Klar dreht sich bei Zugezogen Maskulin vieles ums Aussehen und die engelsgleichen Stimmen. Doch in den Texten von Grim104 und Testo steckt auch einiges an Tiefe.
Liebe Deutschklasse, herzlich willkommen zu unser heutigen Stunde, in der es um Gedichtinterpretationen gehen wird. Wir kümmern uns um die Könige der Mehrdeutigkeit: Zugezogen Maskulin. Mit ihren engelsgleichen Stimmen betören uns Grim104 und Testo immer wieder aufs Neue und lassen uns dabei fast vergessen, dass die Texte bei den mit Abitur gesegneten Dichterfürsten noch bedeutsamer sind als der Vortrag.
Den besonderen Clue ihres Werks macht die Hintersinnigkeit aus. Immer wieder glänzen ZM mit Andeutungen, Zitaten und Insidern. Dabei gelingt es ihnen, nie die Message aus den Augen zu verlieren. Egal, ob es um schlechten Rap, Nazis oder Kapitalismuskritik geht – Grim und Testo eiern nicht rum, sie sprechen die Scheiße direkt an.
Dazu ein paar Beispiele:
„Du kommst in den Backstage und schaust erstmal dumm,
denn ich mach grad mit dem Backup deiner Vorgruppe rum.“
(Grim104 in „Alles Brennt“)
Gleich mit dem ersten Satz des Albums ‚Alles Brennt‘ legt Grim die Messlatte ganz nach oben. Diese Line funktioniert auf mehreren Ebenen. Zum einen zieht Grim die Ängste und Vorurteile von Rappern gegenüber Homosexualität ins Lächerliche. Zum anderen ist diese Line ein absoluter Rap-Insider, denn sie bezieht sich auf ein uraltes Bushido-Videostatement. Darin berichtet Bushido (übrigens mit seinem damaligen Zieh-Sohn und jetzt Erzfeind Kay One an seiner Seite) über ein Sido-Konzert aus den Aggro-Berlin-Anfangstagen, bei dem Sido im Backstage mit dem Backup der Vorgruppe rumgeknutscht habe. Was Bushido natürlich höchst ekelhaft fand…
„ZM-Gang, unsere Double Cups sind Schierlingsbecher“
(Testo in „Alles Brennt“)
Derselbe Song noch einmal, dieses Mal mit einer Line von Testo. Die Line selbst ist eine Kleinigkeit (sind ja auch nur sieben Wörter), aber groß in Aussage: Double Cups benutzen Rapper jüngeren Datums, um literweise Purple Drank aka Lean aka Kodein aka Hustensaft in sich reinzuschütten. Testo spricht von Schierlingsbechern, Becher, in denen zum Tode verurteilten in der Antike das Gift gereicht wurde, mit dem sie sich dann selbst richten mussten. So wurde etwa Sokrates hingerichtet. Während sich also die Rapwelt mit Purple Drank wegballert, verteilen ZM Schierlingsbecher in der Szene.
„Als Kind lebte ich an einem Teich,
jede Nacht riefen die Frösche mich durchs Fenster heim in ihr Reich“
(Grim104 in „Frosch“)
„Frosch“ ist nicht nur eines der besten Lieder aus dem ZM-Kosmos, es ist auch eines der persönlichsten. Grim verarbeitet hier seine Jugend in einem norddeutschen Dorf, in dem es offenbar immer wieder Kontakte zu Nazis gegeben hat. Die Masse ruft ihn „heim ins Reich“—eine deutliche Anspielung auf die vor allem aus Österreich bekannte Naziparole. Auch später kommen im Song noch Andeutungen auf Berührungen mit der rechten Szene, etwa die Landser-CDs, von denen Pep gezogen wird. Im Vergleich mit Testos Jugendaufarbeitung „Plattenbau O.S.T.“ (s.u.) verklausuliert Grim ziemlich, er arbeitet viel mit Andeutungen und Mehrdeutigkeiten, Märchen spielen eine Rolle, und die düstere Atmosphäre rund um den Froschteich ist wichtiger als der konkrete Inhalt.
„Opfer alles für den Lebenslauf – mein Leben auch.
Leerer Blick statt leerer Bauch – ein fairer Tausch“
(Testo in „Keine Ahnung Wo“)
https://www.youtube.com/watch?v=HSDEFd2FWAY
ZM üben in gewisser Regelmäßigkeit Kritik an einem modernen Lebensstil, in dem man sich stumpf der Arbeit für irgendwelche Kapitalisten opfert, immer funktioniert, brav ist und glaubt, dass die Exzesse, die man sich innerhalb dieses Systems gönnt – etwa Drogenexzesse, Technoclubs oder teure Klamotten – ein Zeichen von Freiheit wären. Dabei sind sie genau das Gegenteil, nämlich das Vortäuschen von Freiheit. Testos Line in „Keine Ahnung Wo“ konzentriert sich dabei vor allem auf den Arbeitsaspekt: Der Lebenslauf der Generation Y muss perfekt sein, dafür wird alles geopfert. Wenn man dann damit eine Anstellung ergattert hat, wird man wenigstens satt, wenn auch das Leben, das man führt, komplett leer ist.
„Es ist endlich wieder Krieg, vom Berghain an die Front,
Kids, erst wird geballert, dann wird gebombt“
(Grim104 „Endlich wieder Krieg“)
Auch hier die Kritik am Lebensstil der Großstadtjugend: Berghain, Drogen, Leere. Grim führt in nur drei Worten die Bigotterie sowohl dieses oberflächlichen Lifestyles als auch der zugehörigen Jugendsprache vor: Erst ballern (also koksen), dann bomben.
„Wir saufen um die Wette
und dann tanzen wir zu Aggro-Ansagen
im Blaulicht der Krankenwagen“
(Testo in „Plattenbau O.S.T.“)
Im Song „Plattenbau O.S.T.“ verarbeitet Testo seine Jugend in einem Stralsunder Plattenbau. In dieser Zeile gelingt es ihm, all die Tristesse dieses Lebens einzufangen.
„Novemberregen, beste Zeit zum Pilze nehmen.
Ganz entspannt, schauen uns feindselig paar Stunden an.
Bis wir ein Mobbingopfer gefunden haben,
ich lache, bis die Tränen kommen
und weine dann den Rest des Abends“
(Testo in „Grauweißer Rauch“)
Viel besser kann man die Wirkung von halluzinogenen Drogen kaum beschreiben. Es ist ja nicht immer alles Euphorie und geil und schön, sondern auch verdammt verwirrend und manchmal beängstigend. Zum Beispiel, wenn man sich auf dem Pilztrip stundenlang feindselig anglotzt. Oder der Lachflash nahtlos von einem Heulkrampf abgelöst wird. Die zeitliche Verortung im November macht nicht nur Sinn, weil die Pilze im Herbst gesammelt werden, sondern ist auch eine Anspielung auf erstens die wohl deprimierendste Jahreszeit in Deutschland sowie den gleichnamigen Guns-N’-Roses-Song.
„Diese Menschheit ist für’n Arsch,
ich schreibe darüber und werde ein Star.
Umso mehr kaputt geht,
umso mehr hab‘ ich auf der Bank“
(Testo „Ratatat im Bataclan“)
https://www.youtube.com/watch?v=iHvTlwQ4M5U
Testo greift die Scheinheiligkeit von Experten und Welterklärern an, die Bücher darüber schreiben, wie kaputt die Welt ist und sich am Verkauf schamlos bereichern. Oft wird die Panik mit solchen Büchern bewusst angeheizt, was am Ende zu noch besseren Verkäufen führt. Thilo Sarrazin ist Experte in dieser Disziplin. Eine ganz ähnliche Kritik übt übrigens auch Antilopen-Gang-Mitglied Koljah im Song „Der Goldene Presslufthammer“ mit der Zeile: „In Zeiten der allgemeinen Überflüssigkeit wird es immer jemanden geben, der da Bücher drüber schreibt.“ Aber ZM und die Antilopen sind ja auch befreundet.
„Hinterland im Ascheregen vorm Asylbewerberheim“
(Grim „Ratatat im Bataclan“)
Gleich noch eine Zeile aus dem aktuellsten Song: Hier ist das Schöne die Analogie zu Casper, denn „Hinterland“ und „Ascheregen“ sind beides Casper-Songs. Allerdings lässt uns der Ascheregen vorm Asylbewerberheim eher an das sächsische Hinterland denken, ob Casper daran auch schon mal einen Gedanken verschwendet hat?
„Grim, sag mal bitte einen von deinen schlauen Sätzen!
Die Kritik an Hipstern kann die Hipster der Kritik nicht ersetzen!“
(Grim in „Agenturensohn“)
Grim ändert ein Zitat von Karl Marx und zeigt dadurch ganz nebenbei wie schlau er ist, was er mit dem vorangestellten Satz allerdings schon ironisiert hat. Aber nicht nur das. Er würdigt mit diesen Zeilen auch die Beginner, die – damals noch als Absolute Beginner – dieses Zitat 1994 (!) auch schon mal verwendet haben. Zudem wurde der Beginner-Song „Die Kritik An Platten Kann Die Platten Der Kritik Nicht Ersetzen“ bei Buback veröffentlicht, dem Label, bei dem zwanzig Jahre später auch ZM gesignt haben – das Zitat ist also auch noch eine Reminiszenz an das Label.
Zugezogen Maskulin spielen am 2. September 2016 bei der MUSIKEXPRESS KLUBTOUR in Berlin – hier könnt Ihr noch Tickets bekommen.
