Die Ärzte & Die Toten Hosen
EIN PAAR TAGE LANG WAR ES KAUM MEHR als das heißeste Gerücht der Stadt, weiter gegeben nur hinter vorgehaltener Hand. Kreuzberg fieberte in der Hoffnung, dass nach all den drögen Jahren endlich auch im eigenen Kiez wieder etwas Sensationelles stattfinden könnte. Und tatsächlich: Als am Dienstagabend im SO 36 das Saallicht ausund die spärliche Bühnenbeleuchtung angeht, wird er wahr, der Traum, dessen vermeintliche Unerfüllbarkeit Alt-Punker wie Neu-Teenies bisher gleichermaßen verzweifeln ließ. Hinter dem im Vorfeld kolportierten Bandnamen „Essen auf Rädern“ verbergen sich in der Tat Die Toten Hosen, die Tage zuvor in Argentinien das kürzeste Konzert ihrer Karriere spielten, als die Bühne bereits nach dreißig Sekunden unter dem Ansturm von 3000 Fans zusammen brach. Kaum dieser Lebensgefahr entkommen, stürzen sich Hosen schon in die nächste Schlangengrube, denn die derzeit erfolgreichste Punkkapelle Deutschlands tritt an diesem Abend als Vorgruppe eines Trios auf, hinter dessen Pseudonym „Die zu späten“ sich freilich niemand anderes als Die Ärzte verbergen.Werandersals“die beste Band der Welt“ besäße überhaupt die Frechheit, die Hosen – mit denen sie eine jahrelange milde Haßliebe verbindet – zum musikalischen Kräftevergleich einzuladen – und ihnen von vornherein die undankbare Support-Position anzubieten? Doch die Düsseldorfer beweisen Sportsgeist (und in Düsseldorf gibt’s ja später die Revanche, das selbe andersrum), erinnern gleich mit der Aufwärmnummer „Blitzkrieg Bop“ daran, dass es hier und heute um Punkrock geht und dass dieser in der Hosen-Version immer noch sehr viel mit Kampfsport zu tun hat: Die wasserstoffblonden Haare mit angestrengtem Gesicht geschüttelt, das Bein wie ein Funkenmariechen durch die Luft gewirbelt, so arbeitet sich Campino durch ein Hitprogramm, mit dem die Hosen – um den von der Band so geschätzten Fußball-Jargon zu strapazieren auch auswärts punkten können. Für Die Ärzte dagegen ist und bleibt Punkrock ein Lausbubenstreich, ein 3-D-Comic, dessen Protagonisten sich benehmen dürfen, als wären sie ihr Leben lang 14 Jahre alt. Das Pseudonym des Abends wahrend, reden sie einander nur mit Thomas, Thorsten, Dieter, Horst, Steffi oder Karlheinz an, doch der Rest ist so charmant, sinnentleert und unterhaltsam wie immer.
Drummer Bela reicht Sänger Farin etwas just aus seiner Nase Gefischtes, das dieser dankbar verspeist. Jeder auf die Bühne fliegende BH ist ein willkommener Anlass für pubertäre Scherze. Es gibt den Ärzte-Karaoke-Wettbewerb, es gibt die fette „Elke“, es gibt den unnachahmlichen Las Vegas-Charme von Bela B., der manchmal die Befürchtung aufkommen lässt, der Drummer meine sein Rockstar-Gehabe womöglich doch ernst. Auf direkten Bühnenkontakt aber verzichten die beiden Bands. Man zieht zwar fröhlich übereinander her, doch kommt es weder zu einer Neuauflage jener Handgemenge, die sich Ärzte-Crew und Hosen in ihren Anfangstagen lieferten, noch zu der allgemein erhofften Session. Das aber ist nicht so schlimm, denn endlich hat Kreuzberg die so sehnsüchtig erwartete Sensation, die mit hiesiger Coolness zelebriert wird: Feiern ja, übermäßige Euphorie nein – sonst denken die da oben noch, sie hätten heute Abend was Besonders zustande gebracht…