Die 50 besten Platten des Jahres 2019
Wir haben abgestimmt und die (subjektiv) einzig wahre Liste erstellt: Das sind die 50 Favoriten der ME-Redaktion und somit die besten Alben des Jahres 2019. Ha!
19. James Blake – ASSUME FORM
Polydor/Universal (VÖ: 18.1.)
Als James Blake 2011 sein Debütalbum veröffentlichte, machte niemand Musik wie er. Neun Jahre später klingen viele so wie der Engländer. Auf seinem vierten Album ASSUME FORM arbeitet Blake weniger mit abstrakten Sounds und Dekonstruktionen, lässt Gäste wie Travis Scott, Moses Sumney, Rosalía und André 3000 auftreten, die von der Öffnung seiner Musik nach außen künden. Es gibt Einflüsse von HipHop, der ja die von Blake aus dem Dubstep entwickelte Soundästhetik dankbar aufgenommen hat. Der Beeinflusser wird zum Beeinflussten, ohne dabei zu heftig mit dem Mainstream-Fähnchen zu winken. Albert Koch
18. Vampire Weekend – FATHER OF THE BRIDE
Die Richtung war klar: weniger (A-) Punk, mehr Paul Simon. Dass man dem superben Songwriter und Nachbarn aber so konsequent folgen musste und sich für ein derart scheußliches Artwork entschied? Aufgrund der XL-Länge ihrer ersten Platte seit sechs Jahren wollten die New Yorker dem „Weißen Album“ huldigen. Immerhin kann das Songmaterial mit all diesen Giganten mithalten: ausformulierter Frühlingspop in fragmentarischen Zeiten, in denen viel zu oft Herbst ist. Besonderes Lob für „Jerusalem, New York, Berlin“ – wer beherrscht heute noch die hohe Kunst des Closers? Stephan Rehm Rozanes
17. Big Thief – TWO HANDS
4AD/Beggars/Indigo (VÖ: 11.10.)
Big Thiefs viertes Album in drei Jahren wurde nur Tage nach U.F.O.F. in Texas aufgenommen, ist laut Band dessen „earth twin“ und wiegt noch schwerer als sein Vorgänger. Zwischen Country-Anleihen („Replaced“) und wiederentdeckter E-Gitarre lauert das große Drama: „And the blood of the man who killed my mother with his hands / Is in me“, singt Adrianne Lenker in „Shoulders“. Mit „Not“ wiederum haben Big Thief sich selbst ein modernes wie zeitloses Denkmal gesetzt. Sie pilgerten damit durch US-Late-Night- Shows, auch The Nationals Matt Berninger coverte den Song bereits. Fabian Soethof
16. Bill Callahan – SHEPHERD IN A SHEEPSKIN VEST
The Bride Columbia/Sony (VÖ: 3.5.)
Wer mit dieser Stimme gesegnet ist, braucht nicht mehr als das Nötigste in seinen Songs. Bill Callahans warmer Bariton fühlt sich an wie ein Freund, der lakonisch und gern allein ist, aber immer Platz in der Einsiedlerhütte hat. Sein Folk mit dezenten Country- und Jazzverweisen klingt auf SHEPHERD IN A SHEEPSKIN VEST karger als noch zuletzt, auf berührende Art gegenwartsvergessen. Falls es dem Schäfer Bill Callahan, dem großen Entschleuniger, da oben in den Bergen doch zu einsam wird: Ob er mal im Ruhrgebiet bei den Düsterboys (siehe Platz 22) durchklingeln sollte? Julia Lorenz
15. Black Midi – SCHLAGENHEIM
Rough Trade/Beggars/Indigo (VÖ: 21.6.)
Alle heiligen Zeiten wird unverhofft diese eine Band an die Oberfläche gespült, die es schafft, den alten Affen Rock’n’Roll so klingen zu las- sen, als wäre er gestern erst erfunden worden. Black Midi ist nicht die typische Hype-Band, die einer britischen Gitarren-Tradition folgt. Eigentlich folgen die vier Londoner überhaupt keiner Tradition, zumindest keiner, die sich im Hauptstrom verorten ließe. Die Songs der Band entwickeln sich immer in Richtungen, die nach „gelernten“ Standards nicht zu erwarten sind. Sie werden von splitternden, dissonanten Gitarren angetrieben, bau- en sich auf, verknoten und ver- schlingen sich, fallen zusammen, nehmen häufig den unbequemeren Weg, bremsen von Höchstgeschwindigkeit auf Zeitlupe ab. File under: Captain Beefheart & His Magic Band, Pere Ubu. Albert Koch
14. Ilgen-Nur – POWER NAP
Power Nap Records/Membran (VÖ: 30.8.)
Rasch wurde bei Ilgen-Nur eine Nähe zu den Größen des 90er- Alternative-Slackertums festgestellt. Kann man drauf hinweisen, führt aber am Kern der Sache vorbei: Denn wichtiger als die Bezüge in der Inszenierung sind die Geschichten, die dieses Album erzählt: In griffigen Songs verstecken sich pointierte Schilderungen von Diskurs und Erwartung in Beziehungen jedweder Art, auch zu sich selbst. „I could be anyone, I could be having fun“, singt Ilgen-Nur einmal, entscheidet sich dann aber doch für den Fernseher. Da hat jemand seinen Bartleby verinnerlicht. Jochen Overbeck
13. Little Simz – GREY AREA
Age 101/Rough Trade (VÖ: 1.3.)
Die beiden Vorgänger hatten es unausweichlich gemacht: Ihr drittes Album ist das erwartete Meisterwerk Simbiatu Ajikawos geworden. Das Gerücht über ein Feature ihres prominentesten Supporters Kendrick Lamar (auf Platz zwei ihrer VIP-Fans steht Damon Albarn) hat sich zwar nicht bewahrheitet, doch wer Zeilen rappt wie „I’m Jay- Z on a bad day, Shakespeare on my worst days“, der braucht keine Starpower. GREY AREA ist ein viel- seitiges Coming-of-Age-Drama vom momentan besten und am besten beobachtenden MC der Welt, aufgenommen unter starken Selbstzweifeln. Dazu ein hochmusikalisches Groove-Monster, das auch Leuten gefallen sollte, die mit aktuellem Synthesizer-HipHop wenig anfangen können. Diese hat die Platte leider nicht erreicht, mit einem beschämenden Platz 87 in ihrer britischen Heimat musste sich Little Simz „zufrieden“ geben. Stephan Rehm Rozanes
12. Jamila Woods – LEGACY! LEGACY!
Jagjaguwar/Cargo (VÖ: 10.5.)
Die Songs tragen Namen wie „Eartha“, „Miles“ und „Muddy“: Die Künstlerin aus Chicago setzt afro- und lateinamerikanischen Ikonen aus Musik, Literatur und Politik ein Denkmal – und sich damit auch eins. LEGACY! LEGACY! ist Selbstermächtigung durch Hommage, an Erykah Badu und Lauryn Hill geschulter Soul, der moderne Produktionstricks behutsam einsetzt. Gerade so, dass die Platte nicht wie aus der Zeit gefallen wirkt, aber eben auch nicht – wie so viel aktuelles Konkurrenzmaterial – in vier Jahren als lachhaft veraltet nicht mehr anzuhören sein wird. Stephan Rehm Rozanes
11. Angel Olsen – ALL MIRRORS
Jagjaguwar/Cargo (VÖ: 4.10.)
Diese flehende Stimme, die Streicher, und erst die tonnenschweren Trommelschläge, die einen schon in „Lark“, der Ouvertüre von ALL MIRRORS, weich wie Wachs klopfen: Unmöglich, da nicht dramatisch ins Kissen zu sinken. Schon länger kannte man Angel Olsen als elegante Sixties-Wiedergängerin; mit ihrem jüngsten Phil-Spector-Gedächtniswerk inszeniert sie sich nun als Primadonna der Versehrten, die ihre Schmerzenslieder hinein in eine Welt in Dämmerstimmung singt. ALL MIRRORS ist Folkrock und orchestraler Pop, kleine Kammer und großes Kino, zart und stark und gravitätisch. Julia Lorenz
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