Die babylonische Indie-Verwirrung


Oktoberfest? Fleetwood Mac? Ist das alles noch "cool"? Der Indierock im Zeitalter des Relativismus.

Die These vom Indie als neuem Mainstream, sie ist wahrlich keine neue. Mit der Beweisführung ließen sich Bücher füllen. ME-Mann Albert Koch hat das mit konzentriertem Blick auf die Jahre 2005 und 2006 bereits getan, in seinem dieses Jahr erschienenen Buch „Fuck Forever – Der Tod des Indie-Rock“. 2007 wird es nicht mehr als Skandal wahrgenommen, wenn „Ruby“ von den Kaiser Chiefs neben DJ Ötzi von Oktoberfestbierbänken röhrt. Zehn Jahre zuvor war dies schließlich auch schon den nun wirklich nicht mainstreamigen Chumbawamba passiert, und seit dem WM-Jahr übertönt auch das „54,74,90,2006“ die „Hey Baby, Uh Ah“s. An auf den ersten Blick fragwürdige Geschäftsmodelle eines Kräuterlikörherstellers, der nun schon in der vierten Saison mit als aufregend empfundenen Bands kokettiert und diese zum Hahnenkampf verpflichtet, hat man sich gewöhnt. Was 2007 allerdings tatsächlich als „neu“ gelten konnte, war der Trend von Indiebands, den Spieß umzudrehen und sich aus eigenen Stücken an Politurpop heranzupirschen: Moneybrother veröffentlichte ein ohne die Einflüsse Springsteens und der Dire Straits 2 undenkbares Album, Stars und besonders Rilo Kiley emulierten jahrzehntelang verpönten Konsenspop wie von Fleetwood Mac, Ben Lee klang plötzlich wie Tom Petty, und Bloc Party sind von der Qualität ihrer Eurodance-Nummer „Flux“ restlos überzeugt. Zu den erfrischendsten Newcomern des Indie-Jahres zählten britische Grünschnäbel wie Jack Penate und Kate Nash, deren Pop-Pop europaweit von den Rotationen der Formatradios absorbiert wurde. Eine ganz neue Dimension leistet also der ohnehin permanent fortschreitenden Grenzverschwimmung weiteren Vorschub – was aus musikevolutionärer Sicht ja durchaus begrüßenswert ist: Schließlich sollte das Fallen starrer Barrieren theoretisch umfassende Freiheiten ermöglichen. Liberte! Egalite! Fratellinite! Doch Indie ist eben kein ausschließlich musikalisches Phänomen: Es ist eine rebellische, der eigenen Abgrenzung dienende, identitätsstiftende Geisteshaltung. Wohin also des Abends aufbrechen, wenn die Musik im rauchfreien Club erschreckend ähnlich der aus dem zugerauchten elterlichen Wohnzimmer klingt? Zu welchen Festivals rennen, wenn die geistige Heimat in Form der White Stripes oder Smashing Pumpkins bei Rock-am-Ring auf Bühnen spielt, wo normalerweise Iron Maiden und Metallica die konservativen Massen rocken? Warum die Teeniemagazine der kleinen Schwester anzünden, wenn die mit Autogrammkarten von Kooks und Mando Diao locken? Oder V V sind wir längst Zeugen der Geburt eines neuen Genres? Werden sich die Lager bald wie im Metal in True und Nu Indie aufteilen und sich fortan bitter bekriegen? Razorlight vs. Midnight Juggernauts? Nächstes Jahr auf dieser Seite sind wir schlauer.