„Die Fantastischen Vier machen Hitparaden-Pop mit Sprechgesang.“
Man spricht deutsch. Die hiesige Rap per-Szene reimt schon lange in der Muttersprache. Doch erst seit Die Fanta- stischen Vier die Kassen klingeln las- sen, spitzt auch die Industrie die Ohren. Steht der Untergrund deswegen Kopf?
Hip-Hop in Deutschland, das heißt ganz sicher nidu „Die Fantastischen Vier„, grollt Akim Walta. seines Zeichens Chefredakteur des bundesweit operierenden HipHop-Fanzines MZEE. Persönlich komme er mit den erfolgreichen Stuttgartern gut aus. doch ihr Beitrag zur deutschen HipHop-Kultur sei weder repräsentativ noch sonderlich erwähnenswert. „Die Fantastischen Vier machen Hitpumden-Pop mit Sprechgesang, deutscher Rap ist aber etwas ganz anderes.“ Walta weiß, wovon er spricht, wirbelt der heute 22jährige doch schon seit 19S4 in der nationalen und internationalen HipHop-Szene. Als Solo-Breakdancer unter dem Pseudonym Zeb.Rock.Ski und mit der in ganz Europa bekannten Gruppe Supreme Force ist er bis heute ebenso aktiv wie als Graffiti-Writer. Veranstalter von HipHop-Parties. Herausgeber der Magazine On The Run und MZEE. sowie als Club-DJ und Manager der Band Advanced Chemistry.
Wie kaum ein anderer hat er die HipHop-Entwicklun« in Deutschland erlebt und geprägt. Kein Wunder, daß ihm seit „Die Da!?!“ die Angst vor Kommerzialisierung und Ausverkauf des Underground-Gedankens im Nakken sitzt. „Ich möchte nicht, daß alles so endet wie bei der Neuen Deutschen Welle“, sagt Walta. „Damals ist von der Industrie ein Trend binnen kürzester Zeit lotgeritten worden und ganz sicher wartet auf HipHop das gleiche Schicksal, wenn man sich jetzt nicht vehement dagegen engagiert. „
Und zu diesem Zweck haben er und einige Gleichgesinnte MZEE Productions gegründet. Neben dem Magazin werden hier Platten produziert und vertrieben. Konzerte organisiert. Graffiti-Dienste angeboten, sowie zwei Radio-Shows konzipiert. Langfristig soll ein Netzwerk entstehen, das die in Deutschland recht dezentralisierte Szene verbindet und einen breiten Informationsfluß ermöglicht. Die momentan stark expandierende Fraktion deutschsprachiger Rap-Crews erfährt dabei besondere Unterstützung, geht es den Untergrund-Aktivisten doch darum, eigenes Profil zu gewinnen und nicht länger lediglich US-Trends hinterherzulaufen. Italien und besonders Frankreich mit ihren sehr individuellen HipHop-Kulturen werden von vielen als leuchtendes Beispiel angesehen.
Prominentester Vertreter dieses Gedankens ist das Heidelberger Trio Advanced Chemistry. 1987 gegründet, rappen Torch. Linguist und Toni L. seit vier Jahren hauptsächlich in deutscher Sprache und haben gerade ihre Debüt-Maxi „Fremd im eigenen Land“ vorgelegt. Auf HipHop-Parties — den sogenannten Jams — anfangs noch ausgebuht, weil sie sich herrschenden Trends widersetzten, gelten Advanced Chemistry heute als das Aushängeschild einer eigenständigen deutschen Szene. Statt sich hinter importierten Rap-Klischees zu verstecken, berichten die drei von ihrem
persönlichen Alltag zwischen Lehre. Liebe und Fascho-Terror.
Als Pioniere der ersten Stunde dürfen auch die Rüde Poets aus Köln gelten. Bereits 1 99 1 teilten sie sich mit einer lokalen Punk-Band die Produktionskosten für die Kölsch gerappte Single ,.Eh paar Bierche“. Ein Jahr später gewannen sie den von Sony Music initiierten „Talent Award“. Ihr DJ Scope leitet inzwischen das Studio des bandeigenen Labels Sellout Records und ist zum gefragten HipHop-Produzenten avanciert.
Echte Newcomer gibt es im Zuge des neuen deutschen Sprachgebrauchs natürlich auch, wie die die Hamburger Reimbanditen. „Früher haben wir englisch genippt“, erinnert sich MC OST. „doch oft wußten wir weder so recht, was wir da eigentlich erzählten, noch kriegten wir das mit der Aussprache vernünftig hin. „So habe man sich dann entschieden, auf deutsch umzusatteln und es bisher auch nicht bereut. Nach einer äußerst erfolgreichen Tour als Vo’rgruppe der Fantastischen Vier winkt ihnen jetzt ein lukrativer Plattenvertrag.
Die ebenfalls neuerdings deutsch rappenden L.S.D. haben kurzerhand wie die Rüde Poets eine eigene Plattenfirma (Blitz) gegründet. Mit C.U.S. und Äi-Tiem haben sie zwei weitere Legenden aus frühesten Deutsch-Rap-Tagen unter Vertrag. Der ausgezeichnete Label-Sampler „Blitzmob“ macht deutlich, welch kreatives Potential hier im Verborgenen gedeiht.
Die deutsche Rap-Szene ist jedoch weder durch die obengenannten Vinylveröffentlichungen, noch durch CD-Zusammenstellungen wie“.Krauts With Attitüde“ (1991) oder „Thafs Real Underground“ (1992) hinreichend zu charakterisieren. Schließlich tobt das wahre Leben auf den unzähligen Jams zwischen Hamburg und Landshut. Dort treffen sie sich, die unentwegten Graffiti-, Breakdance- und Rap-Enthusiasten. Eine Tramp-Tour von Kiel nach München, um Freestyle-Legenden wie Cora E. und Torch antreten zu sehen, ist dabei ebenso wenig ungewöhnlich, wie im Sommer mit einer Breakdance oder Sprayer-Crew durch halb Europa zu reisen. „HipHop ist ein Lebensgefiihl“, bringt Akim Walta das Phänomen auf den Punkt. „Aussehen und Geld spielen keine Rolle, es zählt mir, was du kannst.“
Vermutlich hegt hier auch der Grund fiirden hohen Ausländer-Anteil (knapp 50 Prozent) innerhalb der Szene. Wer jahrelang wegen seiner Hautfarbe oder seines vermeintlich exotischen Namens verhöhnt wurde, für den hat das vorherrschende Egalite‘-Prinzip natürlich einen besonderen Reiz. Zudem beziehen deutsche HipHop-Aktivisten schon seit Jahren vehement Stellung gegen Rassismus und Neo-Faschismus, mit Platten wie „80 Millionen Hooligans“ (Easy Business) und „Fremd im eigenen Land“ (Advanced Chemistry) ebenso wie mit Konzerten gegen Rechts. Selbst Pop-Rapper vom Schlage der Four Reeves aus Köln haben ihr Repertoire inzwischen durch den recht biederen, aber zumindest gut gemeinten Polit-Song „Keine Macht den Doofen“ ergänzt. Egal wie groß die musikalischen und/ oder ideologischen Differenzen sonst auch sein mögen. „Nazis rai«/“gilt überall. Ob die hehren Ideale der deutschen HipHop-Szene ihr Eigenleben bewahren dürfen, wird sich wohl noch in diesem Jahr entscheiden. Vieles wird davon abhängen, ob die bereits etablierten Crews den Verlockungen der Plattenindustrie widerstehen. Wenn sie standhaft bleiben und sich nicht vor den Hitparaden-Karren spannen lassen, sind die Weichen gestellt. Dann könnte die Ruhe und Zeit gewonnen werden, die man braucht, um eines Tages tatsächlich auf das Niveau der Engländer. Amerikaner oder auch Franzosen zu gelangen.