Die Schwere Geburt
Schnell mußte es gehen. Nach dem Erfolg von „im Hin 1 Alu“ sollte die lp umgehend auf den Markt, war aber nicht. Die Produktion war dermaßen mißlungen, daß man das komplette Material ein zweites Mal aufnehmen mußte. Sylvie Simmons besuchte Of ra Haza in London.
Gemeinsam mit ihrem Manager/Produzenten/ Songschreiber/Lebensgefährten Jew Bezal‘ el Aloni und dem zweiten Produzenten Izhar Ashdot legt sie hier den letzten Euro-Schliff an das Album an, das den Titel SHADAY trägt. („Gott hat bei uns viele Namen — das ist einer davon.“) Das Ambiente ist eine kuriose Mischung aus vertrauten Gerüchen zwischen Kohlsuppe und Kaffee, aber auch vollgestopft mit High-Tech und einem Trevor Hörn, der gemeinsam mit den Pet Shop Boys die im strengen Designer-Grau gestrichenen Gänge entlangwandelt.
Inzwischen stimmt aber auch der Sound, anders als bei dem mißglückten ersten Produktionsversuch mit Anabel Lamb-Ehemann Wally Brill.
Ofra, die „von der ersten Note bis zum Endmix“ an der Produktion beteiligt ist, erinnert sich: „Wir hatten einen Vertrag mit der deutschen Teldec abgeschlossen und wollten ein Album produzieren, wie wir es zuvor in Israel immer gemacht haben. Aber sie sagten: , Wir vermitteln dir einen internationalen Profi. Du kommst aus Israel, aber er ist Amerikaner und weiß viel besser als du. was in London oder New York angesagt ist.‘ Ich erklärte diesem amerikanischen Produzenten, daß ich meine jemenitischen Songs aufnehmen möchte, weil das ich bin, mir selber treu bleiben möchte und keine Lust habe, mich wie all die anderen Sängerinnen zu präsentieren, all die Millionen Stimmchen, die auf englisch sowieso viel besser singen als ich.
Aber er hörte mir gar nicht zu und sagte nur:. Wir werden einen amerikanischen Teen-Hit machen.‘ Ich habe geweint.
Ich sang mit schwerem Herzen, weil ich ja den Vertrag mit der Platt enfirma einhalten mußte, aber das Resultat brach mir das Herz. Ich glaubte fest, wenn mich Gott liebt, dann muß er mir jetzt helfen und dafür sorgen, daß dieses Album nie veröffentlicht wird. Ich schämte mich, als die ersten Kopien an Journalisten verschickt wurden.
Ich danke Gott für den Erfolg von ,1m Nin Alu‘, denn er hat mir Recht gegeben. Mein Glaube ist stark; ich weiß, er hat mir geholfen. Jetzt sind nur zwei alle Songs auf dem Album, weil wir zu wenig Zeit hatten, alles neu zu machen, aber damit kann ich leben. Und ich hoffe, meine Fans auch. „
Sogar Brill. jener“.amerikanische Produzent“, ist inzwischen froh darüber, daß die ersten Aufnahmen nicht erschienen sind. Die Plattenfirma hatte in angewiesen, seine MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS-Idee, die er für Ofras erste internationale LP im Hinterkopf hatte („Brian Eno trifft Sting irgendwo mit seltsamen Percussions und unheimlichen Geisterbahn-Songs“) aufzugeben und stattdessen ein verpoptes, kommerzielles Nicht-Ethno-Album abzuliefern. Eine junge Barbara Streisand oder einen weiblichen George Michael. Tatsächlich wollte die Plattenfirma ursprünglich Giorgio Moroder für den Job engagieren.
„So ein orientierungsloser Blödsinn“, schimpft Brill am Telefon. „Du kannst niemals verschiedene Stile zusammenmischen und daraus ein wirklich kommerzielles Album kochen. Das funktioniert nicht! Die Menschen außerhalb Israels erwarten von ihr seriösen Ethno-Gesang, verwurzelt in der ethnischen Musik — und eine Ofra, die versucht, irgendwie dem Westen zu begegnen, ohne dabei ihre Inteerität zu verlieren.“
Diese Begegnung fand im Falle von „Im Nin‘ Alu“ statt, ironischerweise auf einer Hip-Hop-Produktion aus dem Independent-Lagcr. Ofra traf die Mixer von Coldcut, Hintermänner der Eric B.-Single „Paid in Füll“, bei ihrem Konzert in der Londoner Queen Elizabeth-Hall in der Garderobe:
„Sie sagten: ,Hallo — wir haben deine Stimme für unseren Song hergenommen, weil sie so wunderbar klingt.‘ Danke. Danke, ist schon okay! Mir hatte die Produktion nämlich gleich gefallen, gute Idee. Etwas sauer war ich nur, weil sie meinen Namen nicht auf dem Cover erwähnt haben und auch nicht geschrieben haben, daß ihr Sample von meiner LP YEMENITE SONGS stammt.
Sie boten mir für die Zukunft eine Zusammenarbeit an, aber im Moment habe ich sowieso keine Zeit dafür. Ich habe es als Kompliment empfunden, denn so haben Millionen von Menschen in vielen Ländern erstmals meine Stimme hören können. Daraufbin ich sehr stolz. „
Ofra würde durchaus auch gerne mit den oben erwähnten George Michael oder Sting singen, vor allem mit Sting, „denn er macht eine sehr eigene Musik. Ich glaube, es könnte fantastisch klingen, wenn er meine jemenitischen Songs bearbeitet.
Außerdem — wenn sich die Menschen bei der Arbeit näher kommen, kommen auch ihre Völker sich langsam näher. “ Sie hat nun einmal diese liebenswerte Ichwill-die-Welt-zum-Singcn-bringenPhilosophie. Für sie ist Musik die „Sprache der Well“, eine Botschaft, die sie verbreiten will.
Fast hätte die Missionarin allerdings ein jähes Ende gefunden: „Als ich einen Flugzeugabsturz mitten im Gebirge überlebte, war das wie eine Wiedergeburt, Gott wollte, daß ich weitersinee.“
Gott — da geht bei Ofra nichts drüber, höchstens noch ihre ziemlich bürgerlichen Ideen zu Familie und Nation: Sie liebt ihr Land und leistete als ! 8jährige ohne Murren den Wehrdienst („Nein, ich habe nie eine Waffe angerührt. Ich war Sekretärin im Inland“).
Sie ist stolz auf die Chance, „den Menschen etwas Neues aus Israel zu bringen, damit sie endlich etwas Gutes aus diesem Land hören, nicht nur die Bomben, die Soldaten und was sonst noch Schlimmes in Palästina passiert. Ja — ich bin jetzt eine Botschaftern Israels.“
Und noch immer wohnt sie zehn Minuten entfernt von ihren Eltern in einem Vorort von Tel Aviv, nahe bei ihren acht Geschwistern. „Es ist eine ärmliche Umgebung, aber eine reiche und gute Erziehung gewesen, obwohl meine Familie nie viel Geld hatte. Als ich dem kleinen Theater in der Nachbarschaft beitrat, ich war gerade 12 Jahre alt, sagte mein Vater zu dem Manager, daß er nichts dagegen habe, daß ich mit der Theatergruppe auftrete. Er müsse ihm nur versprechen, daß ich alles tun und lernen sollte, was meine Eltern von mir erwarteten — Schule und Universität. Wir alle, auch der Manager, sind eine große Familie, und das hilft mir bis heute, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben.“
Bis jetzt zumindest scheint sie tatsächlich auf dem Boden zu bleiben. Jedenfalls hat sie keine Lust, nach London oder Hollywood zu ziehen oder sonstwie den Star zu mimen. Allerdings träumt sie davon, später einmal an der Seite von Dustin Hoffman in einem Film zu spielen.
Sicher ist hingegen, daß sie im Oktober für einige Konzerte wieder nach Europa kommt. „Es ist sehr schön. Platten zu machen“, sagt sie auf dem Rückweg zum Regie-Raum,“.aber das Wichtigste ist immer noch, auf der Bühne zu stehen.“
Und was die neue LP betrifft, so kann sie auch hier inzwischen beruhigt aufatmen. SHADAY ist nicht, wie im verkorksten ersten Anlauf. Disco mit einem verwässerten Ethno-Sahnehäubchen, sondern stimmiger Ethno-Pop im Gefolge von „Im Nin‘ Alu“ – so jedenfalls der Eindruck der ersten Hörproben.
Ofras Plattenfirma Teldec will die LP als sogenannten rush release schon Ende Juli in den Läden haben. Ihre erste LP YEMENITE SONGS, auf einer Independent-Firma veröffentlicht und seit einem Jahr ein Ladenhüter, schoß nämlich plötzlich hoch in die Charts. Anfang August werden sich also gleich zwei Haza-LPs in der Hitparade Konkurrenz machen…