Die Charlie Chaplin Story


Film gilt als die siebente Kunst und Charlie Chaplin als der erste und größte Star des Kinos. Es gibt kaum einen Superlativ, der nicht auf ihn zutrifft. In aller Welt kennt man ihn, doch Genaues wissen nur wenige. Unter welchen Bedingungen hat er gearbeitet, wie entstand die Figur seines Tramps, warum wandte er sich von Hollywood ab, wieso ist er noch heute ein Kassenmagnet? Auf diese und andere Fragen versucht unsere dreiteilige Charlie Chaplin-Story Antworten zu geben.


Aus dem Dunkel des Londonder Elendsviertels…

Am 16. April 1889 in London geboren, wuchs Charlie unter Bedingungen auf, die mit ‚Armut‘ nur schwach gekennzeichnet sind. Sein Vater war Bariton, die Mutter Soubrette beim Vaudeville, der damals überaus beliebten, lauten Form des Theaters, einer Mischung aus Jahrmarkt und Variete. Vater Chaplin ließ seine Familie bald sitzen, und vergebens versuchte die Mutter, den Weg ins Elend zu verhindern. „Die Moral unserer Familie mit den üblichen Maßstäben zu messen, wäre ebenso falsch wie ein Thermometer in kochendes Wasser zu stecken“, gestand Charlie später in seiner lesenswerten Autobiographie. Trotzdem, Umstände, die zum Beispiel Erfolgsautor Edgar Wallace zum verbitterten Menschenhasser machten, konnten Charlie nicht unterkriegen, denn „in dem dunklen Kellerraum in der Oakley Street entzündete Mutter für mich das sanfteste Licht, das die Welt je gekannt und das Literatur und Theater mit den größten und reichsten Themen beschenkt hat: Liebe, Mitleid und Menschlichkeit. „Charlie und sein Halbbruder Sydney nannten diese Zeit ihre „graue Periode“: Armenhaus, Waisenschule, für kurze Zeit ärmlichstes Familienleben, dann wieder Einsamkeit.

Die Schule konnte ihm nicht viel geben; Arithmetik erinnerte ihn an Registrierkassen, Geographie bestand nur aus Landkarten, Gedichte waren seine Gedächtnisübungen, und Geschichte erschien ihm wie „eine Aufzählung böser und ruchloser Taten“. Das Theater wurde seine Schule. In der Kinderzeit erzählte die Mutter von der Welt der Bühne, mit acht schloß er sich einer Truppe von Holzschuhtänzern an, schaffte den Sprung ins Londoner Hippodrom und lernte viel von starken Theaterpersönlichkeiten. Dann war er mal wieder in der Schule zu finden, mal bei einem der zahlreichen Jobs: Laufjunge, Hausbursche, Glasbläser, Druckerlehrling usw.

…ins Rampenlicht des Clown

Stets wollte er Schauspieler werden, doch nie reichte es zu einer entsprechenden Ausbildung. Blackmores Bühnenagentur verhalf ihm schließlich zu einer Kinderrolle, und noch im hohen Alter nennt Chaplin das Rollenheft von „Jim, The Romance of a Cockney“, das er als Zwölfjähriger sorgfältig in neues braunes Papier einband, „das wichtigste Dokument, das ich in meinem Leben in der Hand gehalten hatte“. Mit 16 stand er in „Sherlock Holmes“ im Londoner Westend auf der Bühne, bevor er Mitglied der damals beliebtesten Clowntruppe wurde. Fred Karno, der Chef, war zwar ein cleverer Geschäftsmann, aber ein miserabler Kollege. Konnte er einen Schauspieler nicht leiden, brachte er es fertig, während dessen Auftritt in den Kulissen sich die Nase zuzuhalten und laut zu rülpsen, bis sich eines Tages ein Komiker direkt von der Bühne auf ihn stürzte… Charlie lernte schnell und eine Menge Theatertricks, Artistik und Methoden, die dann später ‚Regie‘ genannt wurden. Viele Elemente der Karno-Shows sind später in Chaplins Filmen zu finden; die ausgewogene Mischung von Akrobatik, Clownerien, Melancholie und Lachen führte er zur Perfektion. Vorerst führte ihn sein Weg mit den Karnos in die USA, und Charlie erhielt die einzig positive Kritik des Ensembles: „In dieser Truppe war wenigstens ein komischer Engländer, und das reicht für Amerika.“

Im amerikanischen Westen befreundet sich Charlie mit einem Kollegen, träumt von einer gemeinsamen Schweinefarm und wäre bald dem Film verlorengegangen, hätte er „nicht in einer Broschüre über Schweinezucht in aller bildhaften Ausführlichkeit die Technik des Kastrierens der Schweine beschrieben gesehen“. Das schockte ihn ebenso wie ein Jahr zuvor seine 50jährige Bühnenehefrau, die, als er sie umarmte, so fürchterlich nach Gin stank, daß er in keinem Theater der Welt Erster Liebhaber werden wollte.

Markenzeichen: Der Tramp

1912, während der zweiten USA-Tournee, erreichte ihn in Philadelphia das entscheidende Telegramm: „Haben Sie einen Mann in der Truppe, der Chaffin oder so ähnlich heißt? Falls ja, soll er sich mit Kessel und Bowman, 24 Long Acre Building, Broadway, in Verbindung setzen.“ Absender war Mack Sennett, Gründer der Keystone Picture Corporation, der Charlies Talent erkannt hatte und ihm in dem Slapstick „Making a Living“ (Man schlägt sich durch) die erste Filmrolle gab. Film hört sich großartig an; in Wirklichkeit handelte es sich um einen 300 Meter-Einakter, der in drei Tagen abgedreht wurde; wie überhaupt die Aufnahmen zu den ersten Chaplinfilmen zwischen einem Nachmittag und maximal neun Tagen dauerten. Der Filmtitel war irgendwie typisch für den damaligen Arbeitsstil. Es gab keine Drehbücher, Sennett und Chaplin einigten sich auf eine Ausgangssituation, und dann ging’s los. Ohne Vorlage, nach spontanen Einfällen.

So wurde Charlie eines Tages in die Dekoration einer Hotelhalle gestellt und sollte sich was einfallen lassen. Er sah sich um,ging in die Requisitenkammer, und dabei kam ihm die Idee, „ausgebeulte Hosen, riesige Schuhe, einen Spazierstock und eine schwarze Melone als Kostüm zu wählen. Alles sollte einander widersprechen. Die Hose mußte weit, die Jacke eng, der Hut klein, das Schuhwerk groß sein.“ Und um älter zu wirken, klebte er sich einen Schnurrbart an. Dann machte er Sennett seinen Tramp folgendermaßen schmackhaft: „Wissen Sie, dieser Bursche ist sehr vielseitig; er ist ein Tramp, ein Gentleman, ein Dichter, ein Träumer und ein einsamer Bursche. Immer hofft er, es möge ihm etwas Romantisches und Abenteuerliches begegnen. Er möchte die Menschen glauben machen, er sei ein Wissenschaftler, ein Musiker, ein Herzog oder ein Polospieler. Und dabei ist er durchaus imstande, fortgeworfene Zigarettenstummel aufzuheben oder einem Kleinkind den Lutscher wegzunehmen. Ja, wenn die Gelegenheit es verlangt, wird er sogar einer Dame einen Tritt in den Allerwertesten versetzen aber wirklich nur dann, wenn er sehr aufgebracht ist.

Selbst ist der Mann

Regisseure waren in den Kindertagen des Films die Leute, die darauf zu achten hatten, daß der Darsteller das Bild von rechts betritt, nachdem er die Szene nach links verlassen hatte. Kein Wunder daß Chaplin mit solchen Einfaltspinseln bald Krach bekam —und selbst Regie führte. Spätestens damit wurde er konkurrenzlos, denn er hatte den Vorsprung einer harten Theaterpraxis, kannte Mimik und Gestik und deren Wirkungen und erlebte „den erregendsten Abschnitt an der Schwelle zu einer wunderbaren Welt“.

Sennetts Rezept hieß Gags und nochmals Gags, für heute übersetzt: den Dingen ihren Lauf zu lassen, und darin war Charlie ein Meister. So richtet der Tramp in „Scatting“ (Eislauf) mit einbeinigem Eislauf ein heilloses Durcheinander an und betrachtet sich dann die ganze Bescherung von der Zuschauerbank. In „His Prehistoric Past (Seine prähistorische Vergangenheit) kommt Charlie im Bärenfell ins Bild, zupft sich ein paar Zotteln aus dem Pelz und stopft sich damit eine Pfeife.

Ein neuer Ton erklingt mit „The New Janitor“ (Der neue Pförtner) in den Lachsalven von Studiogästen, Kollegen und Publikum: Charlie entdeckt, was er schon immer ahnte; seine Fähigkeit, andere zu rühren und zum Weinen zu bringen. Melancholische und auch tragische Elemente sind von da an in seinen Filmen zu finden, wenn sie natürlich auch hinter seiner einmaligen Komik und Satire zurückstehen.

Mit 26 der Star des Kinos

1915 wechselte er zu einer Firma, die seine Popularität zuvor auf originelle Weise testete. Marktanalysen und ähnliche statistische Spielereien kannte man damals noch nicht, und so ließen die Bosse Charlie in einem Edelhotel durch einen fingierten Telefonanruf per Pagen ausrufen. Der Menschenauflauf, der dann in der Hotelhalle entstand, genügte als Rechtfertigung für einen sensationell hoch dotierten Vertrag. Charlies Partner im ersten Film für die Firma Essanay, „His New Job“, war übrigens der ewig schielende Ben Turpin, der danach selbst ein gefragter Komiker und Filmartist wurde.

Mit 26 erlebte Charlie einen ersten Karrierehöhepunkt. Er war so populär geworden, daß es eine echte Charlie-Folklore gab: die hübschen Girls der Ziegfeld-Revue traten in seinem Kostüm auf; in Warenhäusern gab es Statuetten und Spielsachen im Tramp-Look, und wer nur etwas herzustellen hatte, wollte eine Charlie-Lizenz haben (da war der 72er Olympia-Dackel ein armer Hund dagegen). Kinder plapperten Abzählreime über ihn, und Erwachsene sangen eine Art Charlie-Nationalhymne (das gleiche Lied sangen 1936 Europas Starkritiker im Chor, als sie zur Londoner Premiere von Chaplins Film „Moderne Zeiten“ schipperten).