Kritik

Die Serie „Run“ auf Sky: Alte Lieben sollte keiner aufwärmen, das ist nur traurig (und brutal)


Mit Phoebe Waller-Bridge schrieb Vicky Jones „Fleabag“, „Crashing“ und auch eine Folge von „Killing Eve“ – jetzt kommt mit „Run“ ihre erste eigene Serie. Die könnte einfach nur von einem herrlich romantischen Trip erzählen und damit begeistern – wären da nicht die ziemlich überraschenden und sehr einschneidenden Thriller-Momente, die der ganzen Story mehr „The End of The F***ing World“- als „Die Braut, die sich nicht traut“-Feeling geben.

So richtig überragende romantische Serien sind rar. Also die, bei denen sich nicht eine Klischee-Klatsche auf die nächste stapelt. Phoebe Waller-Bridges „Fleabag“ bekam das in den zwei Staffeln schon ganz gut hin. Die in Deutschland bei Amazon Prime Video laufende Serie erlaubte dreidimensionale, sich weiter entwickelnde Charaktere, die auch mal eine Sache sagen und im Laufe der nächsten Episoden etwas anderes meinen können. Und obendrauf auch noch locker den Bechdel-Test bestehen.

Doch die britische Golden-Globe-Gewinnerin Waller-Bridge ist nicht allein verantwortlich für den Erfolg des Formats über eine Frau, die versucht, wieder Oberwasser in ihrem Leben zu bekommen. Unterstützung bekam sie beim Drehbuchschreiben von ihrer Freundin Vicky Jones. Die beiden kennen sich schon lange – Jones führte noch bei dem Vorgänger zur Serie, dem Theaterstück „Fleabag“, Regie, das 2013 erstmalig in Edinburgh aufgeführt wurde. Danach folgten mit den Serien „Crashing“ und „Killing Eve“ weitere gemeinsame Projekte. Und nun bewegt sich Jones aus dem Hintergrund und präsentiert mit „Run“ eine erste, eigene Serie. Naja, zumindest übernimmt Phoebe Waller-Bridge hier nur eine kleine Rolle und sonst nur den Produzentinnenposten. Aber inhaltlich bietet das HBO-Format das, was aktuell so selten ist: eine wirklich solide, romantische Geschichte. Und als Extra gibt es noch etwas Grusel obendrauf.

Amazon Prime Video: Die wichtigsten neuen Serien und Filme im April 2020

https://www.youtube.com/watch?v=x9gnW8TAP2U

Der Thrill in der Romantik

In „Run“ geht es um Ruby (Merritt Wever, im kleinen Rahmen dermaßen genial aufspielend wie in der Serie „Unbelievable“) und Bill (auch top, wie immer: Domhnall Gleeson) und die Frage, was man tun sollte, wenn sich urplötzlich die Jugendliebe wieder bei einem meldet, um es noch mal miteinander zu versuchen? Also eine wahnsinnig rosarote Ausgangslage, die einem hier von Jones präsentiert wird. Doch es soll längst nicht darum gehen, sieben Episoden seicht im Gefühlschaos dahinzuplätschern. Die zwei haben so einige, extreme Situationen zu meistern, die sich weit aus dem Genre-Fenster herauslehnen und immer mal wieder gen Thriller schielen.

„Unbelievable“ auf Netflix: Stell' Dir vor, Du wurdest vergewaltigt – und keiner glaubt Dir

Schon der Start lässt einen in alle möglichen Richtungen denken. Da sitzt Ruby in ihrem geparkten Familienauto, als auf ihrem Handydisplay eine Message von Billy einzig mit dem Wort „RUN“ auftaucht. Und schon bekommt sie einen Schweißausbruch, die Finger zittern, sie atmet schwer, Rotze läuft aus ihrer Nase. Nach einer Weile tippt sie die gleiche Buchstabenfolge, ebenfalls nur in Großbuchstaben, als Antwort in die Tasten und sendet. Ruby starrt ins Leere, eine Ewigkeit scheint zu vergehen. Doch nach dieser ausgedehnten Anfangsszene geht alles so überzackig, wie es der Serientitel vermuten lässt. Unsere Protagonistin rast zum Flughafen, stylt sich in der Wartehalle noch mal mächtig auf, wechselt bei der Ankunft in New York in einen Zug – und schwupps, da steht sie Knall auf Fall neben Billy, der ihr die Nachricht geschickt hat, der ihre Jugendliebe ist, der erst einmal so tut, als würden sie sich in genau diesem Zugabteil erstmalig kennenlernen. Sie geben sich die Hand. Es knistert. Das interpretiert man beim Zuschauen natürlich nur rein, aber besser hat es seit „Fleabag“ Season 2, in der die Hauptdarstellerin mit einem Priester über möglichen Sex spricht, in einer romantischen Serie nicht mehr geknistert.

Die Enge des Zuges wird so genial genutzt wie in Wes Andersons „Darjeeling Limited“

Erst langsam entblättert sich die Back-Story von Ruby und Billy. Die beiden stellen sich als die erste große Liebe füreinander heraus, aber sie waren noch zu jung, um miteinander alt werden zu können. Also trennte sich das Paar. Ruby hat mittlerweile einen Ehemann und zwei Kinder. Billy ist ein erfolgreicher Buchautor und Motivationsredner. Aber über diese Fakten sprechen sie nicht einfach so miteinander. Gezeigt werden sie lediglich in kurzen Rückblenden, die immer noch viel Raum für unzählige weitere Fragezeichen lassen. Aber das macht die Serie „Run“ so umfassend gelungen und weit weg von jeglichem Kitsch. Die zwei wollen sich ganz neu, ohne Altballast, kennenlernen. Nur diese Zeit im Zug zählt, drumherum rein gar nichts. Also fahren wir mit ihnen endlose Tage und Stunden im Chicago-Bound-Train und verstehen: Erst wenn die Zugfahrt zu Ende ist, wollen sie entscheiden, ob sie zusammenbleiben oder in ihre alten Leben zurückkehren wollen. So lange lernen wir wirklich alle Ecken des engen Zuges kennen, der in ähnlich aufregenden Perspektiven wie in Wes Andersons „Darjeeling Limited“ gezeigt wird.

„The French Dispatch“: Der Trailer zum neuem Film von Wes Anderson ist da

Was für ein Gewinn: Der spontane Genre-Wechsel

Es gibt unzählige Augenblicke der Spannung zwischen den beiden, doch immer wieder kommt etwas dazwischen, was wichtiger als Knutschen und Fummeln ist: eine Stalkerin und Erpresserin (erinnert an ihre „Good Wife“-Performance: Archie Panjabi) zum Beispiel. Umstände, die zum Streit und dann sogar zur panischen Flucht führen. Es ereignen sich sogar so blutige Szenen, das an überhaupt gar nichts Knisterndes mehr zu denken ist. Spätestens ab Folge 5 geht es nämlich wirklich nicht mehr darum, den anderen mit möglichst viel Witz und Charme ins Bett zu kriegen. Die UK-Regisseurin und Drehbuchautorin Vicky Jones wechselt so spontan ins Thriller-Genre, wie sich ihr Darsteller-Pärchen dazu entschlossen hat, überhaupt auf diesen Trip zu gehen.

„The End of the Fucking World“ auf Netflix: Viel Welthass auf Britisch

Fazit: „Run“ macht absolut süchtig. Jede Folge ist mit ihren 30 Minuten eigentlich zu kurz, sieben Episoden insgesamt reichen schon mal gar nicht. So viel mehr möchte man über die Pre-Zugzeit erfahren, weitere von ihren schrägen Insider-Gags hören, sich genauer mit der von Phoebe Waller-Bridges gespielten Eigenbrötlern, die tote Tiere sammelt, befassen.

Jones Serien-Regiedebüt ist auf ganzer Linie geglückt. Es ist ähnlich atem- und rücksichtslos wie „The End of The F***ing World“, nur mit mehr zwischenmenschlicher Wärme. Denn was die Story von „Run“ so perfekt macht: Ruby und Billy könnten sich in einer Lieblingsschnulze befinden, aber es wird die Gelegenheit genutzt, um mal die realistischere Darstellung einer alten großen Liebe aufzuzeigen. Und was sich in ihrer Vorstellung wunderschön anhörte, entpuppt sich als eine Aneinanderreihung trauriger Versuche etwas längst Vergangenes aufzuwärmen. On top bleibt es nicht bei diesem Realitätscheck, nein, das Zusammentreffen gipfelt in einem Horror-Szenario, das selbst die Serienenden von „Fleabag“ in den Schatten stellt.

Die erste Staffel (sieben Folgen, je 30 Minuten) von der HBO-Serie „Run“ startet in der Nacht vom 12. auf den 13. April 2020 in der Originalfassung auf Sky Ticket, Sky Go und über Sky Q.

HBO
HBO