Die Schuster kehren zurück zu ihrem Leisten
Es gibt eine eiserne Regel für Musiknachrichtenredakteure und Gerüchteküchenköche: Kein Wort mehr über angebliche Blur-Reunions! Schließlich berichten wir auch nicht über die alljährlichen Oasis-Reunions (die finden immerhin statt)! Nun fallen uns Dämon, Graham, Alex und Dave in den Rücken und verkünden einfach: Am 2. und 3. Juli spielen wir im Hyde Park! Die Tickets waren in zwei Minuten ausverkauft. Etwas länger brauchte ein unbekannter Graffitikünstler, um die Londoner Millennium Bridge dem Anlass entprechend mit dem Blur-Text „Out Of Time“ zu dekorieren. Prominente Kommentatoren und Trittbrettfahrer meldeten sich sofort: Die Kaiser Chiefs möchten ins Vorprogramm, und Mogwai kündigten an, ihr altes „Blur are shite!“-T-Shirt neu aufzulegen, mit dem Slogan „Blur are shite once again“. Wie nachtragend. Zum Glück gibt es versöhnlichere Charaktere, z. B. Noel Callagher von der erwähnten unauflösbaren Band (deren nächstes Album in Demoform schon fertig sein soll). Der nennt Dämon Albarn neuerdings einen „großartigen Künstler“ und das Rivalitätsgetue von vor 14 Jahren „armselig“. Schließlich sei es damals nur um „zwei wirklich recht beschissene Popsongs“ gegangen.
Für letzteres Genre wähnten wir eher Synchronhüpftruppen wie Take That zuständig, deren .fetter Tänzer“ (Noel) sich im Britpopkrieg heftig an Oasis ran- und selbst aus der Riege warf. Eine elvismäßige Solokarriere später möchte er „liebend gerne“ zurück ins heimische Lager, weil ihm „die Kameradschaft“ fehle. „Wir hatten so viel Spaß“, erinnert sich Robbie Williams an die Zeiten, als ihn der Erfolgsdrill in solche Depressionen stürzte, dass er sich mit Drogen vollstopfte wie eine wandelnde Asservatenkammer.
Da sind andere klüger oder vorsichtiger: Johnny Marr will (im Gegensatz zu „Quellen“) von einer Smiths-Reunion nichts wissen. Weil er als Neumitglied der Cribs genug zu tun hat. Das nennt man „musikalische Gründe“. Etwas glaubwürdiger wär’s, wenn sich Mani Mounfield wegen seiner Jobs bei Primal Scream und Freebass einer Wiedervereinigung derStone Roses verweigerte. Tut er aber nicht, sondern hofft sogar darauf, zum 20-Jährigen des epochalen Debütalbums (im März).
Vielleicht hat der Pop mit der fortschreitenden Reumonitis einst bahnbrechender Bands endgültig die „klassische Phase“ erreicht, in der man sich darauf beschränkt, Altwerke neu aufzuführen. Von Studioarbeit ist nämlich bei den „neuen“ Blur keine Rede, ebenso wie bei Rage Against The Mach ine, die für so was „keine Zeit“ haben. Dass Billy Corgan angekündigt hat, es werde nie mehr ein Smashing-Pumpkins-Album geben, hat andere Gründe: Billy ist sauer, dass sich niemand Zeitgeist ganz anhören wollte. „Wir sind jetzt eine Singlesband“, sagt er und mag alte Songs überhaupt nicht mehr spielen. Ist halt ein Querkopf, der Mann. Wie Paul Weller: Der würde gerne eine neue britische Hymne schreiben. Wer sonst, fragen wir, zumal die Tantiemen für eine Frisurneugestaltung reichen dürften.
Einen Teil selbiger (Tantiemen, nicht Haare) sollen Coldplay abgeben: Nach den Creaky Boards ist diesmal der (Achtung! Es folgt ein 80er-Unwort, das wir hier nur verwenden, weil uns kein treffenderes einfällt!) Gitarrenrecke Joe Satrian dran, der in „Viva La Vida“ sein fünf Jahre altes „If I Could Fly“ wiedererkannte und deswegen mit Mails nur so überflutet wurde, aber auf Anfrage keine Antwort der mutmaßlichen Plagiatoren erhielt. Inzwischen äußerte Chris Martin, die Ähnlichkeit der beiden Songs sei „reiner Zufall“. Ein ganz schlimmer: „Es war, als stäche mir ein Dolch durchs Herz. Es tat so weh“, klagt Satriani. Ob Geld solche Schmerzen stillen kann?
Uns tröstet die bizarre Vorstellung, wie Coldplay im Studio Satriani-Platten hören. Merkwürdige Menschen, diese Musiker – als Beleg seien erstmals in diesem Heft die Bands Soul Cryund Paradigm erwähnt. Erstere italienische Metalband braucht eine neue Sängerin, weil die alte, Cristina Balzano (19), mit einem Messer auf ihren Gitarristen einstach (der sich verspielt hatte) und nun im Knast sitzt. Zweitere britische Experimentalband hoffte auf Finanzierung ihrer Projekte, indem Frontmann Dante Knoxx seine Seele bei Ebay versteigerte. Die Auktion wurde abgebrochen, weil der Verkauf von Nichtmateriellem gegen die Ebay-Grundsätze verstößt.