Die Reklamation


Unsere Doherty-Geschichte im letzten Heft hat zu Irritationen geführt: „Kotzen“ wollte mancher angesichts dieser, „kranken Scheiße“. Kann sein, daß es nicht leicht ist, zwischen Sensationismus und Anteilnahme zu unterscheiden. Aber mir platzt da der Kragen so wie damals, als ich zwölf war und hören mußte, Bowie, Alice Cooper und Iggy Pop seien „kranke Scheiße“, weil sie anders aussehen als Heintje und Heinz Rühmann und sich mit Rauschgiften vollpumpen. Ich kenne mehr Junkies, als mir lieb ist, und weiß, daß nichts so nervt wie das ewige Gejammer, die Welt sei so schlimm, verbunden mit stumpfem Geglotze und hilflosem Herumgestolpere. Es hat aber keinen Zweck, denen zu raten, sie sollten sich selber um ihren Mist kümmern und die schlimme Welt tun lassen, was sie will. „Schon gut, Alter“, sagen sie dann, „jefzt gib Kohle raus, ich brauche Nachschub.“ Es handelt sich bei jeder Sucht um eine Krankheit und eine Verhaltensabweichung. Wer sich darüber aufregt, sollte sich über andere Verhaltensabweichungen auch mal Gedanken machen. Z.B. begegnet, wer so gut wie alle Wege mit dem Fahrrad zurücklegt, jeden Tag Exemplaren der Spezies, die hinter schwarzen Scheiben in Terrorpanzerautos thront und sich keinen Pfifferling darum schert, ob beim Einrollen in die Garage Mücken oder Menschen am Kühler kleben. Wenn man denen sagt, es sei gefährlich, was sie da tun, sagen sie: „Schon gut, Kleiner, und jetzt gib die Straße frei, ich habe Vorfahrt!“ Bei dieser kranken Scheiße kommt jetzt mir das Kotzen. Ich habe nicht vor, irgendwas zu verharmlosen und zu predigen, daß Autos mehr Menschen töten als Heroin. Aber wenn man die Sucht nach Mobilität und entfesselten Ellenbogen-Egoismus zu gesellschaftlichen Idealen erhebt, braucht man sich nicht wundern, wenn es Menschen gibt, die das nicht ertragen und sich zudröhnen, um es nicht mehrzu spüren. Das sind nicht von ungefähr oft Künstler, manchmal Genies, und ihr Verhalten ist dumm und traurig. Es erinnert uns aber daran, daß das andere Extrem ebenso obszön und unser eigenes Verhalten vielleicht auch nicht ganz gesund und normal ist. Und beklagen sollte es nur, wervorhat, was dagegen zu tun – gegen die Ursache und die Symptome. Nicht darüber zu berichten, ist der beste Weg, das schon im Ansatz zu verhindern.