Die Platte des Monats
Chromatics
Kill For Love
Italians Do It Better
*****
Ein „bisschen“ hat es gedauert. Portlands Italo-Disco- Importeure stellen uns nach fünf Jahren einen übergroßen New-Wave-Pop-Monolithen ins Schlafzimmer.
Welche synonymen Plattitüden für „Gut Ding will Weile haben“ oder „Besser spät als nie“ sonst noch so existieren, überlassen wir mal lieber Google als dieser Rezension. Wichtig ist nur: Es ist da. Es hat gefühlte Ewigkeiten gedauert, aber es ist da. Man hatte als Fan oder Sympathisant der Chromatics in den vergangenen neun Monaten alle Hände voll zu tun, um die Geduldsfäden irgendwie zusammenzuhalten. Der Veröffentlichungstermin für Kill For Love wurde mehrmals verschoben, es gab vonseiten der Band stets nur kleine Videohäppchen und Entschuldigungen, bis das Album Ende März in einer Nacht- und-Nebel-Aktion digital über iTunes veröffentlicht wurde. Mittlerweile gibt es auch CDs per Eigenvertrieb, an der wohl sehr aufwendigen Vinyl-Version des Albums wird allerdings noch gearbeitet.
Johnny Jewel, Mitglied der Chromatics und Labelchef von Italians Do It Better, gab zu, dass die Songs des Vorgängeralbums Night Drive (2007) nie richtig gemastert wurden und im Prinzip als Demos in den Handel kamen. Genau das wollte er bei Kill For Love vermeiden und ließ sich deshalb sehr viel Zeit mit der Veröffentlichung. Zeit, die auch das Album selbst vom Hörer einfordert. Ganze 77 Minuten Spielzeit bringt es mit (die nichtphysische digitale Version knackt sogar die 90 Minuten). Das wirkt gerade bei den ersten Durchgängen erschlagend, wird aber dadurch relativiert, dass ursprünglich 36 Songs für die Platte aufgenommen wurden.
Auf Kill For Love hagelt es sehnsuchtsvolle Momente unter der Discokugel, die vor allem der Sängerin Ruth Radelet zu verdanken sind. Ihre Stimme hat gleichzeitig etwas sehr Unterkühltes und Sensibles, wirkt in den besten Momenten aber begierig, sodass selbst Songs wie das praktisch nur von einer Akustikgitarre begleitete überragende Neil-Young-Cover „Into The Black“ fast schon sexy wirken. Als Stellvertreter für den Sound der Platte kann dieser Song aber nicht dienen. Schon im Anschluss erinnern die Vorabsingles „Kill For Love“ und „Back From The Grave“ an die eigentlichen Qualitäten der Band, wenn die Melodiekeule ausgepackt wird und ein mitternachtstauglicher Discobeat ganz ohne den Verdacht auf Schwülstigkeit die Pfeile genau Richtung Herz zielt. Dass so etwas zwingend kitschig sein muss, ist auch nicht mehr als ein Gerücht. Disco fristet mittlerweile sowieso ein Schattendasein in der Pop-Musik und kommt selbst in der elektronischen Musik kaum über die Rolle des auf Funktionalität getrimmten Edits hinaus. Bei Italians Do It Better sind es die Songs, die im Vordergrund stehen.
Die gelöste Stimmung der Platte lebt vom Kontrast aus den schmachtenden, nebeligen Pop-Perlen, die mittlerweile viel klarer als solche zu erkennen sind und den teilweise ausladenden und fransigen Interlude-Teppichen. So folgen nach anmutigen Ohrwürmern wie „The Page“ lange, instrumentale Synthesizer-Odysseen und tapsende Beats („Broken Mirrors“) oder kurze beatlose Streichereinlagen („The Eleventh Hour“). Diese kommen zwar überraschend, zeigen aber auch gekonnt, dass es auf diesem Album um mehr als nur die Summe der Einzelteile geht. Es geht um die Stimmung, die transportiert wird und dafür – das ist ein Erfolg des Albums – wird jeder Song gebraucht.
Erstmals seit den Post-Punk-Tagen der Chromatics gibt es zudem wieder Tracks mit männlichen (wenn auch von Vocodern verfremdeten) Vocals zu hören. Die überlangen Songs sind wohl der einzige Schwachpunkt des Albums, weil sie nicht nur wie eine eher störende Werbepause den Hörer unsanft aus der Story ziehen, sondern weil sie auch kein Land sehen gegen all die von Radelet so rehäugig vorgetragenen Songs wie „Lady“ und „The River“. Damit geizt das Album zum Glück nicht. Wer bei der Zeile „time is stretching on“ in „At Your Door“ auf den spontanen Gedanken kommt, einen Liebesbrief an Radelet zu verfassen, soll das ruhig tun. Kill For Love ist ein wirklich großartiges Album zum Verlieben, Verführen, Sonnenbrille tragen und von mir aus auch zum schluchzend auf dem Balkon stehen. „But the door is still open / so come on in and give me your hand.“ Sehr gerne.
Key Tracks: „Into The Black“, „At Your Door“, „Lady“
Story S. 19