Die CD im ME


Seit 20 Jahren durchforstet Daniel Miller die Clubs und Hallen dieser Welt nach dem Sound der Zukunft - sein Label Mute wurde dabei zum Zuhause für zahlreiche Stars.

Daniel Miller lächelt versonnen. „Es war ein jämmerlicher Anblick“, erinnert er sich. „Da standen drei Milchbubis hinter ihren Synthesizern. Der Sänger klammerte sich bewegungslos ans Mikro. Aber was aus den Boxen kam, das hat mich umgehauen.“ Der Rest ist Geschichte, denn bei den verschüchterten 17jährigen handelte es sich um Depeche Mode – und bei Miller um jemanden, der zwei Jahre zuvor, 1978, ein Label namens Mute gegründet hatte. Miller war in die kleine Londoner Kaschemme gekommen, um einem Auftritt seines ersten Acts, Fad Gadget, beizuwohnen, als er die Vorgruppe sah, die sein Leben komplett verändern sollte.“Natürlich hat mich Punk beeinflußt. Aber musikalisch empfand ich es als inkonsequent, daß man dafür drei Akkorde können sollte“, sagt Miller. „Insofern war und ist der Synthesizer oder Sampler das einzig wahre demokratische Musikinstrument.“ Wie Miller das meint, hat er seinerzeit selbst vorgemacht-und ohne jedwede Vorbildung unter dem Namen „The Normal“ein schräges Stück Elektropop namens „Warm Leatherette ‚fabriziert, das den Startschuß für das eigene Label gab. Miller, gelangweilt von anglo-amerikanischer Gitarrenmusik, starrte zu jener Zeit gebannt nach Deutschland, wo Neu, Kraftwerk und vor allem Can mit allen Rock-Konventionen brachen. Folgerichtig war sein erstes Signing denn auch eine deutsche Band: die Elektro-Provokateure DAF, die er bei dem Düsseldorfer Label Atatak rekrutierte. Zu Eletctropunk und Wave gesellte sich die Berliner Szene in Form der Einstürzenden Neubauten, die Mute bis zum heutigen Tag international vertreibt. Wie schon zuvor bei Depeche Mode war es ein Konzert, das Mute Mut machte für das nächste Geschäftsfeld: die kaputten Blues-Mutationen von Birthday Party schenkten dem Label nicht nur ihren Dauerbrenner Nick Cave, sondern in Folge auch Mitglieder seiner Bad Seeds, namentlich (und nun als Solisten) Barry Adamson und Mick Harvey. Mittlerweile hat das mittelständische Unternehmen Mute drei Töchter: Blast First, das Sonic Youth entdeckte und nun Bands wie Hovercraft, Labradford und Panasonic unter Vertrag hat; Grey Area, wo Miller sich um den Backkatalog seiner Helden Can oderThrobbing Gristle kümmert; und schließlich der Dance-Zweig der Firma, Nova Mute. Dort sind mit dem Kanadier Richie „Plastikman“ Hawtin, dem Holländer Jochem „Speedy J“ Paap und dem Engländer Luke Slater gleich drei Szene-Stars im Boot. Sie alle haben, was Nova Mute-Managerin Pepe sich von all ihren Künstlern wünscht: „They got balls“. Nicht höflich soll die Musik sein, sondern hart, funky und vor allem ungewöhnlich. Auf eines ist Miller besonders stolz: daß er, mit Ausnahme von DAF und Alison Moyet, keine Künstler verloren hat. Selbst ausgestiegene Mitglieder von Mute-Bands kehren in den Schoß der Familie zurück, wie Ex-Depeche Alan Wilder als Recoil, oder wie Vince Clarke, der mit Depeche, Yazoo und Erasure gleich dreimal den Mute-Katalog und das Mute-Konto bereicherte. Doch Geld ist in dieser Firma nicht das beherrschende Thema. Mute genießt den Ruf eines Künstlerlabels – groß genug, einen Megaseller wie Depeche Mode effektiv verwalten zu können, aber auch sensibel genug, um mit Diven vom Schlage einer Diamanda Galas umgehen zu können. Dieser Spreizgang erfordert besonderes Feingefühl, auch bei der Wahl der richtigen Partner in Vertrieb und Promotion. In Deutschland ist Miller seine beständigste Kooperation eingegangen: Seit 1981 arbeitet Mute hier mit der EMI-Tochter Intercord zusammen. Doch selbst eine solch lange Beziehung wird ständig auf Herz und Nieren überprüft. Wie wichtig die deutsche Vertrauensperson für Mute ist, zeigte sich kürzlich, als der unbestechliche Lagercomputer einen Mute-Titel aus dem Bestand streichen wollte. Der Song hatte innerhalb von drei Monaten keinerlei Verkäufe gezeitigt und damit seine Existenzberechtigung verloren. Zum Glück für die Intercord bemerkte Mute-Labelmanagerin Anne Berning den Vorgang, intervenierte und verhinderte so die drohende Katastrophe. Denn das fragliche Stück war nicht irgendein Song. Es war „Warm Leatherette“.