DJ Hell im Interview: „Ich hab immer versucht, mich neu zu erfinden“
Bevor DJ Hell auf unserer Klubtour 2017 in München für Euch auflegt, haben wir zur Einstimmung ein ganz besonderes Interview mit der lebenden Legende. Ein Gespräch über die Zukunft, Techno und die Gay-Community.
Ich finde, dass diese Hommage an die Schwulenszene in Zeiten von Intoleranz und Rechtspopulismus ein starkes politisches Statement darstellt.
Im Moment wird sehr gegen die Gay Community gearbeitet – in allen Ländern. Sieh dir an, was gerade in Tschetschenien passiert. Das ist für mich ein Rückfall in die Steinzeit. Man dachte ja, dass die Zeiten der Intoleranz vorbei wären, aber mittlerweile droht sich das gefährlich zurück zu entwickeln.
Ich werde teilweise angefeindet von den Leuten, das sehe ich bei den Kommentaren zu meinen Videos. Manche Leute haben geschrieben, „Hell ist für mich gestorben“ – nur weil ich dieses Video veröffentlicht habe. Ich wusste natürlich, dass ich Gegenwind bekommen würde, aber damit kann ich super leben. Zum Glück lese ich das nicht alles. Wenn ich mir den Katalog von Gigolo Records ansehe, waren mindestens die Hälfte der Künstler schwul.
Die weltweite Techno-Community ist ein Musterbeispiel für gelebte Freiheit und vorurteilsfreie Koexistenz der Menschen, es ist egal, welche Hautfarbe du hast, welche sexuelle Orientierung, wie alt du bist, wo du herkommst, was du bist.
Das war schon Anfang der 90er-Jahre in Berlin im Tresor und im E-Werk so. Es gab zwar eine strenge Türpolitik, aber im Club war immer ein buntes Miteinander. Die Community war maximal liberal und offen mit – darf man ja nicht sagen in der Techno-Szene – fast schon Hippie-artigen Strukturen. Das empfand ich als eine große Errungenschaft, vielleicht kommt das ja von der Love Parade, vielleicht hat Dr. Motte auch etwas dazu beigetragen (lacht).
Dem Komponisten Hanns Eisler wird der Satz zugeschrieben: „Wer nur etwas von Musik versteht, der versteht auch davon nichts.“ Du hast Musik, Style, Mode und Kunst schon immer ganzheitlich gesehen. Ich habe den Eindruck, dass sich dieser Gedanke noch nicht bei allen durchgesetzt hat.
Ich habe immer Schwierigkeiten, die verschiedenen Bereiche auseinanderzuhalten, sie nicht als eine Einheit wahrzunehmen. Klar war es in den 90er-Jahren in der Techno-Bewegung verboten, Fashion-Statements abzugeben. Das habe ich mit Gigolo aufgebrochen. Ich fand es total interessant, wie das von manchen Leuten angenommen wurde, so dass sie in Anzug und Abendkleid bei den Gigolo-Partys erschienen sind. Das empfand ich als maximales Verständnis für dieses Konzept. Das haben aber andere vor gedacht, Andy Warhol und David Bowie zum Beispiel. Ich bekomme immer mehr Designaufträge für T-Shirts und Brillen.
Ich stelle mir dann die Frage: „Was hätte Andy Warhol wohl getan?“ Und dann komme ich schnell zu einem Ergebnis, versuche es in meine Welt zu übertragen und es mit Gigolo zu verbinden. Mein Label war immer offen für alles, wir haben Hörspiele veröffentlicht, der Hundertste Release war ein limitierter Slip in Zusammenarbeit mit Agent Provocateur. Ich habe meine Arbeit immer künstlerisch gesehen. In den 90er-Jahren wollte ich hier in Berlin so eine Art „Factory“ aufmachen nach dem Vorbild von Andy Warhol. Das tägliche Arbeiten im Büro meines Labels wäre zu einer Kunstinstallation geworden, die sich die Leute hinter Glas hätten ansehen können. Das konnte ich leider nicht verwirklichen, weil ich keine geeigneten Räumlichkeiten dafür gefunden habe.
Ich stelle mir dann die Frage: „Was hätte Andy Warhol wohl getan?“
Dein letztes Album TEUFELSWERK aus dem Jahr 2009 war bereits ein Schlüsselwerk. Es hat die Geschichte deiner musikalischen Sozialisation in ihrer ganzen Breite erzählt. Zukunftsmusik geht jetzt in die Tiefe. Kann man das so sagen?
Kann ich so unterschreiben. TEUFELSWERK hat meine komplette musikalische DNA enthalten. Ich dachte auch, dass ich danach nichts Neues mehr sagen kann, da war alles drin, es war perfekt. Es passiert mir selten, dass ich später nicht einmal das kleinste Arrangement-Detail finde, das ich noch ändern will. Das war wie ein abschließendes Werk. Dann habe ich ja auch sieben Jahre nichts gemacht und schließlich Peter Kruder gefragt, ob er noch mal Lust hat, mit mir zu arbeiten. Er besitzt ein unfassbar gutes Studio in Wien und weiß immer sehr schnell, wie er meine Ideen umsetzen kann. Es gibt auf ZUKUNFTSMUSIK noch Anleihen von TEUFELSWERK, zum Beispiel in den instrumentalen, orchestralen Interludes, aber es ist noch definierter und vollkommen losgelöst vom Clubkontext. Es ist komplett frei.