Manuel Cöttschmg ist eine musikalische Legende. In den 70er-Jahren erlangte er „Kultstatus“ mit seiner Band Ash Ra (Tempel). Mit dem 1984 erschienenen (1981 aufgenommenen) Soloalbum E2-E4 machte sich der Berliner Multiinstrumentalist unsterblich. Die knapp einstündige, überwiegend elektronische Komposition gilt als Proto-House-Track. Das Stück, das wegen anhaltender Gitarrendudeleien nach hinten hinaus ins Esoterische ausfranst, wurde in den Tanztempeln der Gründerzeit wie der Paradise Garage in New York zur Afterhour gespielt.
James Murphy ist auf dem besten Weg, eine musikalische Legende zu werden. Anfang der ooer-Jahre erlangte er „Kultstatus“ durch die Maxisingles seines Projekts LCD Soundsystem. Mitte Oktober 2006 erschien exklusiv im uS-iTunes-Store (Ende Februar2OO7dann auch in Deutschland) in Zusammenarbeit mit einem US-Sportartikelhersteller das LCD-Soundsystem-Album 4S:33. Die exakt 45 Minuten und 33 Sekunden lange Komposition wird nach hinten hinaus immer schneller, weil sie als „Soundtrack“ zum Joggen gedacht ist. Das Cover des bislang nur digital erhältlichen Albums zitiert das Covermotiv desGöttsching-Albums. das wiederum ein Schachbrett darstellt. Das kann als Hommage an Göttschings E2-E4 cesehen werden.
Man kann das aber auch anders sehen. So wie Manuel Göttsching. Der lässt per Pressemitteilung seine Empörung über die „Dreistigkeit Murphys“ verlautbaren, spricht von „unzulässiger Rufausbeutung im Sinne des Wettbewerbsrechts“. Murphy lasse „keineCelegenheitous.(.)45:33 mit dem Hinweis aufdas legendäre £2-E4 zu bewerben“, und deshalb würden „immer mehr Fans“ Murphys Aufnahme, die „ganz zufällig“ Wun nach dem Rerelease zum 25. Jubiläum von E2-E4 erschien, mit eben dieser assoziieren.
Vorgestrige Vorstellungen davon, wie die Popkultur zu funktionieren hat, und eine Vorliebe fürjuristisches Geplänkel sind verbreitete Eigenschaften derGeneration Musiker, die man gerne als,.Krautrocker“ bezeichnet. Kraftwerk etwa gefielen sich in der sehr langen Zeit zwischen ihren letzten beiden Alben darin, das Sampling ihrer Tracks und Versuche der Aufarbeitung ihrerGeschichte in Buchform gerichtlich verbieten zu lassen. So gesehen ist Göttsching in guter Gesellschaft-aber auch in einer, die nicht verstehen kannoderwill.dassim Pop seit 20 Jahren auf Teufel komm raus zitiert und Tribut gezollt wird-Alben. Songs. Covers, Musikern. Auch solchen, die trotz einstiger Großtaten nicht mehr zwangsläufig im Mittelpunkt des Interesses stehen. Die Kenntnis der Zielgruppe von LCD Soundsystem von Göttschings Musik dürfte ungefährgegen null tendieren. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass durch 45:33 Hörervon LCD Soundsystem auf E2-E4* aufmerksam werden, müsste Göttsching Murphy noch dankbar sein fürdie kostenlose Werbung.
Andere, weit prominentere „Opfer“ sind weit lockerer mit „unzulässiger Rufausbeutung“ umgegangen: Die an sich prozessfreudigen Beatles haben es unterlassen, gegen Dutzende Zitate des Covers von abbey road von Booker T. & The MG’s bis hin zu Red Hot Chili Peppers gerichtlich vorzugehen. Londons Bürgermeister hielt es nicht für angebracht, die Beatles für das Cover wegen „unzulässiger Rufausbeutung im Sinne des Wettbewerbsrechts“ vor Gericht zu zerren. Und die Erben des Erfinders des Schachbretts hätten wahrscheinlich Schwierigkeiten, gegen Manuel Göttschings Imitation für die Hülle von E2-E4 vor Gerichteinen Erfolg zu erlangen, weil das Copyright für das Schachbrett schon seit ein paar Jahrhunderten erloschen sein dürfte.
