Das sind die 50 besten Punk-Alben aller Zeiten
Von 1973 bis 2023: Das hier sind die bisher 50 besten Punk(-Rock)-Alben.
Welche Punk-Platte ist denn nun die beste? Wir haben einmal unter mithilfe eines ansehnlichen Fachleute-Gremiums eine Liste zu diesem Thema zusammengestellt. Das war aber nicht einfach: Was ist Punk(rock), was nicht (mehr)? Warum finden diese – Ihr wisst welche – Platten von The Slits, Fugazi, Mudhoney, den Zitronen oder Stranglers hier nicht statt, Hüsker Dü, Big Black oder der grobe „Bullenstaat“-Unsinn von Die Ärzte hingegen schon? Hier kommt unser Versuch einer Liste, die erstmalig schon im ME 2017 erschienen ist.
Iggy And The Stooges – Raw Power (1973)
Das Bindeglied zwischen den rudimentär aufspielenden Garagen-Rockern der 60er-Jahre und all dem, was Mitte der 70er in New York und London passieren sollte: RAW POWER war schmutzig, gemein und entlarvte selbst zeitgenössische Heavy-Rocker als verkappte Hippies mit Hang zum Virtuosentum. Stücke wie „Your Pretty Face Is Going To Hell“ oder das grandiose „Search And Destroy“ erreichten ein Aggressionslevel, das ausgesprochen wenig Kooperationsbereitschaft signalisierte und Sozialpädagog*innen tiefe Sorgenfalten ins Gesicht meißeln konnte. Wozu auch David Bowies rustikaler Mix der Dreispur-Aufnahmen beitrug, den Iggy Pop allerdings als zu mild empfand, weshalb er 1997 nachbesserte. Kommerzieller Erfolg blieb dem Werk selbstverständlich versagt. (us)
New York Dolls – New York Dolls (1973)
Wie die Vorzeigeprostituierten des Transvestitenstrichs der 42. Straße im Big Apple präsentierte sich das Quintett auf ihrem Cover, allerdings in ästhetischem Schwarz-Weiß. Brachial oszillierte die von Vokalist David Johannsens Kellergewölbe-Organ und Gitarrist Johnny Thunders Schrillriffs angeführte Truppe zwischen R’n’B, Garagen Beat, Glam Rock und „Personality Crisis“. Später, als man sich einen Reim auf die Geschichte machen konnte, nannte man das zeitlos wüste Getöse Proto-Punk. Die New York Dolls selbst nannten es: „Trash“. (mk)
https://www.youtube.com/watch?v=x9d5csMFAfE
Ramones – Ramones (1976)
Die wichtigste „Influencer“-Platte für all das, was da sehr bald kommen sollte. Weil das Ich-und-du-Typen in Jeans und Leder waren, die in NYC an einer Wand lehnten und das offensichtlich besser konnten als Gitarre spielen (oder singen). Aber sie sägten mit einem dermaßen ansteckenden Spaß ihren Ur-Rock-und-Roll herunter und nölten dazu vom Glue Snuffen, Brats Verprügeln und Girls Beknien, sodass ihr „Hey ho, let´s go!“ in Stadt und Land wie ein Befehl empfangen wurde. (ogö)
https://www.youtube.com/watch?v=2DqXzL226Ok
The Damned – Damned Damned Damned (1977)
Das erste UK-Punkrock-Album überhaupt; bis heute immer noch unterschätzt. Schon klar: Die zur Selbstzerstörung bereiten Pistols waren die wahre Revolution. Aber das hier demonstrierte aufs eindrucksvollste, wozu Punkrock auch gut sein sollte: das, was sich seit The Who, MC5 und den frühen Stones versendet hatte, neu zu konzentrieren und der Jugend um die Ohren zu hauen. So sexy wie kaum eine andere Punkplatte, mit genug Beckenschlägen für fünf! (ogö)
Sex Pistols – Never Mind The Bollocks Here´s The … (1977)
Man kann den Pistols vorwerfen, dass sie wirklich ein Schwindel waren, von McLaren als irre Abfolge von Kampagne inszeniert, letztlich nur ein Instrument im kapitalistischen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Marktanteile. Aber man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie trotz all dem kein rundum großartig tollwütiges, in seinem Ekel und Zynismus absolut wahrhaftiges Album aufgenommen hätten. Bis heute ein verdammtes Wunder. (ogö)
Dead Boys – Young, Loud & Snotty (1977)
Klassischer Street-Punkrock mit deutlichen Stooges-Einflüssen von einer Band aus Cleveland, die nach der Abspaltung von der dortigen, wilderen Urformation Rocket From The Tombs (der auch Pere Ubu entsprangen) nach New York zog und zur führenden CBGB-Attraktion wurde. Aus der Masse der ähnlichen Bands hoben sie der markant krächzende „Gesang“ Stiv Bator und unvergessliche Songs wie „Sonic Reducer“ und „All This And More“ heraus. (msa)
The Clash – The Clash (1977)
Atemlose Bretter wie „Protex Glue“ reihen sich auf dem Debüt der musikalischten aller Punkbands selbstverständlich an melodiöse Songs wie „Remote Control“. Aber auch das Cover des noch gar nicht so klassischen Reggae-Klassikers „Police & Thieves“ (von Junior Murvin, 1976) kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier das intuitive Geholze noch überwiegt. Joe Strummer schimpft auf das omnipräsente Amerika als TV-Serien- wie „Weltpolizei“ („I’m So Bored With The USA“), prangert Rassenunruhen und Klassenkämpfe („White Riot“) an und malt insgesamt ein schwarzes Bild vom Vereinigten Königreich im Strukturwandel. (ds)
The Saints – I´m Stranded (1977)
Irgendwann gefiel den Saints ihr eigener Klassiker nicht mehr, fanden sie ihn schlecht produziert und mies gespielt. Irgendwann waren die Saints keine Punks mehr. Tatsächlich waren sie das wohl nie, schon zum Erscheinen ihres Debüts hatte sie sich geweigert, sich die richtigen Frisuren zuzulegen. Dass sie im Herzen einfach eine Rockband waren, ist schon auf I’M STRANDED gelegentlich zu hören, tut der atemlos brachialen Grandiosität aber keinen Abbruch. (tw)
Wire – Pink Flag (1977)
Punk war oft radikal, aber selten so radikal reduziert wie auf dem Debüt von Wire. Diese ästhetische Entscheidung ließ keinen Raum für Füllmomente, aber für viele Einfälle: 21 Songs komprimiert auf 36 Minuten, von rabiat und krachig bis groovig. PINK FLAG blieb für Generationen von Gitarrenbands Quelle der Inspiration, zum Beispiel auch für Elastica, die auf den Riff von „Three Girl Rhumba“ 1994 ihren Britpop-Hit „Connection“ stellten. (Fk)
The Adverts – Crossing The Red Sea With The Adverts (1978)
Wenn Punk bedeutete, nicht spielen zu können, aber die Welt erobern zu wollen, war das Quartett um Songwriter TV Smith das Paradebeispiel. Die selbstbewusste Fanfare „One Chord Wonders“ eröffnet ein Album mit prägnanten, sozialkritischen und angemessen verzweifelten, rumpelig charmanten Hits. „Gary Gilmore’s Eyes“ war einer der ersten Punk-Top-20-Hits, Bassistin Gaye Advert eine Identifikationsfigur für tausende nachfolgende Punkrockerinnen. (msa)
https://www.youtube.com/watch?v=BPaSQcn8ONM
Johnny Moped – Cycledelic (1978)
Schöner als Billy Childish hat niemand diesen Mann beschrieben: „Johnny Moped besaß drei Zutaten, die Maximum Rock’n’Roll braucht: Stümperhaftigkeit, Chaos und Humor.“ Johnny Moped war ein tapsiger, lausiger Sänger, Slimey Toad traktierte, wenn sich´s ein bisschen zog, wie ein Vergessener der Progrock-Ära seine Gitarre. Die Moped-Songs mussten nicht in Fahrt kommen, sie definierten Punk über mäßigen Geschmack und Comedy: „Darling, Let’s Have Another Baby“. (Fsa)
Devo – Q: Are we not Men? A: We are Devo! (1978)
De–Evolution, die menschliche Regression als Gegenentwurf zum kapitalistischen Fortschrittswahn. Dadaismus in rumpelige Arrangements gegossen, aufgeführt in irren Kostümen. Kunststudentenmusik! Produziert von Brian Eno. Passt alles nicht zusammen? Natürlich nicht. Ist das denn überhaupt Punk? Aber ja! Devos Debüt ist ein freigeistiges Meisterwerk, das seiner Zeit Jahrzehnte voraus war. In seiner Konzepthaftigkeit steht Q: ARE NOT MEN? … immer mit einem Bein im White Cube und bleibt doch ein rasiermesserscharfes Statement zur politischen Situation der Welt, in der sich der aktuelle US-Präsident alle Mühe gibt, den Begriff Devolution perfekt zu illustrieren. Außerdem hat „Mongoloid“ den schönsten Achtel-Punk-Basslauf aller Zeiten. Punkt. (Tak)
X-Ray Spex – Germfree Adolescents (1978)
Ein Saxophon als „weapon of choice“: Eier muss man haben. Oder halt nicht, so wie Poly Styrene, Pionierin unter den englischen Front-Amazonen, die Zahnspange trug und grollte, sie schneide sich eine Glatze, wenn man sie zum Sexsymbol stilisiere. Tat sie dann auch. Styrene starb 2011, ihr Meisterwerk bleibt, dank Sax, Groove und dem Punkfeminismus-Urschrei „Oh Bondage! Up Yours“, enthalten erst auf der 1991er Re-Issue von GERMFREE ADOLESCENTS. (Jl)
Buzzcocks – Singles Going Steady (1979)
Dass das Artwork von LET IT BE inspiriert gewesen sein soll: geschenkt. SINGLES GOING STEADY ist eine Singles-Compilation, die sich wie ein Debüt spielt. Die Songs von Pete Shelley lassen Clash und Pistols wie Hardrocker dastehen, sie schießen in großen, leichten Bögen durch eine Welt voller lächerlicher Verwerfungen. „Ever Fallen in Love“ und „What Do I Get?“ “ – zwei für die Ewigkeit. They could have been bigger than the Beatles, oder? (fsa)
The Ruts – The Crack (1979)
Mit seinem Genre-Crossover leistete das einzige offizielle Werk des Londoner Quartetts um Sänger Malcolm Owen Missionsarbeit: Hochenergetischer Punk („Babylon’s Burning“) ohne Hauruck-Dilettantismus standen Dub-Reggae („Jah War“) und fast schon New-Wave-Pop-verdächtige Tanzflächenfüller („It Was Cold“) zur Seite. Owen starb am 14. Juli 1980 an einer Überdosis. Ein Karrierereset wie Joy Division nach ihrer Verwandlung zu New Order gelang The Ruts leider nicht. (mk)
https://www.youtube.com/watch?v=xRYhRrGtzPs&list=PLM0QWHFvEjTY8-w6P6_rvuJTWQ5JcK4jO
The Undertones – The Undertones (1979)
Sie waren im nordirischen Derry zuhause, einer armen, vom Krieg zerrissenen Stadt, und hatten sicher nicht die trendigen Klamotten der Londoner Punks – dafür aber die richtigen Songs. Einer davon, „Teenage Kicks“, wurde zu einem der größten Punkrock-Hits überhaupt, bereicherte aber erst die Zweitauflage ihres Debütalbums, das dank Feargal Sharkeys schneidender Stimme und dem ungeheuren Vorwärtsdrangs dieser glühenden Kämpfer auch schon ohne überzeugte. (us)
Germs – (GI) (1979)
Manchen gilt die Band aus L.A. als Blaupause des US-Hardcore, anderen als schlechter Scherz mit tödlichen Folgen für Sänger Darby Crash. Für heutige Ohren klingen die Bemühungen auf ihrem einzigen, von Joan Jett „produzierten“ Album wie eine Mickymaus-Geisterbahn-Version der Dead Boys: klirrende, sägende Gitarren, Klapperschlagzeug, keine Bässe und ein Sänger, der sich auskotzt. Kurt Cobain war Fan und holte später Gitarrist Pat Smear zu Nirvana. (msa)
S.Y.P.H. – S.Y.P.H. (1980)
Stammgast Peter kennen im „Ratinger Hof“ alle nur als Harry Rag, benannt nach dem Kinks-Song. Er ist Sänger der Solinger Band S.Y.P.H., die zwar 1977 schon gegründet wird, aber 1980 erst ihr Debüt veröffentlicht. Dieses kennt zwei Richtungen, auf Seite eins geht es schnell und geradeaus, „Zurück zum Beton“ und „Industrie-Mädchen“ heißen die Hits. Seite zwei ufert aus, Punks spielen Can. Holger Szukay ist begeistert und produziert den Nachfolger. (ab)
X – Los Angeles (1980)
Als nihilistische Antiversion von Jefferson Airplanes Grace Slick und Marty Balin ging das X-Frontduo Christine „Exene“ Cervenka und John Doe in die Punk-Geschichte ein. Gewürzt mit Gossenpoesie („Sex And Dying In High Society“), ‘ner Prise Rockabilly („Johnny Hit Run Paulene“), Ska („The World’s A Mess; It’s In My Kiss“) und Doors-Reminiszenzen („The Unheard Music“), überragte der von Ray Manzarek (genau, The Doors) schroff produzierte Erstling locker die Konkurrenz. (mk)
Abwärts – Amok Koma (1980)
Der „Deutsche Herbst“ und die Folgen, Polizeiwillkür und Angst vor einem totalitären „Computerstaat“. In diesem beklemmenden Setting gedieh ein Unbehagen, dem Abwärts aus Hamburg mit nervösem Wave-Punk Gestalt gaben. Songs wie „Maschinenland“: Dystopien für die zwischen kalter Wut und Ohnmacht erstarrte Linke der Bonner Republik, kaputte Gespensterlieder, die Frank Ziegert sang wie ein Tier mit wilden Augen – gehetzt, als ginge es um sein Leben. (Jl)
Wipers – Is This Real? (1980)
Bis Greg Sage auf der Bildfläche erschien, war „No Future!“ vor allem ein Pose. Ein Kunstkonzept, nicht das Leben. IS THIS REAL? übersetzte die Aussichtslosigkeit und die namenlose Wut in einen drängenden, desolaten Sound, der die ganze Trostlosigkeit der amerikanischen Provinz einfing. Mit Gitarren, die weh tun. Mit einer Stimme, die es ernst meint. Und mit Hooklines, das ist das Wunder, die genauso simpel und infektiös sind wie die der Ramones. (tw)
Dead Kennedys – Fresh Fruit For Rotten Vegetables (1980)
Man könnte es glatt für Funpunk halten, doch hinter dem oft beschwingten, meist ziemlich überdrehten Sound der Dead Kennedys steckt bissiger Politpunk, der in fast alle Richtungen schießt. Neben dem Zusammenspiel von West-Coast-Hardcore und Punkrock britischer Prägung, ist es die Persönlichkeit Jello Biafras, die das Album prägt. Das theatralisch-überbordende Vibrato seiner Stimme ergänzt die unkonventionellen Anleihen von Jahrmarkts- („Chemical Welfare“) und Marschmusik („California Über Alles“),den Sarkasmus der Songs macht das alles nur noch giftiger. (Ds)
Crass – Penis Envy (1981)
Crass aus Essex nehmen die Anarchie ernst. Sie versuchen sich als Kollektiv an der Umsetzung ihrer Theorien, starten politische Kampagnen, nutzen die Londoner U-Bahn als Leinwand. PENIS ENVY ist ihre dritte Platte und ein feministischer Kampfaufruf. Sänger Steve Ignorant hält die Schnauze, Eve Libertine und Joy de Vivre übernehmen. Und die Schmachtfetzen-Parodie „Our Wedding“ drehen sie sogar einem Teenie-Magazin als Flexi-Disc-Beilage an. (Ab)
Black Flag – Damaged (1981)
Kaum ein Album kanalisiert die Wut, steht sinnbildlich für die raue Energie von Hardcore Punk, wie DAMAGED von Black Flag. Die Debüt-LP der kalifornischen Krachmacher greift dunkle Sujets wie Alkoholismus („Six Pack“) und Vandalismus auf, thematisiert jugendliche Ängste wie der soziale Druck in den US-Suburbs, Depression und Slackertum wie in „TV Party“. Das ungewöhnlich noisige Gitarrenspiel von Greg Ginn lässt zusammen mit der „Voll auf die Zwölf“-Attitüde des frisch rekrutierten Henry Rollins DAMAGED bedrückend und bedrohlich, brutal und doch empathisch klingen. (Fk)
The Replacements – Sorry Ma, Forgot To Take Out The Trash (1981)
Zur 80s-Hardcore-Szene passen die Replacements nicht und auch sonst nirgendwo richtig dazu. Zu viel Swing für Punkrock, zu viel Persönlichkeit für Pop. Und ein Riesentalent dafür, den eigenen Erfolg zu unterwandern. So werden sie später zu Role Models einer verlorenen, sarkastischen Generation. Auf ihrem Debüt klingen die Replacements allerdings noch „Careless“. Vier Jungs mit Lärmlust. Paul Westerberg kräht: „I hate music, it’s got too many notes“. (rr)
https://www.youtube.com/watch?v=jDm7xd–_8E
Bad Brains – Bad Brains (1982)
Als Punk das olympische Motto „Höher, schneller, weiter“ adaptierte und Hardcore geboren wurde, prügelten die Bad Brains das neue Baby sogleich durch den Geburtskanal. Im Gegensatz zu ihren Mitbewerbern, die immer nur Tempo machten, wussten die vier dezidiert politischen Rastas aber auch, dass man mal eine Pause von Pogo und Barrikade braucht. Dass immer nur Büchsenbier langweilig ist, und ein Joint auch mal schön. Und schoben Reggae ein. (tw)
Descendents – Milo Goes To College (1982)
Der Titel entspricht der Wahrheit: Milo Aukerman, Sänger der Descendents und – nun ja –, Vorlage für die Coverkarrikatur, stand, als die Aufnahmen zu dem Debüt der Hardcore-Punkrocker aus Manhattan Beach beendet waren, tatsächlich kurz vor dem Biologiestudium. Noch aber bekam man auf dieser atemlosen Platte eine gute Runde gewitzte Teenage Kicks (und etwas Teenage Angst) aus dem Spannungsfeld zwischen High School und Jugendzimmerwäschekorb vor den Latz gehauen. (jov)
Hüsker Dü – Zen Arcade (1984)
Ein Monolith mit einer Stunde und zehn Minuten Spielzeit. Bob Mould und Grant Hart verlieren auf diesen 23 Songs ihre Jugend by the way of telling a story of youth. Die Muskelspiele des US-Punk ziehen in die Reflektionsschleife, mit einer Piano-Meditation, Folk-Fetzen, Noise- und Psych-Pop-Gitarren. Später wussten’s alle besser – war die Vorschau auf Nirvana. Ein Punk-Konzept-Doppelalbum von dieser Güte gab’s nachher sowieso nie mehr wieder. (fsa)
Slime – Live Pankehallen 21.01.1984 (1984)
Sie hören hier die Essenz des BRD-Politkrawallpunks der 80er-Jahre, der sich seiner Feindbilder („A.C.A.B.“, „Disco“, „Yankees raus“) und Helden („Störtebecker“) noch absolut sicher war. Gleichzeitig schließt diese Liveplatte Phase eins der vorübergehenden Hamburger Autonomen-Helden ab. Manches ihrer Statements relativierte die Zeit. Doch die Energie dieser Aufnahmen aus Berlin-Wedding, auf denen die Songs übereinander herzufallen scheinen, ist nicht relativierbar. (ogö)
Razzia – Ausflug mit Franziska (1986)
Mit diesem für seine Zeit nicht nur in Sachen Sound ziemlich eigenwilligen, grunddüsteren Album (Synthesizers!) entwerfen die Hamburger früh eine Blaupause dafür, wie sich partielle Verschwurbelung und offensive Direktheit im Genre nicht ausschließen müssen. Das Ergebnis kommt nicht nur ohne die damals handelsüblichen Parolen aus, sondern schafft sich viel mehr seine eigenen, wenn es dem Hörer Zeilen an den Kopf knallt wie: „Als Haus wärst du ´ne Hütte“. (lv)
Big Black – Songs About Fucking (1987)
1987 war das Wendejahr in der Gitarrenmusik. Hardcore, der direkte Nachkomme des Punk, wurde zahmer, Bands wie Hüsker Hü und Dinosaur Jr. brachten den gewissen Popfaktor in die Musik, was der Erfindung der 90er-Jahre, von Grunge und Alternative Rock, gleichkam. 1987 veröffentlichte STeve Albinis Band Big Black ihr zweites und auch schon wieder letztes Album SONGS ABOUT FUCKING, eine Sammlung von brutalen, aber subtil strukturierten Hardcore-Punk-Songs (inkl. dem Kraftwerk-Cover „The Model”). Die Spannung entstand aus dem Zusammenspiel der beiden Gitarristen (Albini und Santiago Durango), die Wendungen und die Koplexität des Math Rock waren in den Kompositionen schon zu erahnen, während „Power Of Independet Trucking” und „L Dopa“astreine Punk-Songs waren. (ko)
Boxhamsters – Wir Kinder aus Bullerbü (1988)
Humor und Empfindsamkeit – sobald Deutschpunk etwas in dieser Richtung transportieren möchte, geht man eigentlich in Deckung. Einer der ganz wenigen Acts, denen es gelingt, hierbei unpeinlich zu bleiben, sind die Boxhamsters aus Gießen. Poppig, eingängig, verschmitzt. Was sonst ein Ausschlusskriterium für den harten Punker darstellt, wird hier zum Markenzeichen. Ihr leicht schrottoides Debüt quillt über vor Charme und kleinen Hits. (Lv)
https://www.youtube.com/watch?v=mCOF9Hau_J8
Bad Religion – No Control (1989)
Der Meilenstein der vielleicht wichtigsten US-Punkband – zumindest jener mit dem größten Wiedererkennungswert, mit der größten Beständigkeit. NO CONTROL holte den California-Punk der 80er-Jahre, an dem Bad Religion selbst seit Anfang der Dekade mitgearbeitet hatten, mit rüber in die 90er, und legte mit der Kombination aus Greg Graffins hypermelodiösen Gesangshooks und den messerscharfen Gitarren von Brett Gurewitz den Grundstein für Bands wie NOFX oder Lagwagon. (jov)
EA80 – 202 (1990)
Die bis heute aktive Band um Sänger Martin Kircher gibt keine Interviews, es existieren keine offiziellen Fotos, ihre Platten veröffentlichen sie selbst. EA80 wirken wie ein Gesamtkunstwerk zum Thema subkulturelle Integrität. Punk erscheint bei der düsteren Band aus Mönchengladbach nie wie ein jugendkulturelles Accessoire, sondern eher wie eine Geheimgesellschaft. Die faszinierende Schwere und Strenge bringt 202 sogar nah dran an frühe Joy Division. (lv)
https://www.youtube.com/watch?v=yPq1aGQ98vw
Blumen am Arsch der Hölle – Blumen am Arsch der Hölle (1992)
Jens Rachut ist ein stabiles Chamäleon. Keiner seiner dringlichen wie relevanten Punkbands gönnte der mittlerweile über 60-jährige Hamburger ein langes Leben. Sein vermutlich einflussreichstes Projekt schafft es Anfang der 90er sogar nur auf eine Veröffentlichung: Blumen am Arsch der Hölle zeigen einem Genre, das feststeckt zwischen Saufkarneval und stumpfen Parolen, einen inhaltlichen und ästhetischen Ausweg, der bis heute Respekt und Nutzer findet. (lv)
Propagandhi – How To Clean Everything (1993)
Beliebter Vorwurf an den 90s-Melodycore: Das schien bisweilen ein in erster Linie auf High Speed setzender Soundtrack für die Halfpipe, der rasch mäßige Epigonen hervorbrachte. Propagandhi waren immer die Anthithese zu dieser Aussage: Auf HOW TO CLEAN EVERYTHING werden politische Botschaften in hübsche Punksongs gepackt, die auch nach 24 Jahren noch mitreißen: Höhepunkt: „Ska Sucks“, das den seinerzeit ebenfalls sehr beliebten Ska-Punk eine mitgibt. (jov)
NOFX – Punk In Drublic (1994)
Was für ein Mittelfinger: PUNK IN DRUBLIC erschien inmitten des fetten Punkrock-Revivals 1994, gilt als Instant-Genreklassiker und bis heute NOFX’ erfolgreichstes Album. 17 schmissig hingerotzte Zweieinhalb-Minuten-Singalongs voll von Skate- und Streetpunk, Ska, Dosenbier-Humor und Anarchie. Hätte Fat Mike Bock auf Majorlabel und PR gehabt, NOFX hätten locker so erfolgreich wie ihre Ziehkinder Green Day und Blink-182 werden können. (fas)
Lagwagon – Trashed (1994)
Joey Cape ist ein Storyteller des Punk. Und wenn er in „Know It All“ über das Collegeradio und die Szenepolizei spricht und über all diejenigen, die sagen, Musik sei nur dann „true“, wenn sie den Bands kein Geld einbringe, ist das durchaus auch als Schützenhilfe für jene Kollegen zu werten, die 1994 erfreut zum Major wechselten. Lagwagon aber blieben ihrem Label Fat Wreck Chords immer treu. Ihrem Sound, dem emotional leicht verschatteten Melodycore, ohnehin. (jov)
Rancid – … And Out Come The Wolves (1995)
Ihre Melodieseligkeit führt dazu, dass sich diverse Majors für die Kalifornier interessieren. Das sind die Wölfe, die dem dritten Album von Rancid den Titel geben. Doch die Band bleibt bei Epitaph, behält so ihre alten Fans und bekommt trotzdem neue hinzu, die über Green Day oder The Offspring hinausgewachsen sind. Bei Rancid finden sie starke Bezüge zu The Clash, den Nordiren Stiff Little Fingers oder – beim Hit „Time Bomb“ – den Specials. (ab)
Bikini Kill – Pussy Whipped (1993)
„Pussy“ singen, aber kein Mann sein, no way im testosteronigen Punk-Mainstream. Und so riefen die Riot Grrrls in den USA der frühen 90er die „Revolution Girl Style Now“ aus, Credos: Selbermachen, Lautsein, Skills sekundär. Bikini Kill aus Olympia surften vorweg auf der ersten großen Welle des Popfeminismus, kaum eine Gruppe in ihrem Fahrwasser erreichte die dreckige Power von Kathleen Hanna und Band. PUSSY WHIPPED ist ein Manifest der Selbstermächtigung, der Song „Rebel Girl“ die Schlachthymne aller besten Freundinnen mit blutroten Träumen. (jl)
Social Distortion – White Light, White Heat, White Trash (1996)
Sie mögen Oasis? Dann ist (oder wird) dies ihr liebstes Punkrockalbum! Social D starten bereits Anfang der 80er als Melody-Punks, doch erst Mitte der 90er sind die Kalifornier reif für ihren ersten Klassiker. Sänger Mike Ness hat bis dahin genug gesoffen, erlebt, durchlitten, er ist der Star auf WHITE LIGHT… Das Tempo ist gebremst, die Leidenschaft immens, der beste Song heißt „Untitled“ und ist ein Liebeslied ohne jede bittere Note. (ab)
https://www.youtube.com/watch?v=0Qun0HKPKgs
Die Ärzte – 5, 6, 7, 8 – Bullenstaat! (2001)
Dieses sehr unterhaltsame Meta-Punkrock-Album gab es wie die Cover-EP „1, 2, 3, 4 – Bullenstaat!“ nur auf Konzerten (heute auch im Netz). Die Ärzte führen hier ihren ewigen Kampf gegen Verbissenheit im Punk fort: DAF- und Killing-Joke-Parodien, alberne, aber geil rockende Einminüter zu „Tränengas“ und „Widerstand“ oder old Aufreger wie Wehrpflicht-Flucht und die Ted-vs.-Punk-Kriege, ganze Liederreigen zu Bullen und Bier – findet nicht jeder lustig. Why? (ogö)
The Distillers – Coral Fang (2003)
Als das Majordebüt der kalifornischen Slacker-Punks erschien, wollte so ziemlich jeder mit Sängerin Brody Dalle ein paar Aschenbecher auslecken gehen. The Distillers sprangen ins Hauptbühnen-Programm mit dieser von Gil Norten produzierten Platte, die den Alternative Rock von Nirvana und Hole zu verheiraten vorgab, nur um mit durchgetretenem Gaspedal an der Hochzeitsgesellschaft vorbeizubrettern. 2006 war dann leider schon der Sprit alle. (ogö)
Jay Reatard – Blood Vision (2006)
Mit 26, drei Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte der wilde Flying-V-Boy aus Memphis sein Solodebüt. Wie all die Platten, die er zuvor in wechselnden Bands eingespielt hatte, klingt BLOOD VISION wie im Affekt aufgenommen. Die Abhandlung zum Themenkomplex Manie und Mord hat dabei sogar richtig klare Power-Pop-Momente, kickt aber selbst in seinen garagigsten Momenten Hooks wie ein überhitzter Hybrid aus Ramones, Devo und The Adverts (die er hier auch covert). (ogö)
https://www.youtube.com/watch?v=lJ1MJan4Sow
Turbostaat – Vormann Leiss (2007)
Nach zwei Indie-Alben gelang dem Fünfer aus Husum ein Majordebüt ohne Kompromisse: VORMANN LEISS fährt durch psychische Abgründe, Moses Schneider produziert die von Jan Windmeier hingehusteten Wortfantasien und die ganze peitschende Kaputtheit der Band endlich mit dem Druck, den sie verdienen. Vor dieser Platte gehörten Turbostaat schon neben Pascow und den Duesenjaegern schon zu den hartnäckigsten Deutschpunk-Bands, danach zu den wichtigsten und besten. (fas)
Fucked Up – David Comes To Life (2011)
Das dritte Album der Kanadier soll ein Großwerk werden, eine epische Erzählung über die englische Working-Class. Doch Shouter Damian Abraham spürt schon bei den Aufnahmen, wie großartig die Platte werden wird: Fucked Up etablieren sich im Alternative Rock, das Feindesland mit gesponserten Festivals und anderem Mist. Bis heute versucht die Band dem wieder zu entgehen; DAVID … bleibt als grandioses Punk-Opus in der Weite zwischen Hardcore und Prog bestehen. (ab)
Fidlar – Fidlar (2013)
Schöne Sauerei: Fidlar aus Los Angeles, die Berserker des Skate-Punk-Revivals in den später Nullerjahren, schluckten den autoaggressiven Nihilismus der Urpunks und kotzten ihn auf die Themenpalette der 90ies-Slacker. „Cheap Beer“, „Cocaine“ und „Whore“ hießen die Breaker über Booze, Babes und Boards, hingeschrubbt mit reichlich postadoleszentem Spuckdruck. Eine Abrissparty, die mit dem vielfältigeren, doch zahmeren Zweitwerk schon wieder vorbei war. (jl)
White Lung – Deep Fantasy (2014)
Zehn Songs, 22 Minuten Spielzeit: Punk in Zahlen. Auch White Lung stammen aus Kanada, Hochburg des Neo-Punk der letzten Jahre. Sängerin Mish Way schmeißt die Show, die Gitarrenwucht ist fast metalisch, doch die Melodien und Gesangssätze atmen den Punkgeist von 1977. Die Lyrics hauen dem Hörer feministische Perspektiven um die Ohren, hier entwickeln White Lung die Ansätze von Babes In Toyland und L7 im Punkformat weiter. (ab)
Pisse – Mit Schinken durch die Menopause (2015)
Nicht mitzumachen, einen Scheiß darauf zu geben: Das ist Punk. Pisse sind so sehr Punk, wie man es heute nur sein kann. Als wäre das allein nicht schon Grund genug, um hier aufzutauchen, bringen sie mit Zeilen wie „Ich zieh ´ne Line Crystal Meth aus dem Arschloch von deinem Chef“ all die Risse des Jetzt so prägnant auf den Punkt, dass man ihrem ADHS-befeuerten Psychedelic-Deutschpunk auf der Stelle die Johnny-Rotten-Medaille in Gold verleihen möchte. (tak)
Royal Headache – High (2015)
Shogun heißt der Sänger dieser australischen Band, und nach allem, was man weiß, kann er ein unangenehmer Typ sein, der seine Kumpels schon mal im Regen stehen lässt, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Einen besseren Punksänger gibt es jedoch gerade nicht, Shogun klingt sexy und schmutzig, die wilden 60s-Stücke singt er heiser, die kurzen und hypermelodiöse Attacken wie „My Own Fantasy“ wie ein stolzer Mod, den Midtempo-Hit „Wouldn’t You Know“ wie ein Soulsänger. (ab)