Die Megakerls
Auf der Bühne geben sie sich laut, liederlich und lasterhaft. Privat jedoch frönen die Megakerls von Metallica völlig unverhohlen den vielen Verlockungen, die das Leben den Metal-Millionären so bietet.
„The Plant“. Ein Tonstudio mit den Qualitäten einer Club-Med-Anlage: innen wie außen holzvertäfelt, Teppichboden, der einem beim Durchschreiten zärtlich die Kniekehlen streichelt, Sofas, bezogen mit dem Leder eines exotischen, vom Aussterben bedrohten Tieres. Am Ende von Metallica-Mastermind James Hetfield höchstselbst mit Pfeil und Bogen erlegt?
Da ist sie plötzlich, die Angst vor den bösen Metallern. Doch ich bleibe ruhig, bereit dahin zu gehen, wo es ernst wird: ins Auge des Sturms, ins Studio selbst, in die Nervenzentrale, in der Hetfield & Co. seit drei Monaten am nächsten, dem siebten Studioalbum ihrer Karriere basteln. Der Weg dorthin ist leicht, wird er doch von einem Kuli geebnet, der kistenweise „Heinecken“-Bier in den Aufnahmeraum schleppt. Zurück geht’s ohnehin nicht mehr, denn da kommen schon Produzent Bob Rock und James Hetfield herein,drängeln sich vorbei und schlagen die Tür hinter sich zu. Das „Vorsicht: Aufnahme!“-Licht blinkt auf, Herr Hetfield muß singen… und wirkt daher unansprechbar und gestreßt. Na gut, dann reden wir eben mit denen, mit denen wir eigentlich gar nicht reden wollten.die aber nichts anderes zu tun haben: mit Bandquasselstrippe Lars Ulrich und Bassist Jason Newsted. Der vierte im Bunde, Gitarrist Kirk Hammett (der mit den vielen Ringen durch Nase, Ohren und Brustwarzen und dem komischen Lidschatten) hat heute frei.
„Für ‚Load‘ hatten wir 27 Songs geschrieben“, berichtet Newsted,“und wollten ursprünglich ein Doppelalbum daraus machen. Doch diesen Gedanken verwarfen wir wieder und lieferten schließlich ein Einzelalbum mit genau jenen 14 Songs ab, die zuerst fertig waren.“ Und ach, wir ahnen es schon: „Die restlichen 13 Tracks folgen jetzt.“ Sechs dieser Songs sind am Tag unseres Studiobesuchs bereits fertig produziert, für die anderen sieben haben Metallica und Producer Bob Rock nur noch wenige Tage Zeit – der übliche Streß also. Denn Metallica neigen dazu, an der jeweils in Arbeit befindlichen Platte bis zum allerletzten Moment herumzutüfteln.
Der Name der aktuellen Platte allerdings ist von diesen Bastelarbeiten aus-, genommen. So lautet der Titel für das neue, mit jenen Songs bestückte Album, die nicht auf „Load“ landeten, schlicht und ergreifend und vor allem erfolgversprechend „Reload“. Auch diese, für den 17. November angekündigte Platte ziert ein Coverfoto des Homoerotik-Künstler Andres Serrano. Für „Load“ hatten Hetfield und seine Herren „Blood and Semen III“, eine Nahaufnahme aus vom Künstler geopfertem und zwischen zwei Plexiglasplatten gepreßten Blut und Sperma ausgewählt. Auf dem „Reload“Album nun will man mit einem anderen Serrano-Sekret überraschen. Ein Plan,der zumindest Jason Newsted sauer aufstößt: „Ich bin dagegen, wirklich. Ganz einfach, weil ich glaube, daß Serrano-Bilder die Band falsch interpretieren. Keiner von uns ist homosexuell. Und jetzt noch Pisse. Ich könnt mir wahrhaftig Schöneres vorstellen.“ Wir auch, doch das tut jetzt nichts zur Sache. Interessant ist aber, daß Newsted so unverblümt seine Meinung äußert.
„Oh,ich repektiere Jasons Einstellung vollkommen“, betont Trommler Lars Ulrich. Aber noch mehr respektiert er,“daß ich das Foto auf dem Cover haben will“. Newsted darf zwar sagen, was erdenkt. Gemacht wird aber trotzdem, was Hetfield und Ulrich sagen. „James und ich… ich möchte nicht sagen, wir führen, und die beiden anderen folgen. Aber wir sind definitiv die Anstifter. Wir setzen Dinge in Gang. James und ich… man nennt uns Lennon/McCartney des Hardrock… James und ich…“
Ulrich, barfuß, in Turnhose und Unterhemd, sonnt sich auf einer Bank vor dem Studio und im eigenen Licht, sinniert über seinen Kumpel James und sich selbst. Die Drumsticks braucht Ulrich nicht auszupacken, denn die Schlagzeugspuren der neuen Songs wurden bereits zu „Load“-Zeiten eingespielt: „Trotzdem bin ich jeden Tag hier. Ich muß die Songs zusammenschneiden, Interviews geben, mich ums Business kümmern.“ Letzteres ist Ulrichs Leidenschaft. Seit er 1994 die Band im Streit mit dem Elektra-Label vertrat, führt er Metallicas Multimillionen-Geschäfte mehr oder weniger im Alleingang: „Ich bin fasziniert vom Musikbusiness. Und ich habe keine Hemmungen mehr, frei über Geld und Drogen zu sprechen.“ Ungefragt geht’s weiter: „…ja, wir nehmen Drogen, ja, wir verdienen tonnenweise Geld…“ Wollten wir gar nicht wissen. Trotzdem gewährt uns Ulrich noch weitere Einblicke in das faszinierende Leben eines Rockstars:“Ich liebe die Freiheit, die Geld mir gibt. Ich liebe es, spontan irgendwohin zu reisen. Meinetwegen übers Wochenende nach Paris zu fliegen.“ Plötzlich unterbricht Ulrich sich und schaut sehnsüchtig einem vorbeiflüsternden Audi A4 hinterher: „Ich will mir ein neues Auto kaufen. Ein unauffälligeres als mein jetziges.“ Das dürfte leichtfallen, denn momentan fährt Ulrich einen schwarzen Porsche 928 S4, ein Schlitten so unauffällig wie ein fußballgroßer Diamant. Da muß man natürlich betonen, daß die Megakerls von Metallica eigentlich gar nicht mehr arbeiten müssen: „Wir machen das nicht mehr des Geldes wegen. Wir müssen auch nichts mehr beweisen. Wir haben 17Jahre überlebt und ein Album.das sich 17 Millionen Mal verkauft hat. Wo sind die Bands, die ähnlichen Erfolg gehabt haben? Guns N‘ Roses? The Police? Alle weg. Wir aber haben überlebt. Jetzt machen wir nur noch das, worauf wir Lust haben. Und dafür möchten wir respektiert werden.“ Vor lauter Ehrfurcht gegenüber Lars vergessen wir die nächste Frage. Macht aber nix, denn Ulrich ist schon beim nächsten Thema, seiner Frau: „Wir haben vor zehn Monaten geheiratet…, meine zweite Ehe…, sie macht sich überhaupt nichts aus Metallica…, meine Frau ist mein bester Freund.“
So also ist einer der beiden Anführer der härtesten Band der Welt sortiert. Was, so fragt man sich, ist vor diesem Hintergrund als nächstes von Metallica zu erwarten? Ein Album mit Liebesliedern vielleicht? „Interessante Frage“,antwortet Hetfield, weicht dann aber aus: „Frag‘ mich das in anderthalb Jahren, wenn wir neue Songs aufnehmen.“
Nein, nicht in anderthalb Jahren.Jetzt. „Nun, James hat auch vor kurzem geheiratet. Und auf ‚Reload‘ wird es zum erstenmal einen Metallica-Titel geben, in dem das L-Wort enthalten ist ‚Falling In Love With Life Again‘. Wer weiß, vielleicht schreiben wir irgendwann auch richtige Liebeslieder. Mich überrascht nichts mehr.“ Mich auch nicht.