Die Schlägerei Im Irrenhaus Zwischen Beastie Boys Und MC5
KASABIAN galten als die neuen Happy Mondays, Oasis und Primat Scream: Saufund Raufbrüder, die der britische?! Jugend die Musik servierten, nach der diese nach ein paar Bier erst recht dürstete - dreckigem Post-New-Wave-Rock mit Refrains zum Mitgrölen. Mit ihrem dritten Album WESTRIDER PAUPER LUNATIC ASYLUM zeigen die stolzen Provinzjungs ihr wahres Gesicht.
Sänger Tom Meighan ist ganz das rock’n’rollende Großmaul In derTradition von Ian Brown und Liam Gallagher: “ Wir sind nicht eine von diesen durchkalkulierten Retortenrockbands, von denen es in Großbritannien heutzutage nur so wimmelt“, hebt er an. „Gott sei Dank nicht! Wahrscheinlich sind wir sogar eine der letzten großen Rock’n’Roll-Bands im Land! Wir, die Arctic Monkeys und The Enemy, die mag ich auch, Tom Clarke – ein richtig schön zorniger, kleiner fucking Mod!“
Wenn ein Gallagher in dem Stil loslegt, reagiert man mit Gähnen und „schon gut“. Meighan aber schafft es, seine Tiraden mit Begeisterung statt schnöder Verachtung vorzutragen, so dass der Enthusiasmus (auch in eigener Sache) regelrecht ansteckend wirkt. Und jetzt legt er erst richtig los:
„Radiohead – die haben mit dem dritten Album in den fünften Gang hochgeschaltet. LIWA-TIC ist unser OK COMPUTER! Jetzt sitzen wir hinter dem Steuer! Bis jetzt hat uns niemand für eine intelligente Band gehalten. LVNATICASYWM ist ein verdammt intelligentes Album. Weil wir früher viele blöde Sprüche über andere Bands gemacht haben, hat man uns automatisch in die Schublade ,Lad-Rock‘ gesteckt. Fucking Manchester! Nein! Wir sind aus fucking Leicester!Das ist das Territorium von Black Sabbath, Led Zeppelin und Slade! Dort kommen unsere Vorväter her! Das sind unsere Nachbarn, verdammt nochmal!“ WEST RiDER PAUPER LUNATIC ASYLL’M beschreibt er als „ein Album, wie wenn die Beastie Boys sich mit MC^ prügeln würden!“
Gitarrist Serge Pizzorno ist eher der träumerisch veranlagte Denker, der seine Gefühle in Songs stürzt und den schönen Frauen die Sinne verwirrt. Dabei wäre er einmal fast Fußballer geworden. Beinahe wäre er bei Nottingham Forest gelandet. Den Briten ist er dank eines Wundertors vor laufenden Kameras bekannt (siehe bei YouTube: „Serge Kasabian goal“). Pizzorno erzählt gerne davon: “ Es gibt vor dem Kater eine Wunderperiode am frühen Morgen, wo man immer noch besoffenist und über einen zwei Meter hohen Zaun springen könnte. Genau so war das an diesem Morgen. “ Kurz vorher sei die Band aus Paris angekommen, wo man am Vorabend eine Show hatte. Viel Alkohol. Schlaflose Nacht.
„Aber ich hoffe, dass man sich nach diesem Album wegen der Musik an mich erinnert, nicht nur wegen des Tors!“
Nach der Tournee zu ihrer letzten Platte EMPIRE (Nummer eins im UK) zog sich Pizzorno ein Jahr in seine Bude zurück und komponierte Songs (“ Nicht wirklich ein Heimstudio, eher ein Schrank mit Laptop drin.“) Die Idee für ein Konzeptalbum kam ihm vor dem Fernseher, bei einem Film über die erste psychiatrische Klinik für mittellose Menschen in England, eröffnet 1888 in der Nähe von Bradford. „Der Vergleich zwischen dem Geisteszustand von psychisch Kranken und Drogenkonsumenten hat mich immer fasziniert“‚, sagt Pizzorno. “ Menschen, denen es vollkommen wohl ist, dort, wo sie sind – weit weg von der physischen Welt, wie wir sie kennen. Das gab mir eine Idee: ein Album, wo jeder Song einen anderen Menschen darstellt, der im Korridor dieses Krankenhauses wandelt.“
Früher machte Pizzorno keinen Hehl aus seiner Vorliebe f ür Acid. “ Dafür habe ich heute keine Zeit mehr“, sagt er. „Man muss sich für einen Trip mindestens eine Woche Zeit lassen, sonst bringt’s nichts, oder man kann sich nicht recht erholen.“
Zudem habe er noch nie arbeiten können, wenn er zugeballert war: „Ich brauche einen klaren Kopf. Ich hab die verrückteren Einfälle, wenn ich eine Tasse Tee trinke. Zappa und Captain Beefheart sollen ja auch nüchtern gewesen sein. “ Ein Jahr lang schneiderte Pizzorno an seinen Songs, unterbrochen nur vom Genuss eigenartiger Filme. Besonderen Eindruck machte „Montana Sacra – der heilige Berg“ auf ihn, die 1973 gedrehte, surreale und zutiefst beunruhigende Interpretation einer Geschichte aus der Bibel vom chilenischen Regisseu r Alejand ro Jodorowski. „Ich bewundere daran das Gefühl von Freiheit und den Mut, diese Freiheit konsequent auszunützen“, sagt Pizzorno. “ Manche Leute halten den Film für Nonsens – es ist ein Film, wo sich jeder Betrachter aus den Bildern seinen eigenen Reim machen muss. Ich finde ihn großartig. Ganz nebenbei hat ervor30]ahren diese ganze Celebrity- Kultur vorausgesagt.“
Im vergangenen Sommer spielte die Band den Song-Zyklus, der das erste coole Konzeptalbum seit Menschengedenken ausmachen sollte, zu Hause in Leicester ein. Aber mit dem Ergebnis war sie nicht recht zufrieden. Serge Pizzorno erzählt: „Wenn man den ganzen Tag im Studio hockt, verliert man manchmal den Überblick. Man weiß nicht, wann man mit etwas aufhören soll. Ich brauchte ein frisches Paar Ohren. Auf Dan The Automator kam ich, weil ich seine Arbeit mit DJ Shadow und seine frühen HipHop-Jahre schätze. Der Sound der Beastie-Boys-Beats hat mich schon immer beeindruckt. So was wollte ich gerne mit Rock’n’Roll kombinieren. „
Also zogen Kasabian um in die Stadt der Beatniks, von Amoeba Records und des City-Lights-Bookshops, ins Studio des „Automator“: „Es gibt einen speziellen Typus Menschen, den San-Francisco-Menschen, Dan ist ein typisches Beispiel“, sagt Tom Meighan grinsend. “ Unglaublich laid-back. Und vibey. Ich bin jeden Tag gegen 16 Uhr aufgetaucht, hab gesungen und bin wieder gegangen. Ich war da nie länger als anderthalb Stunden drin.“
Dennoch habe Dan The Automator ihn zu einer bislang nicht erreichten gesanglichen Intensität animiert. „Darüber hinaus hat Dan das Album vor allem dadurch geprägt, dass er Dinge weggenommen statt hinzugefügt hat“, sagt Pizzorno. „Dadurch hat die Musik mehr Raum zum Atmen bekommen. Und komischerweise ist sie dadurch erst recht heavy geworden.“ Meighan zappelt mit den Beinen und ruft: „Wir sind Rock, Mann! Eindeutig ROCK! Stimmt doch, oder!“
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