Die Britchaoten Supergrass sind bei Album Nummer 4 angekommen. Von einem Reifeprozess kann aber keine Rede sein. Zum Glück.


Die auffälligste Neuerung zuerst: Supergrass, dieses struppige Dreierpack des Britpopbooms, hat expandiert. Durch die offizielle Aufnahme von Robert Coombes wurde die Band zum Quartett Keine wirkliche Sensation, schließlich ist „Bob“ als Live-Keyboarder seit den Anfangstagen dabei. „Ich habe eigentlich von Beginn an meine Ideen in die Band eingebracht, mit der Zeit wurde ich halt immer mehr involviert. Der einzige Unterschied zum letzten Album besteht aber darin, dass ich jetzt auch bei den Presseterminen dabei bin und auf die Bandphotos komme“, erklärt der Bruder von Chefsongwriter Gaz Coombes. „Es gab keine große Initiations-Zeremonie. Wir haben ihn einfach gefragt, er muss schließlich selbstfür sich entscheiden, ob er die Pressearbeit auf sich nehmen will“, sagt Bassist Mick Quinn und zuckt mit den Schultern.

Eine Neuigkeit also, die letztlich doch keine ist. Und damit ein beispielhafter Umstand für das neue Album „Life On Other Planets“. Denn Supergrass‘ Vierte ist neu, sie ist frisch, sie kickt, aber gleichzeitig ist sie doch wieder so typisch Supergrass, dass es kracht. Man ist kurz verleitet zu sagen, bei den kauzigen Rockern aus der Universitätsstadt Oxford habe sich nichts getan, doch dabei handelt es sich um einen Denkfehler- es ging und geht Supergrass immer darum, urwertigen Gitarrenpop/-glam/-rock mit eigenem, individuellen Twist zu versehen und damit Spaß zu machen. Das ist eine Tradition, die sie von Beginn an pflegen und mittlerweile zur Perfektion getrieben haben: Was schon beim Teenager-Frühwerk „I Should Coco“ (1995) mit seinen fast albern überdrehten, dreckigen Energiepopnummern zu erkennen war, wurde bei „In It For The Money“ (1997), ihrem vielleicht schrulligsten Album, noch deutlicher: Dieses ganz eigene Supergrass-Feeling. Es kulminierte 1999 in ihrem wohl definitiven Longplayer „Supergrass“ mit den Hits „Pumping On Your Stereo“ und „Moving“, wo sie die Qualitäten der ersten zwei Platten zu zeitlosem Megapop zusammenführten. Dank dieses Spaßfaktors, dem sich praktisch kein Ohr entziehen kann, kommt die Band als eine der wenigen der Ära unbeschadet über das Ende des Britpop hinweg. Deswegen: Supergrass dürfen sich gar nicht entwickeln. Sie müssen immer ihre jugendliche Frische, den Drang, den Witz behalten, denn das ist.wofür man Supergrass liebt. Insofern ist „Life On Other Planets“ das mit seinem schmetternden Lärmpop und augenzwinkernden Mitpfeifnummern da weitermacht, wo sie zuletzt 1999 absetzten, genau das Album, das man sich von Supergrass gewünscht hat.

Wenn die Tatsache, dass Supergrass heute auch offiziell zu viert sind, doch eine Auswirkung hat, dann die, dass sie nun noch schwieriger zu kontrollieren sind. Da bei den diversen Photoshootings des Tages immer wieder irgendein Mitglied unauffindbar ist, verschiebt sich der Interviewplan ins Endlose. Schließlich ergibt sich die Möglichkeit, immerhin Keyboarder Bob und Bassist Mick vor das Mikrophon zu bekommen, später dann Sänger Gaz und Drummer Danny. Eine aufschlußreiche Aufsplitterung der Band: Bob und Mick sind zwar immer für gute Sprüche zu haben, aber insgesamt doch die beiden ruhenden Pole des Quartetts. Danny und Gaz hingegen werden, einmal losgelassen, zum brillant eingespielten Komikerduo.

So erklärt Mick die Grundlagen zum neuen Album noch vergleichsweise vernünftig: „Wir versuchen schon immer, eine Platte aufzunehmen, die anders ist als die Letzte. Sonst gäbe es ja überhaupt keinen Grund, ins Studio zugehen. Ob es am Ende dann auch so klingt, ist natürlich eine andere Sache. Aber wir waren diesmal in verschiedenen Studios, arbeiteten mit Produzenten und ProTools“. Wir versuchten, für das Songwriting möglichst viele verschiedene Ansätze zufinden. Auf jeden Fall sind die Batterien von Supergrass neu aufgeladen. Viele Leute vergleichen diese Platte mit ‚I Should Coco‘, was ich insofern verstehe, ab auch diese Platte eine sehr unmittelbare ist. Man muss sie nicht oft hören, damit sie einem in den Kopf geht. Das ist eine feine Eigenschaft, aber nicht unbedingt die beste, die eine Platte haben kann.“

Danny und Gaz dagegen antworten viel lieber im Doppelpack, und das klingt dann so:

ME: Könntest du das Album zusammenfassen in…

Danny unterbricht: „in 83 Worten?“

In 83 Worten. Nimm nen Zettel und nen Stift.

Gaz: „Es ist voller Energie …“

Danny (zählt die Worte mit): „Es. Ist. Das. Vierte. Supergrass. Album. Es. Wurde. Aufgenommen, 19hundert – nein, 2000… Mist, das klappt nicht. Ich will mich eh nicht erinnern, es schmerzt noch zu sehr.“

Gaz: „Es ist voller Energie, verschiedener Situationen, verschiedener textlicher, äh,… was meinst denn du?“. Ich habe es schon den anderen gesagt, es ist das Album, das man sich von Supergrass wünscht.

Gaz: „Es ist schwer zu beschreiben…“

Danny: „Lass ihn doch bitte ausreden.“

Ich war eigentlich fertig. Wenn man Supergrass liebt, kriegt man mit diesem Album das, wofür man sie liebt.

Gaz: „Das ist echt süß. Wir waren sehr aufgedreht bei den Aufnahmen, es fühlte sich überhaupt nicht so an, als hätten wir schon drei Alben auf dem Buckel.“

Die anderen beiden meinten, ihr hättet euer Songwriting geändert…

Gaz: „Wer sagt das? Die anderen zwei?“

Danny: „Wenn man sie einen Moment alleine lässt,fangen sie vielleicht an, Dinge zu erzählen!“ Sie erwähnten ProTools …

Danny: „Nein, wir haben immer ProTools verwendet. Diesmal sogar weniger als beim letzten Mal, oder etwa nicht, Gaz?“

Gaz: „Beim Schreiben hat sich nichts wirklich verändert. Die Magie, wenn man einen guten Song geschrieben hat, ist immer noch da. Geh mir verdammt nochmal aus dem Gesicht! (schlägt nach einer Schwebefliege) Wo ist sie? Ich bring dich um, verdammt!“

Danny: „Ja ja, die Schönheit der Natur. Wir haben mehr live eingespielt als zuletzt.“

Gaz: „Beim letzten Album haben wir uns zu sehr auf ProTools und die Studiotechnik verlassen. Wir waren faul, denn so kann man Fehler leichter kaschieren. Es nimmt dem Ganzen aber auch den Drive. Diesmal sind Fehler drauf geblieben.“

Danny: „Absichtliche Fehler. Wir machen keine Fehler.“

Gaz: „Hört sich das gut an?“

Danny: „Nein. Unabsichtliche Fehler.“

Das klingt alles nach unbeschwerter Leichtigkeit. Von den harten Zeiten, unter denen die Musikindustrie stöhnt, sehen sich Supergrass noch nicht betroffen.

„Wir waren ohnehin immer eine geizige Band. Alles was wir brauchen, sind hie und da neue Gitarrensaiten, dann sind wir glücklich. Für unsere Verhältnisse haben wir uns diesmal sogar ziemlich aus dem Fenster gelehnt, weil wir nicht selbst produziert haben „, überlegt Mick Quinn. „Unseren Vertrag zu verlieren liefen wir nie Gefahr, weil wir immer genug verkauft haben. Aber zu Ende des Britpops musste ich mitansehen, wie viele Bands gedroppt wurden!'“Im Nachhinein war das keine gute Zeit für die britische Musik. Die Qualität hielt nicht mit der Quantität mit“, wirft Bob Coombes ein, und

Mick stimmt zu. „Da muss ich eh immer lachen. Als man uns unter Vertrag nahm, war in England gerade die !New Wave Of New Wave‘ das große Ding. Wir hatten ein paar punkige Nummern, und die Plattenfirma signte uns in diesem Zusammenhang, ich bin mir sicher, die Plattenfirmen der Welt suchen gerade händeringend nach Strokes-Coverbands. Ich sage: Mach einfach dein Ding. Irgendwann kommt es von selbst in Mode.“

Wohl wahr. Supergrass dürfen heute für sich in Anspruch nehmen, unabhängig von allen Trends zu existieren, die rostige Eisenkugel „Britpop“ von ihrem Fuß gelöst zu haben und Musik zu machen, der man getrost ein gerüttelt Maß an Zeitlosigkeit unterstellen darf.

Geben wir dem Komikerduo noch einmal die Möglichkeit, sich auszutoben: Was ist der Lieblingssong von Danny bzw. Gaz auf dem Album? Danny: „Die Sache ist die: Wir behandeln alle unsere Songs wie unsere Babys. Du darfst keinem von ihnen mehr Zuneigung geben als den anderen, sonst fühlen die sich zurückgesetzt. Aber ich mag ‚Brecon Beacons‘.“ Was ist „Brecon Beacons “ eigentlich? Danny: „Es ist ein Ort in Wales, wo Leute verloren gehen und nie wiedergefunden werden. Der Song ist ein kleines Gedicht.“

Gaz: „Ein fiktionaler Ort.

Danny:“Es geht um diese Kreaturen, die dieses Mädchen beschützen. Aber es stirbt.“

Gaz:“Die Arme stirbt.“

Danny: „Das Dorf hat ein Geheimnis. Die Leute wissen, wer der Täter war. Es war der Dorfpolizist. Ganz schöner Müll, eigentlich, dieses Gedicht.“

Ladies und Gentlemen: Supergrass. Mögen sie nie erwachsen werden. www.supergrass.com