdem erfolgreich ist. Wird die Aufnahmefähigkeit der Hörer:innen unterschätzt, oder reden wir von komplett anderen Zielgruppen?
Erst mal weiß ich nicht, ob mein neues Album erfolgreich wird. Es hat sich ja wieder was gedreht in den letzten sieben Jahren. Unsere Gehirne sind ja noch mehr geschrottet durch zigtausend Instagram-Slides und die völlig irrsinnige, doomige Welt. Ich habe das Gefühl, ich kann mich nicht um die Kaputtheit der anderen Gehirne kümmern, ich muss mich um mein eigenes kaputtes Gehirn kümmern. (lacht) Ich bin trotzdem leicht desillusioniert, wie sich alles entwickelt mit Spotify und den Algorithmen. Es muss alles voll reinkolben, es muss sofort zum Punkt kommen. Jetzt höre ich mich an wie ein meckernder Pessimist, aber das versuche ich nicht zu sein. Ich glaube, es ist wichtig, an seinem Mindset zu arbeiten, irgendwas Positives zu sehen. Es ist das Einzige, was uns bleibt, unsere Vision manisch durchzudrücken und weiterzumachen, egal, ob es klappt oder nicht.
Björk hat neulich gesagt, Spotify sei „das Schlimmste, was Musikern“ passieren konnte. Sie meinte natürlich das unfaire Bezahlmodell für Künstler:innen. Aber Spotify hat ja auch Auswirkungen auf die Musikkultur selbst. Songs müssen bestimmte formale Bedingungen erfüllen, um überhaupt ein Hit werden zu können.
Es ist doch gerade alles total gottlos. Nichts ist mehr heilig, es geht nur noch um Gewinnmaximierung. Alles verfällt in Rekordzeit. Es ist eine Heimsuchung für den Humanismus und die Kunst, was da gerade passiert. Man kann seine eigene kleine Résistance abbilden, indem man anders Musik macht, indem man das macht, was man für richtig hält.
Es verändert sich ja alles in jedem Bereich. Jahrzehntelang war alles super in der Clubszene. Die Clubs waren voll. Ende letzten Jahres hat das Watergate in Berlin dichtgemacht, weitere werden folgen. Abgesehen von harten Faktoren wie hohe Mieten und Inflation, die vor allem dazu beitragen, kann es sein, dass wir einen Kulturwandel erleben? Dass das, was jahrelang gültig war, plötzlich keine Gültigkeit mehr besitzt?
Absolut! Aber ich kann nicht auseinanderhalten, ob das ein Kulturwandel ist, oder einfach nur eine Ablöse der Generationen. In der ersten Generation, als ich so zwölf oder 15 Jahre älter war als alle anderen, habe ich das nicht gespürt. Es fühlt sich wie eine Ablöse an von alienated jungen Menschen, die mir total leidtun, weil sie mit TikTok, Instagram und Algorithmen aufgewachsen sind. Die haben aber auch irgendwie recht. Ich kann mir nicht anmaßen zu sagen, hört mal Bob Dylan oder Public Enemy auf Vinyl an. Ich wollte früher auch nicht belehrt werden von meinen Eltern. Alles, was ich gemacht habe, war grotesk weit weg für die. Und jetzt habe ich das Gefühl, ist das auch so, zwar nicht ganz so krass, weil wir coolere Ältere sind, weil wir mit Public Enemy groß geworden sind. Aber die Jungen wissen schon, was für sie richtig ist. Ich habe immer gedacht – geiler Depri-Talk – je älter man wird, wird alles besser. Und jetzt denke ich, das kann nicht wahr sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann Kriegsangst haben würde und dass ich mich um meine mentale Gesundheit kümmern muss, inwiefern ich mir die Medien gebe. Bei mir und meinen Freunden breitet sich eine totale Hilflosigkeit aus. Nachdem wir jahrelang über Musik geredet haben, ist jetzt jedes Telefonat politisch und endet immer in totaler Ratlosigkeit. Vielleicht ist das ein harter Reality Check für uns überpflegte Mitteleuropäer.
Die wenigsten Menschen hinterfragen sich selbst und das, was sie tun.
Ich mache das die ganze Zeit, und es nervt mich auch tierisch. Ich arbeite gegen Widerstände an, die manchmal total unsinnig sind. Ich bin selten zufrieden mit dem, was ich mache. Mir gefällt’s nur ganz kurz. Ich glaube auch, dass ich nicht in so viele Kontexte passe wie Techno oder House. Je älter man wird, desto grotesker ist das: das ganze Nachtleben und die Techno-Bewegung. Gleichzeitig ist es aber auch geil, immer noch rumzunerven in der Szene. Wenn ich mir es mal richtig besorgen will, wo sollte ich denn sonst sein? Beim gepflegten Rotwein im Gespräch in einer Bar? Das will ich nicht. Es ist auch geil, sediert in so einem Rave zu stehen und die abstrakte Energie, die von der Musik und den Leuten ausgeht, zu erleben.
Wie gehst du so ein Monster wie MUSIC CAN HEAR US an? Nimmst du random verschiedene Tracks auf, die dann irgendwann zu einem Album werden, oder machst du Rock-Band-mäßige Albumsessions?
Das sind wie Tagebucheinträge. Jeden Tag habe ich eine andere Stimmung. Ich höre irgendein Stück von José González oder irgendwas von Animal Collective, Aphex Twin oder Ben Klock. Und dann fange ich einfach an, Musik zu machen und wenn ich ein Stück fertig habe, lege ich es erst mal zur Seite und arbeite an etwas anderem weiter. Es ist ein stetiges Aussieben und Selektieren. Und irgendwann mache ich dann Malen nach Zahlen. Dann habe ich einen Fundus an Liedern und dann muss ich mir eine Geschichte ausdenken, die irgendwie ein sinnvolles Narrativ ergibt. Und dann verkaufe ich das nach draußen wie so ein Masterpiece, bei dem ich jahrelang alles genau konstruiert habe. Das erzähle ich hier gerade. (lacht) Generell geht es ein bisschen mehr zu Songs bei mir. Ich möchte mit Leuten zusammenarbeiten, die singen, mit Stimmen, mit Texten. Ich möchte Songs machen, die anders sind, als man sie kennt. Was soll ich anderes tun als anders sein? Irgendwas muss irritieren, irgendwas muss meine Hör- gewohnheiten irritieren.
Wie war das bei „Pure Love“? Machst du den Track fertig und denkst dann, da könnte der Gesang von Damon Albarn passen? Dann ruf ich den mal an!
Ich habe 2018 einen Remix von „Humility“ von Gorillaz gemacht. Ich wollte dafür keine Gage, habe Damon Albarn aber gesagt, dass es schön wäre, wenn er mal auf einem meiner Songs singen würde. Dann haben wir uns zufällig in Peru getroffen. Danach hat er was geschickt und gemeint: „Mach’ damit, was du willst.“ Dann habe ich immer wieder daran gearbeitet und es ging über Jahre hin und her. Ich bewundere Damon Albarn total, das ist auch einer, der in Würde altert, er ist offen für alle Musikrichtungen. Er ist eine Ausnahmeerscheinung.
Inwiefern hat die Umgebung einen Einfluss auf deine Musik?
Man entwirft die Sachen für den Raum, in dem man gerade steckt. Ich bin oft in Spanien in den Bergen und da ist absolut nichts. Ich frage mich dann: „Welche Musik hat hier noch Bestand? Der Typ, der hier gerade mit dem Bagger vorbeigefahren ist, würde der Amapiano checken, oder was würde er checken? Was hat überhaupt eine Relevanz in dem Raum, in dem ich mich gerade befinde?“ Mir tut das gut, außerhalb der Zentren der Urbanität Musik zu machen. Ich habe trotzdem das Gefühl, man kann es überall machen, wenn einen die Muse küsst. Aber das Umfeld hat schon einen wahnsinnigen Einfluss auf alles, was man macht.
Es gibt dieses Musik-Nerd-Meme, bei dem ein Mann mit einem komischen Hütchen in einer Ecke steht und traurig auf tanzende Leute sieht und denkt: „Sie wissen nicht, dass der Song, der gerade läuft, von Band XY ist.“ Hast du beim Auflegen auch solche „Sie wissen nicht“-Momente?
Das Schöne ist, wenn ich auflege, weiß normalerweise keiner etwas. Die Leute kommen ja nicht, weil sie „Bauch Beine Po“ von mir hören wollen. Vielleicht wollen sie „Pick Up“ hören oder „The Geklöppel Continues“, aber letztendlich kommen sie, um ohne Erwartungshaltung einfach irgend etwas zu erleben. Das ist das Faszinierende an der Clubmusik. Du erwartest eine Perlenkette von unbekannten Sachen, in die ab und zu vielleicht mal ein Hit eingewebt ist, den du kennst.
Weißt du immer, was du deinem Publikum als DJ zumuten kannst?
Manchmal liege ich bestimmt auch daneben, dann denke ich, ich habe das Publikum überholt oder überfordert. Aber es ist mir lieber, so einen Eindruck zu hinterlassen, als sie zu unterfordern. Manchmal finde ich mich in Kontexten wieder, wo ich denke: „Boah, ist das rustikal hier, jetzt ballere ich mal ein bisschen rein.“ Und hinterher hat es mir wahnsinnig Spaß gemacht. Manchmal denke ich, dass Musik, die keine Fragen stellt und einfach funktioniert, mir auch ganz gut steht. Warum mache ich es immer so kompliziert?
Koze in Kürze
Stefan Kozalla wird 1972 in Flensburg geboren. Dort spielt er als DJ Anfang der 90er-Jahre in verschiedenen HipHop-Bands. 1993 zieht er nach Hamburg und gründet mit Cosmic DJ, dem Schrecklichen Sven und Stachy die HipHop-Band Fischmob. Er nennt sich DJ Koze (sprich: Kotze). Fischmob lösen sich 1998 auf. Schon während der Zeit mit der Band liebäugelt er als DJ und Remixer – auch unter dem Pseudonym Adolf Noise – mit elektronischer Musik. 2002 erscheint das Debütalbum WE LOVE MUSIC des Projekts International Pony, das Koze mit Erobique und Cosmic DJ gründet. Ein Jahr später wird auf dem Kölner Techno-Label Kompakt die 12-Inch „The Geklöppel Continues“ veröffentlicht, die Kozes Übergang zu House und Techno manifestiert. 2009 gründet er in Berlin mit Pampa Records sein eigenes Label, das mittlerweile in Hamburg residiert. Mit den Alben AMYG-DALA (2013) und KNOCK KNOCK (2018) wendet sich Koze dem Song zu, ohne dass seine musikalische Andersartigkeit verloren geht. DJ Koze ist heute einer der wichtigsten DJs, Produzenten und Remixer, weil er das Undenkbare zusammendenkt.