Die halbe beste Band ihrer Generation The Libertines Köln,Gebäude
„Is it cruel or kind not to speak my mind?“ Auf jeden Fall ist es bemerkenswert: Carl Baröt würdigt den ruhmlos abwesenden Pete Doherty keines Wortes.
Peter ist krank. Unpässlich, unerwünscht, fort. Vor ein paar Tagen machte er wieder Schlagzeilen, diesmal für seine Verhältnisse positive: Doherty hätte für illegalen Waffenbesitz in den Knast gehen können, aber ein mild gestimmter Richter beließ es bei vier Monaten auf Bewährung. Jetzt also kauert der crack- und heroinsüchtige Libertine, einstweilen von allen Banddiensten entlassen, in seiner Londoner Wohnung, mehr pikiert als reuevoll, und einige hundert Kilometer entfernt, vor einer schmutzgrauen, viel zu kleinen Kölner Fabrikhalle, stehen die Menschen Schlange, weil sie wissen wollen, wie es sich live anhört, the libertines, eines der besten Alben des Jahres, das ohne sein Zutun nicht halb so vollkommen, so grandios chaotisch geworden wäre.
Ein Freund meint, er erwarte hier die „größte Band ihrer Generation“, allein: Was bleibt von dieser Band, die nur als Duo wahrgenommen wird, ohne die eine Hälfte selbst wenn die andere, Carl Barät, alles daran setzt, sie zu ersetzen? Orakeln könnte man für Stunden, aber bald grüßen die Blueskins aus Britannien und geben einen recht famosen Opening Act ab, wenn auch das Bild der in Harmonie rockenden Band schief wirkt mit dem rissigen roten Libertines-Transparentim Hintergrund, das man vom Cover des Debüts UP THE ERACKET kennt. Erst später stimmt der Anblick: Koloss Gary Powell erscheint als erster Libertine, drischt sogleich auf seine Drums ein, Bassist John Hassall schlurft hinterher und versteht es für den Rest des Abends, den Kleiderständer zu verbergen, an dem er hinterrücks aufgehängt sein muss. Dann Anthony Rossomando, Dohertys angenehm unaufdringlicher Ersatz an der Gitarre, und Barät, dem man das Saufgelage gestern in Berlin (dort gaben die Vier ihren anderen deutschen Gig) durchaus noch ansieht. Als ersten Song vom neuen Album hören wir „The Saga“, den fiebrigen Punkrocker, der mit den Textzeilen „Aprablem becomes aproblem/When you letdown yourfriends“ beginnt und schließt: „l ain’t got a problem/lt’s you with the problem“
Es bleibt bei dem subtilen Fingerzeig. Kein Wort verliert Barät über Freund Pete, kaum ein Wort verliert er generell ans Publikum, das damit freilich leben kann, solange sich die Libertines durch ihre Songs brennen, durch die ganzen verdammten Hits: „Can’t Stand Me Now“ auf „Vertigo“, „I Get Along“ auf „Boys In The Band“, „What Became Of The Likelv Lads“, „The Ha Ha Wall“ und „What a waster“, what a fucking waster! Anderthalb Stunden geht das so, und am Ende siegt die Genugtuung über den Eindruck, dass für die Libertines ohne den hassgeliebten Pete Doherty die Magie – das Brüchige, Lodernde, überwältigend Schöne in ihrer Musik – unerreichbar ist. Vielleicht wird einem erst hier das volle Ausmaß der Tragödie bewusst, vielleicht muss man sie so sehen, live und lückenhaft, um zu begreifen, was sie trotz aller selbstzersetzenden Tendenzen sein können: die größte Band ihrer Generation.