Die Kitsch-Diven
Disco aus dem Freudenhaus: Scissor Sisters lassen die 70er auferstehen.
Berlin, Ende Februar. Die Scissor Sisters sind ungemein froh, ausgerechnet im Mudd Club spielen zu dürfen: Der Name geht auf eine ehemalige New Yorker Szene-Institution zurück, um 1980 ein Mekka für Bohemiens und Punks. Da traf Joey Ramone auf Meile Mel, tanzte Arto Lindsay neben Andy Warhol. Die Scissor Sisters reflektieren den Geist dieses legendären Ladens, gerieren sich dabei aber nicht wie elitär-kunstbeflissene Bonvivants. Das Quintett bekennt sich zur Discomusik, zur Kultur der sexuellen Offenheit, des theatralischen Trubels und Kitschs, der Diven und Tunten – zu allem, was aus schlichter Popmusik ein Spektakel machen kann. Allerdings sind sie keine Klamauktruppe, wie die Vokalisten Jake Shears und Ana Matronic sowie Multiinstrumentalist Babydaddy betonen. „Spaß ist uns wichtig, aber man muss aufpassen, dass die Sache nicht in Comedy umschlägt. Wir sehen diese Band als Herausforderung, undda macht sich nötiger Ernst manchmal schon ganz gut.“ Immerhin: Die drei Musiker akzeptieren es, wenn man ihr extravagantes Auftreten mit dem „Camp“-Geist von Filmregisseur John Waters und dem Pop von ABC und Frankie Goes To Hollywood vergleicht. Exaltiertes Feiern als Antithese zum strengen Amerika des George W. Bush?
„Das Leben ist zu kurz, um den ganzen Tag nur herumzusitzen und todtraurige Lieder auf der Gitarre zu spielen. Lachen ist die beste Medizin im Angesicht einer harten Realität, die man spürt, wenn in der eigenen Stadtplötzlich der Krieg losbricht.“ Um die Wirklichkeit erträglicher zu machen, halten sich die fidelen Figuren aus dem Disco-Freudenhaus nicht lange mit Genreschranken auf. Bei ihnen klingen Echos von „Lola“ (The Kinks) wie der Ausschnitt aus einer Prog-Rock-Oper. Pink Floyds „Comfortably Numb“ wiederum erscheint wie ein Überbleibsel des Samstagnachtfiebers der Bee-Gees-Travolta-Ära. „Ich hab’zu Hausesowohl Ramones als auch Bee Gees rumstehen“, gesteht Ana Matronic. „Für uns gibt es keinen Widerspruch zwischen Disco und Rock’n’Roll. Trennungen sind passe, Vorurteilsfreiheit ist der neue Hit!“