Die Kreuzritter
Mit dem Geist eines Indie-Labels und der Professionalität einer großen Plattenfirma kämpft SPV für den Classic Rock.
Wie sieht die Zentrale einer Plattenfirma aus, die als eine der letzten ihrer Art die Fahne des bluesigen Hardrock und klassischen Metal hochhält? Eine trutzige Burg mit hochgezogener Zugbrücke, um deren Türme die Adler Kreisen? Nun, die Realität ist eher unromantisch. SPV („Schallplattenvertrieb“) residiert im Gewerbegebiet südlich von Hannover, zwischen Baukränen und Bulldozern – die Stadt baut für die Expo 2000, und das Hämmern der Preßluftbohrer dringt manchmal bis in die Büroräume. Ein prosaischer Zweckbau, das wär’s. Das wär’s? Nicht ganz. Im Büro von Manfred Schütz,dem Gründer und Geschäftsführer von SPV, künden gerahmte Fotos an den Wänden vom Geist des Rock ’n‘ Roll,dem sich die Firma mit Leib und Seele verschrieben hat. The Who lächeln von der Wand, denn die britische Rocklegende ist der persönliche Favorit vom Chef des erfolgreichen Unternehmens. Während fast die gesamte Branche in einer Konjunkturflaute vor sich hin dümpelt, konnte SPV in den letzten drei Jahren die Umsätze sogar noch steigern.
Ein Umstand,den Manfred Schütz mit betriebswirtschaftlicher Sachlichkeit zu erklären weiß: „Wir haben einfach die richtigen Entscheidungen getroffen, was unser Repertoire anbelangt.“ Von Judas Priest bis Motörhead, von Lynyrd Skynyrd bis Saga hat SPV fast alle legendären Namen des „Classic Rock“ unter seine Fittiche genommen. Doch Schütz übt sich in Bescheidenheit: „Ich bin 47 Jahre alt, nicht mehr 27. Ich stehe auf andere Musik, und das schlägt sich in unserem Angebot nieder.“ All jene Veteranen, die woanders nicht mehr mit der Unterstützung ihrer Plattenfirma rechnen konnten,fühlen sich nun bei SPV bestens aufgehoben.“Sowas spricht sich herum“, weiß Schütz. Er ist aber auch Profi genug, auf einen anderen Vorteil seiner Firma hinzuweisen: „Es war eine entscheidende Weichenstellung, daß wir in ganz Europa konsequent unser Vertriebsnetz ausgebaut haben.“ So kann SPV es sich leisten, die Seele eines Indie-Unternehmens mit der Veröffentlichungspolitik einer Major-Company zu verbinden. „Für Künstler wie Paul Rodgers oder Motörhead ist es eben doch ein Argument, daß ihre neue Platte gleichzeitig in Finnland und in Griechenland auf den Markt kommt.“ Deshalb haben Schütz und sein langjähriger Kompagnon Kurt Erping in 23 Ländern Kooperationspartner gesucht: „Kooperation ist ohnehin das A und O bei uns. Ohne Rainer Hansel und seine Firma CBH beispielsweise wären wir wohl kaum, wo wir heute sind. Die wichtigsten Acts bei SPV sind bei ihm unter Vertrag, er selbst ist ständig mit den Jungs auf Tour. Echtes Urgestein, eben.“
Sehr zufrieden ist man in Hannover auch über die jüngste Kooperation mit der amerikanischen Bertelsmann-Tochter CMC: „Die haben Acts wie Pat Benatar, Ted Nugent oder Styx unter Vertrag. Die kommende Little Feat wird nun in Europa von uns veröffentlicht.“ Vielleicht ist es das Ethos des ehemaligen Plattenverkäufers, der SPV so erfolgreich macht. Angefangen hatte alles 1976 mit dem Plattenladen „Music Land“, den Schütz in Hannover eröffnet hatte: „Ein Plattenverkäufer muß dir sagen können/Hör dir mal den achten Track an, der Rest ist nicht so gut‘. Diese Supermarktketten schielen doch nur noch danach, wo sie ihre Chartware herkriegen, damit sie sich ‚Titanic‘ ins Regal stellen können. Plattenkauf muß ein Erlebnis sein!“
Ein Erlebnis war es auch, als in dem 150 qm großen Laden ein Trio namens Trio sein erstes Konzert gab. Schütz schmunzelt noch heute, wenn er an den ersten Auftritt der NDW-Stars zurückdenkt: „Stefan Remmler und Kollegen kamen rein und hatten ihr komplettes Equipment unterm Arm.“ Natürlich könnte ein Haudegen, der 1983 „den ersten Chart-Einstieg für Metallica errungen“ hat („Kill ‚Em All“), sich zurücklehnen und die Früchte seiner Arbeit genießen. Solche Vorschläge aber kontert Schütz mit einem breiten Grinsen: „Ich habe jeden Monat über 200 Leute zu bezahlen.“ Und das ist schließlich auch eine Form von Rock ’n‘ Roll.