Die Ärzte


Auf ihrer neuen Single erklären Die Ärzte „"Wie es geht". Hier erzählen sie, was geht.

Sie sind ja nicht nur die Beste Band der Welt, sondern auch die Lustigste Band der Welt und die Unbeschwerteste Band der Welt: Wenn Die Ärzte unterwegs sind, dann bleibt kein Auge trocken, Feuerwerke des Frohsinns brennen ab, wo immer diese Päpste des schrägen Humors ihr Lager aufschlagen, ledes Interview ein Dammbruch der Pointen, jede Tournee eine einzige lange Party, Fun pur!, ein Tourbus voller Honigkuchenpferde… – „Das 98er Jahr war extrem hart. Wir waren genervt, voneinander, von allem.“ Bela B. schüttelt den Kopf. „Ich glaube, der längste Zeitraum, den wir uns nicht gesehen haben, war eine Woche. Da hast du irgendwann einfach keinen Bock mehr. Wenn einer beispielsweise immer die selben Essgeräusche macht… das ist wie bei einem alten Ehepaar. Das geht an die Substanz.“ Farin Urlaub erinnert sich feixend: „Wir waren drei Monate im Studio und drei Monate auf Tour. Und dazwischen gab’s zwei Monate fast am Stück nur Interviews – Fotosessions und Videodreh am Wochenende – wo wir notgedrungen immer wieder das selbe erzählt haben. Da kommt’s zu absurden Situationen, wenn dann etwa Rod den Mund aufmacht, und ich weiß genau, was der jetzt sagen wird, weil er’s heute schon fünfmal gesagt hat – und funzigmal während der letzten Woche. Da kommt irgendwann echt… naja, nicht direkt Aggression hoch, aber Du hat echt keine Lust mehr, das zu hören.“ – „Wir waren tierisch angenervt“, bestätigt auch Rod Gonzalez. „Das ganze ahr haben wir aufeinander gehockt. Im Studio, in irgendwelchen Bussen – da verliert man den Sinn dahinter. Die Platte ist fertig, und es kommt dieser nervige Rattenschwanz… Wir sind Musiker, keine Pressemenschen!“

Jetzt wissen wir es also: Auch leibhaftige Popslars gehen sich mal auf den Keks. Dabei war 1998 das erfolgreichste lahr der Ärzte überhaupt: Mit „Männer sind Schweine“ hatten sie die erste Nummer 1-Single in der 15jährigen Bandgeschichte, dem Sommerhit und dem Album „13“ war eine nie dagewesene Ärzte-Presse-Offensive vorausgegangen.

Der Grund für den Overkill: Übereifer. „Wir haben die Mega-Ochsentour gemacht“, erklärt Farin lachend. „’13‘ war das erste Album auf unserem eigenen Label (Hot Action Reconls), da dachten wir: ‚Das ist unser Baby, da wollen wir alles richtig machen‘ und haben dann prompt alles falsch gemacht.“ Auf ihre alten Tage im Geschäft hatten sich Die Ärzte gründlich verhoben und sich in eine vergleichsweise handfeste Krise manövriert. „Es wurde nie ausgesprochen, ‚trennen wir uns jetzt, oder was?'“, beschwichtigt Bela, „aber dass wir uns ein halbes lahr am besten überhaupt nicht gesehen hätten, ist auch klar.“

Von einem Ende der Ärzte war und ist keine Rede. Und wenn an diesem Nachmittag in Hamburg Bela alleine zum Interview kommt, dann nur, weil die Ärzte gerade in der Arbeit am neuen Album stecken. Farin ist schon in Spanien, wo es im Studio von Uwe Floffmann dieser Tage an den Endmix der Platte geht. Rod macht ein paar Tage frei in Berlin erst seit knapp einer Woche sind die Sessions beendet. „Wir haben das lahr 2000, die Punkrocker trinken trockenen Rotwein“, grinst Bela, und nippt am Glas. Er kommt gerade von einem „harten Wochenende“ in Rostock zurück: Betriebsausflug mit den Leuten von EEE, dem Comic-Verlag mit Sitz in Leipzig, den Comic-Freak Bela mit dem Zeichner Schwarwel (verantwortlich auch für die Ärzte-Artworks) gegründet hat. “ Die Saufzeiten sind eigentlich vorbei, aber das war wirklich klassisch, wie ich mir das als Kind vorgestellt habe, wenn meine Mutter auf’ner Betriebsfeier war. Also, nicht ganz… Es gab keine nackten Sekretärinnen, die ihren Arsch fotokopiert haben“, lacht er. Ganz wohl scheint ihm nicht dabei, jetzt allein für die ganze Band zu antworten, gerade wenn es um das ungelegte Ei „neues AJbum“ geht. Dass sich die beiden anderen später noch per Telefon äußern werden, findet er gut. Die Tattoos auf Belas rechtem Arm sehen aus wie zerflossene Wasserfarbe, Brandnarben ziehen sich durch die bunten Bilder – Spuren eines Autounfalls im letzten Sommer. „Das war knapp, sehr knapp“, sagt Bela. „Das hat mir in vielen Dingen die Augen geöffnet.“ Was ist passiert? „Ich war auf der Autobahn, und da explodierte halt dieser Benzintank. Ich habe wirklich

gedacht, dass… naja, dass ich sterben werde halt. Und war dann auch ganz ruhig. Dann gab’s ein paar Verbrennungen und Krankenhaus und der ganze Kram – alles nicht so schön, aber nach zwei Wochen war ich wieder draußen. Die Warped-Tour hab ich schon wieder gespielt. Obwohl ich da noch nässende Wunden hatte…“ Bela lächelt schief, aber zufrieden. Er weiß: Das hat was. Das ist Punkrock.

Die stressfreie, weil fremdorganisierte Warped-Package-Tour zusammen mit einer Handvoll Skater-kompatibler Bands war es auch, die bei der Enerviertesten Band der Welt im Sommer 1999 den Haussegen wieder etwas gerade rückte. „Das war völlige Stimmungsaufhellung“, lobt Farin. „Danach wussten wir wieder, wo wir stehen“, stellt Bela fest. Im Herbst gab es zwar noch einen Stress-Nachschlag mit der Promoarbeit für das Live-Album „Wir wollen nur Deine Seele“ („Ich will mich natürlich nicht beklagen. Wenn jemand meint: hey, ich bin Bergarbeiter und du beschwerst dich wegen ein paar Interviews“, relativiert Farin politisch korrekt), dann war erstmal Ärzte-frei. Bela stürzte sich auf die Arbeit in seinem Verlag und verfolgte weiter seine neue Neben-Karriere als Schauspieler – spielte eine kleine Rolle in Thomas Roths schwarzer Komödie „Kaliber Deluxe“, einen „Loser-TechnoDJ“ in der Komödie „Gott

und die Welt“ (Start Februar 2001) und – das freut ihn besonders – einen Vampir in einer Sat 1-Produktion. „Nur kleine Rollen, aber das ist cool, man lernt Leute kennen… irgendwie macht mir das Spaß“, gerät er leicht ins Schwärmen. „Und vielleicht schaff ich das ja irgendwann, alt genug zu sein und markant genug auszusehen…“

Vollblut-Musiker Rod zog sich in sein „Mad Dog Studio“ zurück, in dem er Underground-Bands für sein Label RodRec produziert. „Ich hab mir im Laufe der Jahre ordentliches Equipment geholt und mir Tontechnik und so Kram selbst beigebracht“, erzählt er. „Wenn wir mal Pause haben, dann sieht man mich ganz schnell dahin verschwinden.“ Und Farin – fuhr in Urlaub. Mindestens drei Monate im Jahr verbringt der sich über Privates stets zugeknöpft gebende eigenbrötlerischste Arzt igendwo in den Weiten der Welt und hat sich dabei eine effektive Songschreibe-Technik zugelegt: „Ich bin allein mit dem Motorrad unterwegs und dann fällt mir was ein – mein Unterbewusstsein mag offensichtlich dieses ‚Ruhe in Bewegung‘-Ding. Dann sing‘ ich’s aufs Diktiergerät und am Abend sitze ich im Zelt und schreib‘ Texte dazu – und wenn ich nach Hause komme, sind die Lieder fertig.“ So viele in den letzten Jahren, dass es demnächst ein Novum im Ärzte-Kosmos geben wird: in der Herbstpause wird Farin sich an die Arbeit zu seinem ersten Solo-Album machen, das Ende 2001 erscheinen soll. „Bei mir hat sich ein riesiger Berg von Liedern angesammelt, die ich bei den Ärzten nicht unterbringe. Ein paar würde ich trotzdem gern rausbringen. Ich hab‘ mit den anderen geredet – für die ist das okay.“ Farin Urlaub, die One-Man-Band: „Bis auf Streicher und Bläser will ich alles selber spielen. Das ist mein Ehrgeiz.“

Für das neue Ärzte-Album (der Titel steht noch nicht fest, es erscheint am 23.10.) hat Farin satte 20 Stücke gebastelt. Aber auch Rod und Bela, die zum Teil auch im Team schreiben, wurden von der Muße diesmal regelrecht niedergeknutscht: „Rod und ich haben so viele Songs wie nie zuvor“, verkündet Bela. Und damit – Kreativität lass nach! – nicht genug: Von einer Frühjahrs-Geheimtour durch kleine Clubs (Farin: „Seitdem ist endgültig wieder die große Liebe ausgebrochen unter den Menschen.“) direkt ins Studio eingelaufen, war noch so viel Laune im Akku, dass man sich zum Warmmachen in den ersten vier Sludiotagen spontan eine ganze Punkrock-Mini-LP von der Palme wedelte. Bela: „Lins hat der Ehrgeiz gepackt. Nach zwei Tagen hatten wir 24 Songs, Durchschnittslänge eine Minute, dann haben wir die Texte gemacht. Vorgabe war, es sollte um Bier und Bullen gehen.“ Bei den Konzerten im Frühjahr werden diese Perlen mit den Songs der 95er-EP „1,2, 3, 4 Bullenstaat“ als Bonustracks auf einer Special-Tour-CD zu haben sein.

Den Kollegen ist klar, dass es zumeist Farins Songs sind, die die Hits abwerfen. Farin auch. „Es gibt natürlich die perfekten Farin-Urlaub-Songs, mit denen er dann ankommt und sagt: ‚So. Das muss jetzt genau so umgesetzt werden'“, sagt Bela und zuckt lächelnd die Schultern, „- haben wir dann auch gemacht. Bei einigen.“ Doch abgesehen von solchen Freischüssen geht s streng demokratisch zu bei den Ärzten. Da wird gemeinschaftlich an Liedern geschraubt, und auch mal Tacheles geredet, vor allem von Rod („Wir wissen zumindest immer sehr schnell, was wir nicht wollen. Das ist doch schon was!“), der Coolness- und Stilinstanz in der Band: „Wenn da dann ein Song von Jan ist, der Bela und mir einfach ’ne Spur zu albern ist, wo man gefühlsmäßig sagt, ’nee, das ist scheiße, mach das wo anders, aber nicht bei den Ärzten‘, dann ist klar, dass es dann auch nicht in Frage kommt. Jeder muss hinter dem Ganzen stehen können.“

Zwei Monate wurden im Studio die Demos ausgearbeitet, die jeder in seinem Heimstudio (Bela: „Farins ist das größte, meins das kleinste, Rods das effektivste“) fabriziert hatte. Ohne viele Gäste wie noch auf „13“ (Die Bläser von James Last waren aber wieder dabei. Die Bläser von lames Last? „Die haben viel in dem Studio aufgenommen, wo wir immer sind, da ist die Connection zustande gekommen“, erklärt Bela stolz. „Das sind alte Haudegen. Wir haben so einen Las Vegas-mäßigen Song. Wenn Du denen sagst, ’spielt was, als ob gleich Elvis auf die Bühne kommt‘, dann servieren die dir das.“) und in einer Atmosphäre von „Aufbruchsstimmung“ (Bela) wurden 28 Songs eingetütet. Natürlich zu viele für ein Album, und in Spanien geht’s jetzt zur Sache: Mindestens zehn Stücke müssen zu B-Seiten degradiert werden. „Wir werden versuchen, fair zu bleiben, aber ich sage mal: Da wird Blut fließen“, orakelt Farin augenzwinkernd über den bevorstehenden Kampf der Songwriter um ihre ßabies. „Da prallen schon Egos aufeinander, vor allem zwischen Farin und mir“, räumt Bela ein, „während Rod der grinsende, ruhige Pol ist.“ – „Das mit den Egos

kriegen wir über die Jahre auch immer besser hin“, zeigt sich Farin zuversichtlich. „Und Rod hat gottseidank seine Meinung, sagt sie aber genauso gottseidank nicht immer. Sonst wäre er ja permanent das Zünglein an der Waage.“

Obgleich noch nicht raus ist, welche Songs nun letztendlich auf der Platte sein werden – einzig die Single „Wie es geht“ (Bela: „Musikalisch ein ziemlicher Schritt nach vorn. Wunderschöner Refrain!“ Der nächste Superhit? „Nee“, wehrt Farin ab, „Superhit hatten wir letztes Mal, will ich eigentlich nicht nochmal. Hit reicht. Als man ‚Männer sind Schweine‘ seinerzeit dann auch noch für die Ballermann-Compilation angefragt hat, war Feierabend.‘) steht fest – sieht Bela ein Album kommen, das „wieder mehr in Richtung ‚Planet Punk‘ geht, aggressiver als ’13‘. War auch ein Bedürfnis“. Noch etwas ist Bela wichtig: „Wir haben auf dem Album auf jeden Fall eine 80% höhere Reimwahrscheinlichkeit als eine durchschnittliche norddeutsche Hip-Hop-Band. Sorry, Deichkind: ’styles‘ reimt sich nicht auf’heißer Scheiß‘.“ Was habt ihr anzubieten? „Bei uns reimt sich zum Beispiel ‚Alien‘ auf ‚bewerkstelljen‘.“ Holla. Eins zu null.

„Wie lange kann man sich auf der Bühne über die Größe des Geschlechtsteils seines Gitarristen beömmeln, ohne sich zum Horst zu machen?“ Bevor diese alte existenzielle Frage des Musikbiz für die Ärzte überholt ist, bevor sie zu den Rolling Stones des Funpunk werden, wird Schluss sein, da vertrauen sie ihren Peinlichkeits-Sensoren. Die surren aber bislang nur sporadisch. „Wenn ich Live-Aufnahmen von uns höre, denke ich mir schon manchmal, oh Mann, wie kann man in meinem Alter noch so ’nen Schwachsinn reden?“, räumt Farin grienend ein. Und was, wenn es irgendwann ein Danach geben soll? Wieder die Sintflut? „Einen konkreten Plan gibt’s nicht“, weicht Farin aus. „Ich würde mich gerne im weitesten Sinne für das Gute auf der Welt engagieren – allerdings bin ich auch nur ein dämlicher Sänger und Gitarrist, von da her weiß ich auch nicht, wie man das macht, ohne gleich (oan Baez zu werden. Ich hätte Lust, ein Buch zu schreiben. Und halt superviel zu verreisen.“ Bela, der ja jetzt schon eifrig andere Interessen verfolgt, könnte sich nach den Ärzten „eine feste Band nicht mehr vorstellen. Eher was Las-Vegas-Trash-mäßiges. Ein Punk-Allstar-Orchester? Weiß nicht. Ich sehe mich jedenfalls als Entertainer.“

„Zu alt für diesen Scheiß“ fühlt sich momentan noch keiner in der Band. „Alter war für mich nie ein Thema“, meint Rod. „Ich war immer der Jüngste, in allen Bands, in denen ich war, in der Clique früher.“ Wäre ja auch eine Schande aufzuhören, jetzt, wo sich gerade -Internet sei Dank – eine weltweite DÄ-Gemeinde formiert: „Wir haben Fans in Chile und Bulgarien, einen Fanclub in den USA“, weiß Bela, „und vor allem Japan. Die haben uns über das Internet entdeckt, checken auf der Homepage die Tourdaten – und dann nehmen sie ihren Jahresurlaub und fahren zwei Wochen mit.“ – „Mein Favorit“, freut sich Farin, „ist ein Chinese, der uns aus einem Kung-Fu-Kloster geschrieben hat. Dass wir doch total klasse wären, und ob wir ihm ’ne CD schicken könnten.“ Die Ärzte conquer the world? „Genau!“, lacht Farin. „Zusammen mit unseren 80 internationalen Fans!“ Ein Ansatz wäre eine Auslands-Tournee. Die USA-Option im Warped-Tross steht im Raum, ob sie genutzt wird, dagegen in den Sternen. „Unser Traum wäre eine Japan-Tour, Japan ist geil!“ begeistert sich Asien-Fan Farin. Bevor es so weit kommt, wird jetzt erstmal wieder lustig auf Package-Tour gegangen: Die Hard Pop Days stehen ins Haus, zusammen mit der Bloodhound Gang, Bad Religion und den Fantastischen Vier. Gerade mit letzteren versteht sich die Ärzteschaft nach eigener Aussage ganz prima. Na, das sollte doch ganz nett werden. Fun pur! Was? Nur nicht stressen lassen.