„Die anderen haben Fun, und man selbst stirbt.“ – Schnipo Schranke bei Rock am Ring
Schnipo Schranke revolutionieren die deutsche Popmusik. Sie haben keine Angst vor Kraftausdrücken und kluger Syntax, und auch nicht davor, übers Bumsen zu singen. Das taten sie in diesem Sommer sogar vor Menschen, die eigentlich Black Sabbath und Volbeat hören: bei Rock am Ring und Rock im Park. Eine Geschichte über das Scheitern, Aufstehen und Weitermachen.
Wir halten vor einem italienischen Café, dessen Fensterfront mit Lamellen, wie man sie sonst nur aus Wartezimmern in Arztpraxen oder von düsteren Spielhallen kennt, abgedunkelt ist. Ein älterer Herr sitzt vor der überdachten Eingangstür, er hat sich einen Klappstuhl mitgebracht und hält in der linken Hand die Leine seines röchelnden Hundes, ein Chow-Chow. Beide beobachten uns nervös, als wir die Koffer ausladen und die benachbarte Pension ansteuern.
Die Zimmer sind fürchterlich. Im Badezimmer von Ente und Dani steht eine gebrauchte Tube Duschgel neben den trüben Armaturen, der alte Teppichboden ist muchtig, die Bettwäsche zusammengewürfelt. Ente knipst den Fernseher an. Roland Kaiser singt ein Lied. „Das ist mal Musik! Roland am Ring“, sagt er und schaltet weiter. Bei RTL sieht man einen hypnotisierten Walter Freiwald, der durch ein TV-Studio tapst. Das Publikum klatscht eifrig. Wir starren vor Perversität gerührt auf den Bildschirm. Was für ein beschissener Tag.
Am nächsten Morgen geht es schon um acht Uhr weiter, weil die Band sehr früh bei Rock im Park spielen soll. Wir warten auf Thorben, der schon wieder verschlafen hat, und auf Ente, weil er seinen Rückenkratzer nicht finden kann. „Den verliert er jedes Mal, wenn wir auf Tour sind. Und dann muss er sich einen neuen bei Nanu Nana kaufen“, sagt Dani und mummelt sich in ihre Bettdecke ein, mit der sie draußen, rauchend, auf einer Mauer sitzt. Ente hat seinen Rückenkratzer gefunden und wir fahren weiter, ins mehr als 300 Kilometer entfernte Nürnberg. Der Van, mit dem Schnipo Schranke touren, ist eigentlich zu klein für sie. Zum ersten Mal haben sie einen Leuchtkasten dabei, der sehr schön aussieht aber sehr unpraktisch zu transportieren ist. Er klemmt hinter dem Fahrersitz, unter ihm klappern Beckenständer.
Wir sind spät dran. Thorben und die Band zoffen sich auf der Autobahn, es geht darum, welchen Weg wir fahren sollen und wo wir überhaupt hin müssen, damit wir das übliche Prozedere über die Bühne bringen können: Pässe abholen, Instrumente ausladen, aufbauen, Catering abgreifen, warten.
Ente stopft sich mit bloßen Händen ein großes Stück Sahnetorte in den Rachen, als wir endlich im Backstage-Bereich angekommen und unsere Pflichten erfüllt sind. Sein Mund ist schaumig, doch erstaunlich wenig suppt heraus und flatscht vor ihm auf den Tisch. Fritzi und Dani besprechen, wer heute das Publikum begrüßt. „Das ist immer so schwierig mit dem Reden auf der Bühne. Nicht mal Ente kriegt da ein Wort raus, sonst hätte er längst schon Karriere gemacht“, sagt Dani und dreht am Rädchen ihres Feuerzeugs. Die Band raucht im Minutentakt, auch Zigaretten.
Gleich geht es endlich los. Wir müssen zum Soundcheck. Die Festival-Bühne in der Multifunktionshalle ist riesig und verschluckt die Band beinahe. Fritzi nimmt an den Drums Platz, Dani checkt zuerst ihr Mikrofon, dann das von Ente, der brav einen Schritt nach hinten macht, als seine Freundin am Equipment schraubt. Er drückt eine Taste seines Synthesizers. Es brummt. „Was ist denn jetzt kaputt? Ach so, das soll wohl so klingen“, wundert sich ein Techniker am Bühnenrand. Er beäugt Schnipo Schranke fasziniert. Dani trägt keine Schuhe, Fritzi eine Hose aus dem Krankenhaus, und Ente braucht schon wieder ein Handtuch, so stark rinnt der Schweiß seine Schläfen herab. Und vor ihnen: das wilde Publikum, das jetzt schon ganz heiß auf sie ist und Schnipo-Chöre anstimmt. Für die letzten fünf Minuten geht es wieder hinter die Bühne. Noch einmal sammeln, noch einmal die Setlist runterbeten, noch einmal einen Schluck Wasser trinken. Das Licht geht aus. Mädchen kreischen. „Müssen wir jetzt raus?“, fragt Fritzi. Der Stage-Manager nickt. Dani dreht sich noch ein letztes Mal zu uns um und ruft: „H.D.G.D.L.“ Wir euch auch.Dieser Artikel ist am 14. Juli in der August-Ausgabe des Musikexpress erschienen.