Die Band, der nichts egal ist


Sie sagen ihre Meinung. Sie sind die verlabertste Band der Welt. Ein Interview mit Wir sind Helden-Sängerin Judith Holofernes und -Bassist Mark Tavassol über Musik, Medien und Meinungsänderungen.

Hamburg, St. Pauli. Abendsonne. Ein Parkdeck in der Nähe einer Verkaufsstelle einer sehr bekannten Discountkette für Lebensmittel, die auch eine Nebenrolle im Wir sind Helden-Song „Denkmal“ spielt. Davor stehen Männer in Grüppchen und trinken bepfandetes No-Name-Dosenbier. Zwei Taxis halten an der Straßenecke. Judith Holofernes, Mark Tavassol, Jean-Michel Tourette und Pola Roy steigen aus. Mit leichtem Gepäck, Isomatten und Schlafsäcken. Die Helden übernachten bei Mark, der in Hamburg lebt. Das ist low key, oder „richtig Rockstar-mäßig“, wie Pola mit einem leichten Anflug von Ironie betont. Händeschütteln. Vorsichtiges Abtasten.

Dann bei der Fotosession immer wieder leicht inquisitorische, aber freundliche Blicke von Judith in Richtung des untätig herumsitzenden Journalisten. Das hat seinen Grund. In einem Anfall von mit-halbem-Ohr-gehört und vielleicht mit ein bisschen zu leichter Hand hatte der seinerzeit die Single „Müssen nur wollen“ für schlecht befunden und – was viel schwerer wiegt – Wir sind Helden mit Hannes Orange verglichen. Hannes Orange, einer dieser neuen deutschen Nihilisten-Popper. Das muss man sich vorstellen. Die Helden lesen MUSIKEXPRESS, vor allem Jean. Die Helden haben auch die Singlesbesprechung gelesen. Der Journalist entschuldigt sich. Denn Mittlerweile hört er Die Reklamation rauf und runter, was entnervte Mit-Redakteure bei Bedarf bezeugen können. Judith: „Wir haben bei unserem Label angefragt, ob wir Angst vor dir haben müssen. Aber das ist schön. Es ist für uns doch eigentlich das schönste Kompliment. Sowas ist uns noch nie passiert.“

Anschließend das Interview mit Judith und Mark auf der, nun ja, Terrasse, einer typischen Hamburger Bierkneipe, die Gottseidank auch Apfelschorle mit Zitronenscheiben im Programm fuhrt. Das Getränk des frühen Abends.

So schlecht kann es doch um die Pop-Welt noch nicht bestellt sein, immerhin ist die Single „Guten Tag“ in die MTV-Rotation gekommen, ohne dass ihr einen Plattenvertrag hattet, und Die Reklamation ist von null auf sechs in die Charts eingestiegen.

Judith: Ich glaube und hoffe, dass das eine Gegenbewegung ist. Auf der einen Seite wird dieses ganze Plastikpopding immer transparenter – wir werden zum Beispiel in jedem Interview gefragt, was wir von diesen Castingshows halten. Das beflügelt natürlich Bands, die genau das Gegenteil verkörpern.

Dieser ganze Medienoverkill: „Tagesthemen“, „Die Welt“, „Die Zeit“, die Teeniepresse – jeder berichtet über Wir sind Helden. Jeder liebt „Die Helden“. Da kann doch was nicht stimmen.

Judith: (kichert)

Mark: Wahrscheinlich hast du Recht. Ein Teil des Interesses hat auf jeden Fall mit unserer Musik und mit Judiths Texten zu tun. Ein anderer Teil mit der Geschichte der Band. Weil wir eben ohne Label in die Radios und ins Musikfernsehen gekommen sind. Das war der alte Weg, den wir aber gar nicht so sehr forciert hatten. Vielleicht hat unsere Geschichte für viele Bands – in Anführungszeichen – etwas Märchenhaftes. Hoffentlich auch etwas Ermutigendes. Und deshalb sind wir auch für bestimmte Medien interessant.

Es ist ja nicht so, dass die „Tagesthemen“ einen Beitrag über Wir sind Helden bringen, weil ein Visionär in der Redaktion das musikalische Potenzial der Band erkannt hat. Sondern weil es zurzeit eh jeder macht und weil ihr eine niedliche Sängerin habt.

Judith: Funktionieren die „Tagesthemen“ so? Oft ist das ja so, aber denen hätte ich das jetzt nicht unterstellt…

Dann hätten sie auch vor Jahren über Radiohead berichten müssen.

Judith: Hmm, ich war auch immer in irgendwelche Leute von irgendwelchen Bands verknallt. Natürlich ist das wichtig.

In wen zum Beispiel?

Judith: Äh, in Leute, in die wohl die wenigsten verknallt sind.

Mark: Jetzt bin ich aber mal gespannt.

Judith: Ich war wirklich verknallt in Elvis Costello – natürlich in den jungen Elvis Costello. Klar spielt sowas eine Rolle, klar ist Musik immer … Sex. Natürlich habe ich mich auch in Leute verliebt, die Texte geschrieben haben, die mich berührten. Das ist im Prinzip in Ordnung, aber wenn es zu einem Hauptaspekt unserer Band werden würde, wäre das schon eine sehr enge Sichtweise.

Ist es euch egal, aus welchem Grund die Medien über euch berichten ?

Judith: Nicht wirklich.

Mark: Nee, das kann man nicht sagen.

Judith: Aber es gibt ja auch nicht einen Grund, aus dem die Medien über uns berichten. Wir merken manchmal bei Interviews, hmm, hier geht’s nicht so richtig doll um uns. Ich habe eher das Gefühl, dass die Hauptgründe für die Berichterstattung über uns meistens ganz woanders liegen. Viele wollten schon immer ihre Geschichte über die Musikindustrie erzählen, oder ihre Geschichte über Konsumkritik…

… und sie müssen das dann nicht selber tun, sondern lassen es von euch machen…

Judith: … sie freuen sich, dass wir als Aufhänger für verblüffend viele Geschichten passen, die sie sowieso schon immer erzählen wollten.

Was das Schönste an diesem ganzen Medienhype ist – keiner sagt: „Die singen Deutsch und sind trotzdem gut.“

Judith: (lacht) Wobei wir immer gefragt werden, ob wir Englisch singen würden, und ob es eine bewusste Entscheidung war, Deutsch zu singen. Wir haben noch nie darüber nach gedacht. Die Lieder sind eben auf Deutsch. Irgendwie. Punkt.

Ist es nicht ein Widerspruch, wenn ihr euch kritisch in euren Texten über Glücksverkäufer äußert, und dabei selber irgendwie Glücksverkäufer seid?

Judith: Es ist ja nichts gegen die Suche nach dem Glück einzuwenden. In „Guten Tag“ und „Müssen nur wollen“ geht es ja eher um standardisierte Glücksangebote. In der Musik habe ich auch schon immer viel Glück gefunden. Gerade deshalb, weil Musik und Texte sehr offen sein können und jeder sein eigenes Glück da reindenken kann.

Wofür würdet ihr Werbung machen?

Mark: Für Projekte kann man zum Beispiel Werbung machen.

Judith: Ja.

Mark: Wenn man etwas bewerben möchte, ist es natürlich wichtig, dass man genau darüber Bescheid weiß. Das macht die Sache aber auch wieder schwierig. Weil man dann auch zu Recht mit der Frage konfrontiert wird, warum man ausgerechnet hierfür oder dafür gerade steht. Es klingt abgedroschen, aber: Wenn sich jemand für alternative Energien einsetzt, kann man das bewerben. Oder: Hier in Hamburg gibt es eine Institution für die medizinische Versorgung von illegalen Einwanderern. Den Leuten ist es egal, ob ihre Patienten legal oder illegal in Deutschland sind, ihnen geht es nur darum, dass die Menschen versorgt werden – dafür kann man Werbung machen.

Judith: Das sehe ich genauso. Bei klassischen Konsumgütern fällt mir nichts ein. Da müsste schon etwas auftauchen, das furchtbar einleuchtend ist.

Nicht so die Nummer, wie Günther Jauch den Regenwald rettet? *

Judith: Genau, mit Bier Regenwald kaufen, das würde ich nicht unterstützen. Mark: Ich finde die Idee super, aber da weiß ich einfach zu wenig darüber. Judith: Das ist ganz schön schräg. Die kaufen auch viel zu wenig Wald. Ein Stück, das so groß ist wie der Görlitzer Park.

Mark: Es ist ja auch eine Verkaufsstrategie damit verbunden. Das ist eigentlich eine perfide Vorgehensweise.

Was mich wundert: Ausgerechnet um die politischste Band des „neuen deutschen Pop“ wird das größte Trara gemacht. Es heißt doch, in der Spaßgesellschaft sei kein Platz für Politik …

Judith: Das ist ein interessanter Gedanke, darüber habe ich mich auch schon gewundert. Aber ich glaube, dass das gar nicht so ist. Die Leute interessieren sich eher weniger für die klassischen Formen der Politik. Ich denke, dass es viele gibt, die sich für politische und philosophische Gedanken und Gesellschaftskritik interessieren. Ich habe das Gefühl, dass wir nur den Soundtrack zu etwas liefern, das sowieso schon da ist.

Apropos Politik: Neulich habt ihr Sigmar Gabriel, den „Pop-Beauftragten“ der Bundesregierung, getroffen. Wie war das so?

Judith: Das war interessant. Wir sind hauptsächlich aus Neugierde zu ihm gefahren. Wir haben uns das nicht selber ausgedacht, es war die Idee der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, dass wir ein Interview mit ihm machen sollten.

Ich dachte, Schröder hätte ihm befohlen: „Sigmar du gehst jetzt mal zu Wir sind Helden, die sind heiß“.

Mark: Er wird gesagt haben: „Das ist ein heißer Scheiß“.

Judith: Wir fanden die Idee interessant. So nach dem Motto: Guck mal, was wir jetzt für lustige Sachen machen können in unserem Beruf. Ich habe aber dann doch gedacht, Gott sei Dank ist das nicht mein Beruf, Gott sei Dank muss ich mich nicht dauernd mit Politikern treffen. In solchen Gesprächen geht es schon sehr kontrolliert zu. Gabriel war ja damals auch noch in die Enge getrieben mit seiner Bemerkung über Modern Talking. Alle hacken auf seinem Amt herum, und dann kommen wir noch und stellen lauter freche Fragen: „Wie stellen se sich’n das so vor?“

Wenn Nena im Helden-T-Shirt auftritt, ist das eher eine platte Kopie von Madonna, die einmal im Kylie-Minogue-T-Shirt aufgetreten ist…,

Judith: (lacht) … ich wär dann Kylie!…

… oder eher schmeichelhaft oder scheißegal?

Judith: Gibt es nur diese drei Möglichkeiten?

Es gibt unendlich viele.

* Eine große deutsche Brauerei betreibt seit einiger Zeit ein _Regenwatd-Projekt“. Mit jedem Kasten Bier, den der Konsument kauft, „rettet“ er einen Quadratmeter Regenwald. Günther Jauch findet diese Idee so toll, dass er Fernsehwerbung dafür macht.

Mark: Ich finde das schmeichelhaft. Wenn ein Musiker ein T-Shirt einer anderen Band trägt, dann muss das nicht gleich wie bei Madonna und Kylie sein. Scheißegal ist es bestimmt nicht.

Judith: Es war einfach sehr nett von ihr.

Mark: Ich kann keine negativen Gefühle entwickeln, wenn jemand sagt: „Ich mag euch“.

Immer? Und wenn die Böhsen Onkelz mit Helden-T-Shirts aufträten?

Judith: (lacht).

Mark: Also nicht immer, das stimmt. Aber Nena ist ja auch keine Böhse Tante. Judith: Nena ist eine super Performerin.

Mark: Man muss schon große negative Energie haben, um darüber böse zu ein, dass jemand so etwas macht.

Judith: Vor allem: Als wir bei ihr im Vorprogramm aufgetreten sind, kannte uns noch kein Schwein. Es war skurill. Dauernd war unser T-Shirt in der „Gala“ zu sehen, und keiner wusste, wer wir sind.

Mir ist es immer ein bisschen peinlich, wenn ich das Gefühl habe, dass mich jemand mag, den ich nicht leiden kann.

Judith: Das stimmt. Das ist natürlich ein befremdliches Gefühl.

Mark: Es ist ja nicht so, dass wir Nena nicht mögen. Wir kennen sie aber auch nicht besonders gut. Wir haben uns nur ein bisschen mit ihr unterhalten.

Judith: Wir hatten eine sehr nette Begegnung, bei der sie extrem süß auf uns zugegangen ist.

Irgendwo habe ich gelesen, dass Ihr die „neue Hoffnung der Generation Golf zwei“ seid.

Judith: Oh Gott!

Habt ihr überhaupt die Ambition, die Hoffnung für irgendeine Generation zu sein ?

Judith: Vor allem nicht, die jener. Das ist mir sehr suspekt. Wir wollen nicht der Klassensprecher irgendeiner Generation sein. Ich finde es extrem super, wenn wir ein Teil des Soundtracks für die Leute sein können, die sowieso denken wie wir. Aber wir sind ja nicht nur gesellschaftskritisch, wir haben auch viele Liebeslieder. Wir schreiben über alles, was uns wichtig ist.

Mark: Wenn ein Künstler eine bestimmte Rolle einnimmt – oft ungewollt – macht das ja unfrei. Dann kommt es dazu, dass alles, was du sagst, sehr genau beachtet wird. Du kannst dann nicht mehr unbeschwert an die Dinge herangehen. Du musst dich auch mal irren, mal korrigieren dürfen.

So wie ich?

Mark: So wie du.

Judith: Was ich ganz großartig finde. Es ist echt mal eine schöne Erfahrung, einen Journalisten zu treffen, von dem man denkt, dass der einen nicht mag und der dann einfach seine Meinung ändert. Es ist ja nicht verwerflich. Ich muss echt zugeben, ich bin da zu empfindlich. Vielleicht, weil ich im Fokus stehe und weil’s meine Texte sind.

Mark: Politiker sind so professionalisiert, dass sie es sich nicht mehr erlauben können, sich zu korrigieren. Und so kommen sie auch zu einer sehr eingeschränkten Art, sich zu äußern. Das ist eine Last, die ich nicht tragen möchte.

Judith: Wobei ich es sehr schön finde, wenn man diese Last lockerer trägt. Wegen dieses Konsequenz-Zwangs, der einem immer aufgeladen wird: Du hast doch da so ’ne dicke Lippe riskiert und jetzt sag doch mal, ob du auch wirklich alles im Bio-Laden kaufst.

Mark: Und: Ihr habt ja auch ein Handy!

Judith: Wenn man sich davon nicht einschüchtern lässt, kann man anhand dieser Gegenfragen immer antworten: Genau das ist das Problem, deswegen kauft keiner nicht auch nur eine Brezel im Bioladen, weil er Angst hat, dass er dann für den Rest seines Lebens zu totaler Konsequenz verdonnert wird. Wenn nicht, wird er in der Luft zerrissen. Weil alle abklopfen, ob er es ins Allerletzte halten kann.

Die Entstehungsgeschichte von Wir sind Helden liest sich nicht so prickelnd…

Judith: Ja, die ist scheiße! (kichert)

Mark: Jeder hat seine Fehler …

Judith: … nein, die ist nicht scheiße, überhaupt nicht.

Aber sie liest sich scheiße. Ihr habt euch in Hamburg bei einem „Kontaktstudiengang für Popularmusik“ kennen gelernt. Das klingt fast wie „Deutschland sucht den Superstar“, nur noch ein bisschen muffiger.

Mark: Ich war ja nicht dabei. Haha!

Judith: Ja, du bist fein raus. In Wirklichkeit möchte ich diesen Kurs überhaupt nicht diskreditieren. Das war eine super Sache. Wenn man liest, dass wir uns bei sowas kennen gelernt haben, klingt das sofort nach „gemacht“ – oder nach „gefördert“, was natürlich auch igitt ist. In Wirklichkeit war es super. Es waren sechs Wochen im Sommer, in denen ich zum allerersten Mal mit Leuten zusammen war, die nur Musik machen wollten. Für mich war es das Paradies, mit Menschen dazusitzen, denen es total klar war, nur Musik machen zu wollen. Ich war nicht mehr der Alien. Wir haben dabei auch super Sachen gelernt. Es kamen Gastreferenten, Smudo zum Beispiel, die uns einen erzählt haben. Es gab Seminare mit Textcoaching, wir haben unsere Texte verglichen und uns gegenseitig geholfen. Vor allem haben alle irgendwelche komischen Ausflüge gemacht. Die Hip-Hopper mussten zum Schluss irgendwelche Country-Sachen machen. Sich bei sowas kennen zu lernen ist eigentlich sehr ehrenhaft, man muss es nur ein bisschen erklären.

Smudo hat also aus dir gemacht, was du bist?

Judith: Smudo ist schuld.

Mark: Ja, das würde ich so aufschreiben.

Judith, ist es wahr, dass eine Zeitschrift wegen Nacktfotos bei dir angefragt hat?

Judith: Ja. Ich habe lachend abgelehnt. Wir haben alle ziemlich gut gelacht. Mark: Gekreischt haben wir!

Judith: Bei der zweiten Anfrage fanden wir es dann allerdings nicht mehr ganz so witzig. Auch wenn es nicht mich persönlich betreffen würde: Es kann doch nicht sein, dass jeder, der seine Nase irgendwo zeigt, sich sofort nackig machen soll. Die ist ein bisschen bekannt, die war bei Harald Schmidt in der Sendung, die soll sich bitte mal sofort nackig machen. (lacht sich scheckig) Mark: Ich bin mal gespannt, ob nach dieser Medienpräsenz diese Anfragen immer noch kommen werden.

Judith: Ich glaube nicht. Wir haben das ja jetzt schon so oft gesagt.

Und wenn ihr euch alle nackig macht?

Judith: Wir haben denen vorgeschlagen, sie sollen die Jungs fotografieren, auf so Bärenfellen. Aber das wollten sie nicht.

Wie siehst du dich in zwanzig Jahren, Judith? Singst du dann ein deutsch-englisches Duett von „Guten Tag“ mit Christina Aguilera ?

Judith: (lacht) Ich finde nicht, dass Kim Wilde das Gegenstück zu Christina Aguilera ist. In zwanzig Jahren? Ich könnte mir vorstellen, dass wir dann total verschrobenes, verwurschteltes Zeug machen, das nur noch wenige Leute hören wollen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass wir dann der Band von heute noch ziemlich ähnlich sind.

Mark: Wir könnten natürlich auch was ganz anderes machen.

Judith: Es könnte sein, dass ich zwischendurch keinen Bock mehr hätte, meine Nase immer und überall zu zeigen und vielleicht ein Buch schreiben würde. Ich finde es extrem wichtig, Kunst zu machen und ich liebe, liebe, liebe Musik und will nichts anderes machen. Aber es könnte bei uns allen schon passieren, dass wir das Gefühl bekommen, wir machen das alles wieder viel kleiner. Vielleicht irgendwas Verschrobenes, das keiner mag. Damit ist man aus dem Schneider.

Wenn du eine Überschrift für dieses Interview finden müsstest, in der nicht das Wort „Helden“ vorkommen darf…

Judith: … das finde ich schon mal eine sehr schöne Ansage…

… wie würde die lauten ?

Mark: Zum Beispiel „Warum in Hamburg?“

Judith: Oder „Die Band, der nichts egal ist“.

Die nehmen wir!

Mark: Das ist aber schon weit aus dem Fenster gelehnt. Eigentlich müsste es heißen „Die Band, in der keinem etwas egal ist“. „Die Band, der nichts egal ist“ hat ja sowas von der kritischen Band, das andere bedeutet, die Band, die sich totdiskutiert.

Judith: (lacht) Ja! Das ist die Wahrheit

Mark: Das ist unser Problem.

Ist das so?

Mark: Ja, das ist so. Definitiv.

Judith: Wir sind die verlabertste Band der Welt.

Mark: Die Leute bei unserer Plattenfirma lachen sich tot.

Judith: Ja aber, die lachen sich mit einem weinenden Auge tot.

Mark: Zum Beispiel, wenn es darum geht, welche Interviews wir ablehnen. Da muss man aufpassen. Bei Zeitschriften und Sendern, die einem nicht so sympathisch sind, sollte man aber trotzdem die Möglichkeit nutzen, sich zu Wort zu melden. Wenn man es nicht tut, schreiben sie trotzdem über dich und dann hast du den totalen Kontrollverlust. Es ist auch spannend, Sachen zu sagen, von denen man weiß, dass sie die nicht so gerne drucken.

Judith: Ich habe neulich ein Interview mit der „Brigitte“ gemacht – hüstel – und die haben was dringelassen, was total die Frauenzeitschriften disst.

Jetzt sagt doch mal irgendwas, was Musikzeitschriften disst!

Mark: Es soll hin und wieder bei Musikzeitschriften vorkommen, dass die Frau nach vorne muss. (lacht) Die Frau ist ja auch auf der Bühne ganz vorne.

Mark: Ist ja auch manchmal gerechtfertigt. Aber das ist nicht nur auf uns bezogen.

Judith: (lacht sich scheckig) Darf ich deine Zitrone essen?

Mark: Sehr gerne, ich hätte sie – glaube ich stehen lassen.

Ich habe das Gefühl, ihr habt Schwierigkeiten damit, Sachen richtig scheiße zu finden.

Judith(isst die Zitrone): Haben wir auch, finden wir auch nicht gut.

Mark: Scheiße finden kann man jemanden im Affekt, um ihn richtig scheiße zu finden, muss das mehr Substanz haben.

Judith: Ich kann mich über manche Sachen schon wahnsinnig aufregen. Kann auch Sachen von Herzen richtig doll scheiße finden. Ich find’s schwierig, andere Künstler scheiße zu finden, die man nicht kennt und die ja auch Liebe in ihre Arbeit reinstecken.

Mark: Man muss die Leute schon wirklich kennen, um sowas sagen zu dürfen.

Judith: (in Richtung Musikexpress): Du, kann ich deine Zitrone auch noch haben?

Selbstverständlich. So richtig scheiße sind ja auch die wenigsten. Nichtmal Daniel Küblböck ist richtig scheiße.

Judith (isst die andere Zitrone): Daniel Küblböck, glaub‘ ich, ist nicht so scheiße. Ich finde es schon wichtig, dass man dezidierte Meinungen hat, aber nicht zu unwichtigen Dingen. Ich finde es nicht wichtig, eine total lustig-polemische Meinung zu irgendwelchen Nichtigkeiten zu haben. Das einzige, was ich in Wirklichkeit dabei verbreite, ist ungerichtete Negativität, weil es das Objekt überhaupt nicht verdient hat.

Nach dem Interview schon das nächste. Oder besser die Vorbesprechung für das nächste. Ein öffentlich-rechtlicher Radiosender will auch „was“ über „die“ Helden machen. Judith am Handy vor der Kneipe. Judith am Handy im Taxi. Judith am Handy vor dem asiatischen Restaurant, das für das Abendessen ausgesucht wurde. Die Ohren werden heiß. Eine Vorbesprechung länger als jedes Interview. Ein hochgewachsener, blonder Kerl läuft über den Zebrastreifen auf die Helden-Sängerin zu, schüttelt mit beiden Händen ihre handyfreie Hand und sagt: „Gratulation, super Performance, klasse!“ Thees Uhlmann, der Sänger und Gitarrist von Tomte, beglückwünscht Judith Holofernes zum Chartseintritt.