Diego Wallraff
So einen Mann vor sich, und dann ist er verheiratet! Keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt, dachte sich Marion Renk-Richardson, als sie Deutschlands neueste Filmhoffnung in Los Angeles zum Kaffee traf. Naja, träumen wird man ja wohl noch dürfen, oder?
Täglich landen auf dem Flughafen von Los Angeles die Jumbos der Hoffnung. Voller erwartungsfroher Schauspieler, die es daheim schon geschafft haben und nun den Ruhm ihrer Heimat in Dollarschwere Hollywood-Karrieren ummünzen wollen. Die meisten kehren der Film-Metropole spätestens dann enttäuscht und ernüchtert den Rücken, wenn sich die harte Wirklichkeit des amerikanischen Show-Bizz nicht mit den Starlet-Träumen vereinbaren ließ. Diego Wallraff, 34Jähriger Deutsch-Kolumbianer aus Hamburg, hält’s in der Traumstadt schon lange aus, über 4 Jahre, um genau zu sein. Und der ehemalige Automechaniker bei der Hamburger Polizei macht auch die Karriere, von der seine zahllosen schauspielernden Landsleute leider nur vergeblich geträumt hatten. Einfach war s nun wirklich nicht. So viele Rollen für böse blonde Offiziere wie früher gibt’s in der Phase nach dem Kalten Krieg schon lange nicht mehr. Seit dem die US-Einwanderungsbehörden ihre Gesetze restriktiver anwenden, ist’s auch mit der Kellnerei vorbei, mit der man sich notfalls über Wasser halten konnte, bis endlich der große Durchbruch kam. Und das Traumschiff des deutschen Fernsehens dümpelt auch nicht mehr vor Long Beach, Gott sei’s geklagt. Die Luft für deutsche Talente ist trotz der Prochnows und Petersens eng geworden. Und trotzdem schafft es einer, den in der deutschen Heimat fast keiner kennt.
Nur gut, daß die Rollen für große Blonde eh‘ nicht Diegos Ding sind: Glutaugen, dunkle, lange Haare und eine knackige Figur, die den Hormonspiegel amerikanischer Kinobesucherinnen deutlich hochschnellen läßt. Da passen eher Rollen wie Angel, Anjelica Houstons kleiner Bruder, in Diegos erster Big Budget-Produktion ‚The Perez Family‘, die Geschichte einer total verrückten kubanischen Familie in Miami.
Kuck mal einer an! Eine Hauptrolle neben zwei ausgewachsenen Oscar-Preisträgerinnen, Anjelica und Marisa Tomei (‚Mein Vetter Vinnie‘), und mit einer richtig bekannten Regisseurin am Ruder, Mira Nair (‚Mississippi Massala‘), ja, die mit der Goldenen Palme aus Cannes. Wie kommt man als Absolvent der Hamburger Musikhochschule und Mitglied von Peter Zadeks Truppe zur Traumrolle als (ausgerechnet!) waschechter Kubaner mit offenem Hemd und goldenem Kreuzchen auf der nackten Brust?
Ein bißchen Glück gehöre schon dazu, gesteht der teutonische Latin Lover. „Die Produzenten des Filmes suchten eigentlich einen Schauspieler mit einem berühmten Namen. Aber Mira setzte sich total für mich ein, sie wollte mich einfach. Ich war ihre erste Wahl.“ Wer könnte ihr das auch verdenken, allen Ernstes? Aber trotz seiner so offensichtlichen Vorzüge fiel die Rolle Herrn Wallraff doch nicht ganz einfach so in den Schoß.
„Ich wollte immer schon zum Film, das allein hat mich interessiert. Und ich wollte richtig gute Filme machen. Streifen wie ‚Midnight Express‘ wurden in Deutschland einfach nicht gedreht.“ Da gab’s also nur einen Weg – Diego packt seine Siebensachen und zieht mit seiner amerikanischen Frau nach Hollywood. Kommentar der deutschen Freunde: Du spinnst ja total! Das klappt doch nie! „Deren Geschwätz interessierte mich nicht im Geringsten.“
„Nach einem knappen Jahr hatte ich endlich einen Agenten gefunden, ohne den hier sowieso nichts geht“, erinnert sich Diego, und bastelt prophylaktisch gleich an seiner eigenen Legende weiter, was immer gut ist für fragile Traumstadt-Egos: „Oder vielmehr er fand mich.“ Endlose Auditions folgen. „Von der Seifenoper bis zum Kinofilm, und alles was dazwischen liegt. Diese Prozedur kennt man in Deutschland so gar nicht, aber es gibt hier eben keinen anderen Weg, an gute Rollen zu kommen.“ Harte Schule für in ihrer Heimat verwöhnte Künstler? „Schon, aber es hat sich ja gelohnt. Wenn ich früher ’nen Film angesehen habe, dachte ich mir immer, Mensch, das kann ich auch, aber wie komme ich zu so einer Rolle? Harte Arbeit ist das.“ Und wohl auch eine Lektion in Bescheidenheit, weil man immer wieder von unten anfangen muß.
„Stimmt, bei Dreharbeiten in Hollywood herrscht ein ganz anderes Klima als in Deutschland. Auf der einen Seite ist der Druck viel größer, weil eben unheimlich viel Geld auf dem Spiel steht. Der Produzent schaut ständig auf die Uhr. Mir war immer klar, daß ich meine Karriere einpacken kann, wenn ich hier Mist baue. Dann war das mein letzter Film in Hollywood.“
Auf der anderen Seite ist die Arbeit mit arrivierten Stars wie Anjelica Houston oder Marisa Tomei ein Lemstück für Diego aus Hamburg. „Beim ersten Treffen mit Anjelica war ich unglaublich nervös. Sie dagegen war einfach wunderbar, total souverän und unglaublich großzügig, weil sie mich immer fühlen ließ, daß ich dazu gehöre. Selbst bei der hundertsten Einstellung war sie immer noch voll da. Eine sensationelle Frau. Naja, drei Generationen von Oscar-Preisträgern in der Familie, kein Wunder.“
Trotz dieser Erfahrungen bleibt Deutschlands Hollywood-Hoffnung auf dem Teppich.
„Es gibt kein Rezept für den Erfolg. Mir war ja klar, daß ich keine ‚deutschen‘ Rollen bekommen würde. Also mußte ich meinen deutschen Akzent wegkriegen und mir andere – amerikanische – Akzente zulegen, den Puerto Ricaner aus New York, den Mafiosi, den Kubaner aus Miami, den edlen Spanier. Aber das habe ich jetzt alles drauf. Hier muß man ständig daran arbeiten, auf alles vorbereitet zu sein. Letztendlich entscheidet das Glück, aber man muß darauf vorbereitet sein und es festhalten, wenn es anklopft.“ Und dann setzt er – Hollywood-trainiert – noch einen drauf: „Ich hab’s geschafft.“
Darf er ruhig sagen. Die ‚Perez Family‘ ist nicht Diegos einziger Film. Im Sommer startet ‚Of Love and Shadows‘, die Verfilmung von Isabell Allendes Roman, in dem er Antonio Banderas kleinen Bruder spielt. Schon wieder „der Kleine“? Ist das Diegos Schublade? „Antonios Karriere in den USA begann auch so. In den ‚Mambo Kings‘ spielte er Armand Assantes Bruder“, lacht Diego, und wenn Diego lacht, freut sich die Welt, jedenfalls die weibliche. „Und schau, was aus ihm geworden ist!“ Immerhin hielt Madonna öffentlich um Banderas Hand an, und Melanie Griffith verließ ihren Ehemann Don Johnson für Antonio, fällt mir dazu ein, und frau überlegt sich schon, ob Diego vielleicht doch… Aber nein, der Mann ist – wie er sagt sehr glücklich mit Jessica verheiratet, die ihm vor zehn Jahren in Hamburg über den Weg lief. Frau hofft, daß Jessica weiß, was sie an ihrem Gatten hat. „Sie führt ein Fitness-Studio, da arbeite ich auch mit und damit halten wir uns über Wasser, wenn es für mich mal keine Filmjobs gibt.“ Vielleicht könnte ich ja mal vorbeischauen, ein bißchen Sport. Und so weiter.