Die Toten Hosen


Altbier und eisgekühlter Bommerlunder, Damenwahl und ein kleines bißchen Horrorschau. Damit kann man reich und sexy werden. Jedenfalls dann, wenn man eine Tote Hose ist. Seit 14 Jahren machen die Paradepunks die Republik unsicher - und ein Ende ist nicht in Sicht.

Wie fühlt man sich nach 14 Jahren Tote Hosen?

Campino: Wenn du mir vor 14 Jahren gesagt hättest, es wird uns 14 Jahre lang geben, ich hätte es im Leben nicht geglaubt. Und ich glaube auch heute nicht, daß wir in 14 Jahren noch da sein werden…aber wahrscheinlich wird es doch der Fall sein.

Breiti: Wenn wir uns Anfang des vergangenen Jahres aufgelöst hätten, und irgendwer hätte uns dann gesagt, im Sommer hättet ihr noch dieses Eishockeyspiel gegen die Leningrad Cowboys machen können, dann hätte ich mich in den Arsch gebissen. Ein paar Sachen von der Sorte warten bestimmt noch. Und solange man da noch heiß drauf ist, so lange macht man da noch weiter.

Campino: Wenn ich ein Resumé über mein Leben ziehen würde und die schönsten Sachen meine Lebens .au/zählen würde, dann würden 90 Prozent aller Dinge aus meinem Leben mit den Toten Hosen stammen. Und das ist eine Ausbeute, auf die möchte ich nicht verzichten.

Alleine die Chance einmal die ganzen Jungs kennengelernt zu haben, die für einen in der Jugend die Religion gewesen sind und zu sehen, daß die wirklich so waren wie man sich das erhofft hatte und dadurch ein ganz anderes Verhältnis zu seiner Vergangenheit zu bekommen wie andere, die nie die Chance hatten, ihre Idole zu sprechen. Nicht jeder konnte mit den Rolling Stones sprechen, obwohl die vielleicht sein Leben verändert haben. Wir hatten das Glück, daß unsere Helden nicht so weit oben am Himmel wie die Stones waren. Sham 69 zum Beispiel konnte man eben mal in der Kneipe begegnen.

Campino, du hast vor fünf Jahren gesagt: „Wir sind eine kranke Band für ein krankes Volk“. Hat sich an dieser Situation in den letzten Jahren etwas geändert?

Campino: Das Volk ist mit Sicherheit nicht gesünder geworden, nur ich bin gesünder geworden. Aber man kann natürlich auch eine gesunde Band für ein krankes Volk spielen lassen. Ich kann nicht sehen, daß die Leute irgendwo positiver drauf wären oder daß sich die Zeiten gebessert hätten. Die ganzen Probleme, die die Wiedervereinigung mit sich gebracht hat, sind noch nicht verarbeitet. Es wird auf lange Sicht eine Ost-West-Rivalität geben, das Zusammenwachsen hat nicht geklappt.

Krank finde ich auch, daß die Leute – obwohl sie wissen, daß es so nicht weitergehen kann – armseligerweise am Kanzler festhalten, nur weil das eine Institution ist, mit der man nicht untergegangen ist, also wird man auch nicht mit ihr untergehen, solange er dran bleibt. Der Kerl wird wiedergewählt, egal wer sich gegen ihn stellt. Deutschland ist irgendwo richtig weinerlich. Alle klagen, aber keiner reißt sich ein Bein aus, um etwas zu verändern. Die Gesellschaft ist schon von den Idealen her krank.

Heißt euer neues Album deshalb ‚Opium fürs Volk‘?

Campino: ‚Opium fürs Volk‘ ist sicherlich eine Anspielung, die darauf abzielt. In ‚Opium fürs Volk‘ sehen wir all das, was die Leute beruhigt, was sie in ihren Sesseln bleiben läßt. Bloß keine Rebellion machen, bloß nicht wach werden, aufstehen, Terror machen, bloß nicht ungemütlich werden. Letztenendes sind wir auch irgendwie ‚Opium fürs Volk‘.

Als jemand, der in dieser Gesellschaft lebt, ist es verdammt schwer, sich da rauszuhalten. Insofern ist der Titel auch mit einem gewissen Augenzwinkern zu verstehen.

Andi: Wir sind sicherlich in so manchen Fernsehsendungen aufgetaucht und wir werden auch sicherlich noch in so mancher Fernsehsendung auftreten, die genau das transportiert und wir sind letztendlich auch ein Teil davon. Man kann sich dem nicht völlig verschließen.

Apropos Opium, euer Drogenkonsum ist in den letzten Jahren ja offensichtlich zurückgegangen. Woher nehmt ihr jetzt eure Kicks?

Campino: ‚Opium fürs Volk‘ meint ja bekanntlich Religion und nicht die Droge. Die Droge als solches finde ich gut. Ich bin sogar auch für Opium fürs Volk. Zum Teil holen wir uns unsere Kicks immer noch bei Drogen.

Wir machen aber jetzt nicht so einen auf Aerosmith nach dem Motto: „Jungs, Mädels, glaubt mir, ich habe die Hölle gesehen, aber ich kann euch sagen, das lohnt sich nicht.“ Das ist Blödsinn. Wenn wir Parties feiern, dann auch richtig.

Ich habe mir aber schon mein ganzes Leben lang Kicks auch von anderen Dingen geholt als nur von Drogen. Einen Kick hast du, wenn du eine tolle Bands siehst, wenn du einen Menschen triffst, den du liebst, wenn Fortuna Düsseldorf den Aufstieg schafft. Es gibt viele Sachen.

Seit dem letzten regulären Album der Toten Hosen sind knapp drei Jahre vergangen. Seitdem hat sich einiges in der Musikszene getan. Punkrock hat wieder an Bedeutung gewonnen. Man sehe sich nur den Erfolg von Green Day, Rancid und Offspring an. Seht ihr euch bestätigt?

Campino: Bestätigt dahingehend, daß wir immer daran geglaubt haben, daß Punkrock eine Art von ganz hart gespieltem Pop ist und Punkrock auch Hits bringen kann.

Ich persönlich habe über 250 Green Day-Alben, die von Bands eingespielt worden sind, die nicht Green Day heißen. Green Day machen nichts Neues, solche Punkbands hat es immer schon gegeben. Und wer solche Musik liebt, darf sich freuen, noch eine Menge Schätze aus der Vergangenheit zu entdecken.

Von 1977 bis heute hin hat es immer wieder Gruppen gegeben, die solche Perlen wie diese Platten gemacht haben. Allerdings würde ich nicht den Fehler machen, das heutige Phänomen Punkrock mit damals zu vergleichen, denn dann würde man der Sache von damals sehr, sehr ungerecht werden. Ich mag gar nicht mehr mit Leuten über Punkrock reden, weil die immer nur Green Day und Offspring damit verbinden und ich im Grunde über einen völlig anderen Planet rede – nämlich nicht über den Planet Punk.

Wie lautet eure persönliche Definition von Punkrock?

Campino: Den Begriff Punkrock gibt es in dem Sinn nicht mehr für mich. Punk ist ein Etikett für eine gewisse Zeit, für einen Randbereich rebellischer Musik, aber die hat es immer unter anderem Namen gegeben. The Who und ‚My Generation‘, das war auch Punkrock, ohne daß man das Wort dafür benutzt hat. Die Beatles und ‚Heiter Skelter‘, ihre Drogenzeit, laß ich voll durchgehen als Punkrock-Erfahrung, die Kinks mit ‚You Really Got Me‘, das war eine Revolution in diesem Moment. Das ist in seiner Form alles Punkrock, auch frühe Rap-Sachen hatten diese Power.

Andi: Es kommt darauf an, wie die Leute im Kopf drauf sind.

Campino: Wer sich heut alles Punkrock auf die Jacke schreibt und nichts damit zu tun hat, das ist einfach unglaublich. Ich möchte nicht diesen Fehler machen, uns unter dem Begriff Punk zu verstecken.

Eure Musik war immer rauh, spontan und dreckig. Inwieweit beschäftigt ihr euch überhaupt mit technischem Kram wie Computern oder Synthesizern?

Campino: Früher waren wir Puristen, da haben wir es gehaßt, technische Hilfsmittel zu nehmen. Das hat sich im Laufe der Zeit geändert.

Die Melodie zählt, das ist das wichtigste, und wenn die im Kopf ausgedacht ist, dann ist jedes Instrument der Welt gut, um mehr Druck reinzukriegen um die Sache dahinzubewegen, wo du sie haben möchtest.

Breiti: Wir hassen es, wenn Bands live Computer einsetzen und Samples verwenden und du hörst dann einen Chor singen, den niemand sieht.

Campino: Die Leute kriegen doch das, was sie wollen bzw. was sie verdienen. Wer zu einem Madonna-Konzert geht und erwartet, handgemachte Musik zu hören, ist selber schuld. Das weiß man doch, daß das Getanze zu Tape-Musik erfolgt. Wir selber können so was halt nicht, wir kommen aus einer anderen Schule.

Wie geht ihr mit neuen Medien um? Wird es jemals eine CD-ROM von den Toten Hosen geben?

Andi: Wenn du sowas machst, mußt du dich sehr stark damit beschäftigen, und dazu fehlt uns momentan die Zeit. Wir gehen auch nicht ins Internet, nur weil das gerade die hipste Sache der Welt ist.

Campino: CD-ROMs bergen die Gefahr, daß Musikbands als viel mehr angesehen werden als sie in Wirklichkeit sind. Wir sind verantwortlich für unsere Texte, unsere Musik und unsere Schallplatten. Aber schon im Bereich Video geht es los, daß wir Leute bzw. die Fähigkeiten von Leuten brauchen, ohne die wir das alles nicht mehr machen könnten.

Da ist der Regisseur, der Kameramann, der Aufnahmeleiter. Im Grunde aber hat das nichts mehr mit unserer Musik zu tun. Und auch eine tolle CD-ROM hat in diesem Moment nichts mehr mit unserer Musik zu tun.

Dann wird das Video auf Viva zwischen den Rolling Stones, Peter Gabriel und all den anderen Cracks gesendet, die die besten Techniker der Welt am Start haben und dann sagst du natürlich: ‚Was war denn das für ein albernes Video in der Mitte?‘ Du hast keine Chance, zumal es den Zuschauer nicht interessiert, wie hoch der Etat war und ob die Band aus Deutschland oder aus LA kommt.

Da fühlst du dich an die Wand gepresst, weil du einfach mit anderen Suppentöpfen kochst.

Wenn ihr im Frühjahr auf Tour geht, werden Fans in den Hallen stehen, die zum Teil 20 Jahre jünger sind als ihr. Könnt ihr deren Sorgen, Ängste, deren Sicht der Dinge überhaupt noch nachvollziehen?

Campino: Wir machen keine Musik für einen Markt und insofern interessiert es uns auch nicht, wie alt die Leute da draußen sind. Wir versprühen eben ein gewisses Lebensgefühl und wenn Leute – egal welchen Alters – das nachvollziehen können, dann ist das in Ordnung.

Andi: Ich sehe mir auch Bands an, die 20 Jahre älter sind als ich. Wenn die Leute damit klarkommen, was ich auf der Bühne mache und ich denke, das ist nicht peinlich, was ich da abziehe, dann ist das Ordnung,

Breiti: Ich finde es solange gut, wie das Publikum gemischt ist, wie sowohl 15jährige als auch 35jährige kommen. Ich würde dann anfangen, mir Gedanken zu machen, wenn nur noch über 30jährige kommen würden.

Campino: Daß soviele Kids zu uns kommen, wird wohl auch daran liegen, daß die Generation der Jüngeren noch keine eigene Band hat, die dieses Feeling versprüht, das wir versprühen. Für mich wäre es voll akzeptabel, wenn eine junge Punkband in Deutschland käme und sagen würde: ‚So Hosen, ihr habt jetzt ausgedient, wir sind dran.‘ Aber die gibt es nicht, weil es keine Band gibt, die so drauf ist wie wir. Um sich Musik und Texte von jemand anzuhören, muß derjenige ein wenig älter sein. Im Grunde übernehmen wir so eine ähnliche Funktion wie ein großer Bruder. Auf unseren frühen Platten haben wir schon mal Erfahrungen verarbeitet über die Schule. Zum Beispiel in dem Song ‚Willi muß ins Heim‘ (auf ‚Opel-Gang’/Anm. d. Red.). So etwas würde mir heute nicht mehr einfallen, weil das Erfahrungen sind, die ich nicht mehr so gut nachvollziehen kann.

Wir sind inzwischen einfach auf einer anderen Stufe. Abschließend möchte ich dazu sagen, daß ich mich vor zehn und auch noch vor fünf Jahren wesentlich älter und kaputter gefühlt habe als heute.

Ich bin heute wesentlich trainierter, viel fitter. Mit Ende der Teenzeit war ich – vom ständigen Alkohol, vom ständigen Bedröhnt-Sein – körperlich schon 40. Das habe ich in den letzten Jahren abgestellt und das tut mir gut.

Der BUNTEN hast du gesagt, daß ihr „aus Versehen Geld verdient“ habt. Was wäre passiert, wenn dieses Versehen nicht eingetreten wäre?

Campino: Vielleicht würde der eine oder andere von uns einem ordentlichen Beruf nachgehen. Ich glaube, daß jeder von uns froh ist, da zu sein, wo er jetzt ist. Ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden und weiß, daß ich eine Menge Glück gehabt habe, glaube aber, daß viele andere Leute auch ein ganz tolles Leben haben.

Man muß nicht eine Tote Hose sein, um eine gute Zeit hier auf der Erde zu verbringen. Und man muß schon gar nicht die Toten Hosen gehört haben, um eine gute Zeit zu haben.

Was bedeutet Luxus für euch?

Campino: Ich bilde mir nichts ein auf Kohle. Das läßt sich für jemand, der keine finanziellen Sorgen mehr hat natürlich leicht sagen. Luxus wäre für mich, mal ein halbes Jahr wegfahren zu können. Luxus ist ja immer das, was du nicht hast.

Irgendwann bist du für die Leute der Millionär und wirst in einem Satz genannt mit Lothar Matthäus, Berti Vogts, Julio Iglesias und Peter Gabriel. Das ist natürlich Stumpfsinn. Wir sind für gewisse Verhältnisse sehr sehr erfolgreich aber in irgendwelchen Bestverdiener-Listen tauchen wir nicht unter den ersten 1000 auf. Ich kann mit bestem Gewissen sagen, daß ich noch kein Millionär bin. Wenn ich das werden würde, wäre mir das eine Annonce in der Tageszeitung wert.

Virgin, euer langjähriger Vertriebspartner hat im vergangenen Jahr die Böhsen Onkelz unter Vertrag genommen. Das heißt, alle eure Platten, vom aktuellen Album einmal abgesehen, erscheinen bei der gleichen Firma wie die der Böhsen Onkelz. Wie steht ihr dazu?

Campino: Wir haben Virgin verlassen, bevor die Onkelz dort ins Gespräch kamen, aber ich bin mir sicher, daß die Böhsen Onkelz nicht bei der Virgin unter Vertrag wären, wenn die Toten Hosen heute dort noch unter Vetrag wären.

Diese ganze Diskussion über die Onkelz geht mir tierisch auf die Nerven. Und wenn ich mir deren Texte durchlese…die bringen mir nichts. Wenn jemand singt, er möchte lieber im Kugelhagel sterben als zu Hause im Sessel, dann möchte ich damit meine Zeit nicht verschwenden.

Die Toten Hosen sind bekannt als große Fans von Fortuna Düsseldorf, Campino hat sich für die Süddeutsche Zeitung schon mit Berti Vogts unterhalten. Wann nehmen die Hosen einen Song mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf?

Campino: Nie. Der DFB ist das verquasteste Unternehmen überhaupt, das im Sport zu finden ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sich soweit annähert. Ich würde mich weigern, mit Lothar Matthäus auch nur zu reden. Der Großteil der Fußball-Profis hört Peter Maffay und wählt ansonsten die CDU – und das reicht mir nicht. Das ist keine Basis, auf der ich mich mit jemandem unterhalten kann, geschweige denn mit ihm zusammen Lieder singen.