Dire Straits – Vom Erfolg überwältigt


Hallo, wie geht s denn so? begrüßt mich Mark Knopfler backstage in der Dortmunder Westfalenhalle. „Müde ein bißchen,“ antworte ich, „aber längst nicht so müde wie du.“ Mark senkt den Kopf, guckt mich ganz merkwürdig an und läßt mich stehen. Ich hab‘ den wundesten Punkt der Dire Straits getroffen: Sie sind ausgepowert, auch wenn man davon eine Stunde später bei ihrem Auftritt nichts merken wird. Nach einem dreiviertel Jahr on the road. nur unterbrochen durch die Produktion von „Communique“ auf den Bahamas, sind die allabendlichen eineinhalb Stunden auf der Bühne die Droge, die die Band aufrechterhält.

Glücklicherweise steigt die Dosis, je müder die Straits werden. Am Vorabend des Dortmunder Konzertes, beim Festival auf der Loreley, erlebt die Gruppe so eindrucksvoll wie nie zuvor, wie überwältigend die Zuneigung von grossen Menschenmassen sein kann. „Das war einmalig,“ erzählt Mark Knopfler. „Ich habe es nicht für möglich gehalten, daß bei einem über 20.000 köpfigen Publikum solch ein Feeling rüberkommen kann.“ Mark hat noch immer eine Abneigung gegen Konzerte vor mehr als vier-, fünftausend Leuten. Aber wenn es so läuft wie auf der Loreley, sagt er, dann sei das was anderes.

In Dortmund treffen die Straits auf ein ähnlich eingestimmtes Publikum. Jedenfalls bestätigt das nach dem Auftritt Ed Bicknall. der Manager der Band. Nachdem sie die Bühne betreten haben, schlägt ihnen minutenlanger Beifall und Jubel entgegen. Keine überschwengliche Begeisterung, sondern unglaublich warmherzige Zustimmung. Als der Beifall endlich etwas abflaut, läßt Mark den Auftakt zu „Once Upon A Time In The West“ aus der Gitarre fließen. Die Fortsetzung des Songs verschluckt der wiederaufbrandende Jubel, und noch einmal dauert es zwei, drei Minuten, ehe die Sultans Of Swing endgültig arf die Reise gehen können.

Nach Hamburg im vergangenen Jahr und Bremen im Februar dieses Jahres bringt Dortmund mein drittes Wiedersehen mit den Dire Straits. Obwohl viele Leute von dem Hamburger Auftritt in den höchsten Tönen schwärmen, weil damals alles so neu und unerwartet war, gefällt mir die Gruppe in der Westfalenhalle besser als zuvor. Das Zusammenspiel der Musiker ist noch dichter, noch nahtloser geworden, und mir fällt beim besten Willen keine andere Rockgruppe ein, in der vier Individuen ähnlich eindrucksvoll zu einem Team verschmelzen. Mark Knopfler als Sänger, Gitarrist extraordinaire und begnadeter Songschreiber nimmt zwar eine hervorragende Stellung im Bandgefüge ein; bei diesem Konzert wird gleichwohl deutlich, daß seine ganze Kunst steht und fällt mit der Zuarbeit und der Inspiration von Pick Withers, John Illsley und Dave Knopfler. Mark ohne die Straits wäre zunächst einmal nur noch die Hälfte wert. Seine ständige Abwehr der Führerrolle, die man ihm von außen immer wieder zuschiebt, resultiert wohl aus dem instiktiven Wissen um diese Rollenverteilung. In den Geschichtsbüchern der Rockmusik steht Mark Knopfler allerdings zu Recht schon jetzt an bevorzugter Stelle. Er ist der erste populäre Rockgitarrist seit Jimi Hendrix, der dem noch immer wichtigsten Rockinstrument wieder eine neue Dimension erschlossen hat. Mit den Fingern – also ohne Plektron – schlägt er auf der Stratocaster weich fließende, sinnliche Läufe, wie sie früher ansatzweise höchstens von Peter Greeen gespielt wurden. Mark ist ein außergewöhnlicher Könner auf seinem Instrument; und daß er nach dem raketenartigen Aufstieg zum Rockidol seine hohe Kunst auf der Bühne nach wie vor äußerst zurückhaltend in Szene setzt, untermauert seine besondere Stellung noch.

Die sympathische Bescheidenheit, mit der die Straits auftreten, ist mehr denn je ein Phänomen. Wären da nicht die endlose Müdigkeit in ihren Gesichtern und der Wirbel um sie herum, dann könnte man sich zurückversetzt fühlen bis zu jenem Tag im Frühjahr 1978, an dem sie in Hamburg im Büro der Phonogram-Mitarbeiterin Ingrid Jürs saßen, um ein paar Leuten ihre erste Single in die Hand zu drücken. Offen bleibt allerdings, wie lange die Band dem psychischen Erfolgsdruck noch widerstehen kann — zuviel hat sich in nur einem Jahr für sie verändert.

Erfolg kann nicht nur im positiven Sinne überwältigend sein; er kann auch niederdrükken. Ed Bicknall meint zwar, der rasche Aufstieg habe seine Vorteile („Nun haben es die Jungs hinter sich“), doch Pick Withers widerspricht ihm in aller Deutlichkeit: „Eins ist klar: wir verlieren den Boden unter den Füßen. Der Kontakt zur Realität geht flöten. Wir brauchen jetzt dringend einen langen Urlaub, um wieder klarzukommen.“ Es ist vor allem die Trennung von ganz normalen Mitmenschen, die den Straits zu schaffen macht. Seit es sich rumgesprochen hat, daß sie weltweit die steilste Karriere seit den Beatles gemacht haben, benehmen sich die Leute um sie herum immer merkwürdiger. „Am schlimmsten war Amerika!“, berichten Pick Withers und Ed Bicknall übereinstimmend. „Da wollte uns jeder Hanswurst bei der Plattenfirma und jeder Discojockey bei den Radiostationen einhämmern, daß wir den Erfolg nur ihm zu verdanken hätten. Da tauchten unzählige Typen auf, um uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und das in einer Situation, wo wir ständig unterwegs waren und eh viel Kraft brauchten, um den Kopf oben zu halten.“

Es ist heute ein offenes Geheimnis, daß Warner Brothers in Amerika sich zunächst mit Händen und Füßen wehrten, für die in ihren Augen chancenlose erste Straits-LP auch nur einen müden Dollar locker zu machen. Später, als die Sultans Of Swing dann hoch oben in der US-Charts gelandet waren, schaltete Warner im Billboard eine prächtige Anzeigenserie, in der die Company sich selbst auf die Schulter klopfte: „Woche für Woche verhelfen Warner, Elektra und Atlantic mehr und mehr neuen Künstlern zum Durchbruch.“ Als Kronzeugen für diese These wurden in der Anzeigenkampagne selbstredend die Dire Straits präsentiert…

Der Rummel in den Staaten und die Erschöpfung nach vielen Tourneemonaten führten bekanntlich dazu, daß die Straits im Mai einige Konzerte in Norddeutschland absetzten. Pick Withers gibt aber unumwunden zu, daß es da einen Tropfen gab, der das Faß zum Überlaufen brachte; ein Ereignis also, das die in der Luft liegende Absage endgültig untermauerte: das Angebot von Bob Dylan an ihn und Mark, bei den Aufnahmen zu einer neuen LP mitzuwirken. Dylan spielte mit Pick Withers und Mark Knopfler neun (!) Songs ein; herauskommen wird die LP möglicherweise schon im Herbst. Dylan machte ein noch weitergehendes Angebot: er wollte mit beiden Straits-Musikern auch Konzerte geben. „Das,“ erklärt Ed Bicknall, „haben sie dann aus Zeitgründen abgelehnt, obwohl sie durchaus Lust auf so eine kleine Extratour hatten.“

Wie geht es weiter mit den Dire Straits? Vielleicht holen sie noch in diesem Jahr die ausgefallenen deutschen Konzerte nach. Auch Amerika steht wieder auf dem Programm. Ein paar Sommerwochen lang können sie vorher aber noch in wohlverdienter Ruhe rätseln, warum es gerade sie so getroffen hat. „Darauf wissen wir immer noch keinen Reim,“ meint Pick Withers. Bei einem letzten Gespräch mit Ed Bicknall stelle ich zur Diskussion, ob die nachgewachsene „sanfte Generation“, von der seit kurzem so viel die Rede ist, in der Dire Straits-Musik ihren Soundtrack gefunden haben könnte. Ed runzelt mit den Augenbrauen und erklärt jovial, dieser Gedanke sei gar nicht so dumm…