Dieser Mann blutet für uns
Er wurde nie ein Hollywood-Star, und in den Charts wollte man einen, der sang wie angeschossen, nur selten haben. Dennoch trägt Kris Kristofferson schon seit Jahren den Titel lebende Legende.
Seine Mutter war stinksauer: In einem Brief teilte sie ihm mit, sie wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben. Jetzt, wo sein Berufsziel sei, Musik zu machen, die sich niemand anhöre, der über 14 ist. Zu dieser Zeit arbeitete Kris Kristofferson als Hausmeister in den Columbia Studios und hatte schon einmal Johnny Cash die Hand gedrückt. Heute, rückblickend auf eine ungebrochene Filmkarriere und ein unbeständiges, aber an Klassikern reiches Songwriter-Leben, nehmen sich diese Szenen wie der Gründungsmythos eines amerikanischen Helden aus.
Bis heute dominiert ein schwammig-verwegenes Image den Cash-Intimus, den „Bobby McGee“-Schreiber, der in diesen Tagen sein neues Album THIS OLD ROAD veröffentlicht. Als Billy The Kid platzte seine Brust im Peckinpahschen Todesballett unter den Kugeln. Auf der Berlinale war der Film gerade in digital restaurierter Version zu sehen. Ebenfalls mit Peckinpah entwarf er in „Convoy“ den modernen Westernhelden als Fernfahrer Rubber Duck. Auch wenn er heute in Filmen wie Vom Hausmeister zum Country-Sanger, vom Hubschrauber-Piloten zum Asphalt-Cowboy: Kristofferson zählt im Juni 70 sehr ereignisreiche Lebensjahre „Blade: Trinity“ spielt, waren es die Spät- und Post-Western, die von Kristofferson das Bild eines Kerls schufen, der bereit ist, über die Klippe ins Nichts zu springen, während sich hinter ihm die Welt auflöst.
Er hat versucht, sich diesen Gesetzlosen anzueignen und ihn nach außen gespielt, vor allem in seiner Ehe mit Delta-Lady und Country-Sängerin Rita Coolidge. Zwischen Suff, Drogen und den Frauen an den Filmsets wurde er zwar nie zum Hollywoodstar, aber er schaffte es, auch seine zweite Ehe zu ruinieren. Etwas eigenartig Unbefriedigtes ist in diesem Menschen, der kein singender Schauspieler und auch kein schauspielernder Sänger ist, sondern immer nur eins von beiden; der sich mal hier, mal da, nie lange, mal überragend, mal miserabel zeigt.
Der Hausmeisterjob in den Columbia Studios hat eine Vorgeschichte: Kristofferson wird als Sohn eines Air-Force-Generals am 22. Juni 1936 in Texas geboren, wächst aber, wie es in Soldatenfamilien so ist, an verschiedenen Orten in Amerika auf. Er ist ein Musterschüler, später Musterstudent. Zum Studium geht er nach Oxford, England. Der Elite-Stipendiat schließt dort sein Studium der englischen Literatur ab. Er heiratet seine Jugendfreundin Fran Beir, geht zur Air Force, wird Hubschrauberpilot und in Deutschland stationiert. Bis auf den mäßig geglückten Versuch einer Plattenkarriere unter dem Namen Kris Carson rauscht er bis dahin auf geraden Schienen durchs Leben.
1965 trifft man den Hank-Williams-Fan in Nashville wieder, der Goldgräberstadt für Erfolgssuchende im Countrymusikgeschäft. Auf seinen Job als Englischlehrer an der Kadettenschule in Westpoint hatte er keine Lust mehr. Man kann es einer Mutter, deren 30jähriger Sohn plötzlich auf die Idee kommt, Pop-Musiker zu werden, nicht übelnehmen, wenn sie vor Wut platzt. Als Songwriter schlägt er sich jedoch wacker. Jerry Lee Lewis, Ray Stevens, Faron Young und viele andere werden zu Abnehmern seiner Lieder. Ohne die Tradition der Countrymusik über den Haufen zu werfen, fühlten sich Kristoffersons Lieder auf aufregende Weise anders an. Den Protagonisten seiner Geschichten zerbröselte das Leben unter den Fingern. Es paßt zu seinem eigenen brüchigen Wesen, daß ihm Anfang der 80er der Saft ausgeht. Die alten Freunde Cash, Willy Nelson und Waylon Jennings, bei deren Highwaymen-Projekt er mitmischt, helfen ihm, als Musiker wenigstens präsent zu bleiben, aber Kreativität sieht definitiv anders aus.
Kristofferson ist der intellektuellste der Country-Musiker. Seine Texte sind in den besten Fällen Gedichte, die eine bestimmte Situation so plastisch machen, daß man sie zu fassen glaubt, zumindest aber riechen, spüren kann. Gebratene Hähnchen, die Kirchenglocken läuten, und dann betritt der Sänger die Straße. Im „cleanest dirty shirt“ stolpert er die Treppen vor seinem Haus hinunter, seine Fahne reicht bis zur gegenüberliegenden Straßenseite. Und diese verfluchte Sonntagsidylle schlägt ihm mit geballter Faust in die Fresse. Wo hat dieses Wrack seine Würde verloren? Mit schwer verkratztem, mutlos, todtraurig leierndem Timbre wünscht sich der Sänger, stoned zu sein. „Sunday Morning Coming Down“. Kein Wunder: Cash liebte das Stück. Bei ihm wurde der Song allerdings zu einer unheimlichen Schilderung eines verkommenen Lebens. Man spürt, wie Gott hinter schwarzen Wolken die Donnerfaust ballt, mit der er dem Sünder den Schädel einschlagen wird. Kristofferson hat mit seinen Liedern nie den Show-Off hingelegt, den andere schafften, allen voran Janis Joplin und ihre vor Freiheitsdrang und Sehnsucht splitternde Stimme in „Me And Bobby McGee“. Kristofferson dagegen singt meist, als hätte man ihn angeschossen, und nun liegt er mit tropfender Wunde in einer Ecke und verabschiedet sein Leben. Diese Mischung aus resignierendem Fatalismus und gelebtem Schmerzempfinden war selten ein Fall für die Charts. Denn hinter der Fassade des vollbärtigen Draufgängers, der sich gerade noch einen einschenkt, lauert die schwarze Galle der Melancholie, die den Songs etwas Anziehendes verleiht – und etwas Gefährliches. Sobald der Hörer zu nahe tritt, wird er überwältigt und verschlungen. www.krislcristofferson.com