Die 50 besten Platten des Jahres 2015


Wer hat 2015 das Rennen gemacht? Future Soul, 90s-Indie, HipHop, gar Jazz oder doch das sogenannte Austropop-Revival? Eine große Jury hat entschieden: Das sind die 50 besten Platten des Jahres.

Platz 20: Ezra Furman – PERPETUAL MOTION PEOPLE

Bella Union/[PIAS] Coop/Rough Trade (3.7.)Ezra Furman BELLA498 Vinyl Sleeve.indd
Nach fünf Alben bekommt der Amerikaner endlich die Aufmerksamkeit, die er verdient hat. Denn Furmans Pop erinnert an die Violent Femmes, spielt Ping Pong mit Doo-Wop und Rock’n’Roll, ist eingängig, verplant, ansteckend, melodiös, maliziös, queer, witzig und vor allem blitzklug. In diesem Kerl ist so viel Treibstoff, dass es nicht verwundern würde, würde er explodieren. Aber angeblich geht es ihm ganz gut. Der beste Song heißt „Can I Sleep In Your Brain?“, da möchte man nur antworten: Komm her, Ezra, und komm hinein ins Oberstübchen. Jochen Overbeck

Platz 19: Noel Gallagher’s High Flying Birds – CHASING YESTERDAY

Noel GallagherSour Mash/Indigo (27.2.)
Bedenkenlos ließ er die Chance auf eine Oasis-Reunion anlässlich des 20. Geburtstags von …MORNING GLORY? verstreichen. Auch nächstes Jahr wird es keine Neuauflage der Knebworth-Konzerte von 1996 geben, wenn die Solo-Karriere so floriert. Gallaghers bislang mutigstes Album (Saxofonsoli in „Riverman“! Disco-Bass in „In The Heat Of The Moment“!) wurde zur meistverkauften Vinyl-Platte des Jahres im UK. Bester Song blieb dennoch die endlich fertiggestellte Demo von 1993, der absolut konventionelle Faust-in-die-Luft-Rocker „Lock All The Doors“. Stephan Rehm

Platz 18: Kamasi Washington – THE EPIC

KamasiWashingtonBrainfeeder/Rough Trade(15.5.)
Wer hätte gedacht, dass das überraschendste Meisterwerk des Jahres eine Jazzplatte sein würde? Groß und hell ist das Dreifachalbum (von fast drei Stunden Dauer), überschäumend und voller Ideen, freigeistig und wild. Und das scheinbar Unvereinbare – Jazz und postmoderner Pop – geht hier so gut zusammen, weil der Saxofonist es versteht, mit den Urgewalten des Jazz Gefühle und Befindlichkeiten zu verdichten, die sonst oft nur im HipHop auf den Punkt kommen: die Euphorie jugendlichen Aufbruchs, Melancholie, Ernüchterung – alles zusammen. THE EPIC ist tatsächlich: episch. Annett Scheffel

Platz 17: Floating Points – ELAENIA

Floating PointsPluto/Rough Trade(6.11.)
Manchmal bedarf es eines starken Statements, damit Veränderungen der Allgemeinheit ins Gedächtnis gebrannt werden. ELAENIA ist so ein Statement. Das Debütalbum von Sam Shepherd aka Floating Points spielt der Theorie einer aktuellen Post-Dance-Music in die Hände. Shepherd hat seine Leidenschaften klassische Musik, Avantgarde-Jazz, R’n’B, Techno und House in ein Album verwandelt. Zur Hälfte elektronisch, zur Hälfte mit Band aufgenommen, hat ELAENIA mehr von improvisierter Jazz-Fusion als von Clubmusik. Und wenn es elektronisch wird, dann nicht ohne Bezüge zu Ambient, Avantgarde und Neuer Musik. Albert Koch

Platz 16: Unknown Mortal Orchestra – MULTI-LOVE

Unknown_MortalJagjaguwar/Cargo(22.5.)
Wie es sich für einen ordentlichen Songwriter gehört, schreibt Ruban Nielson über das echte Leben – und das heißt in seinem Fall: eine vertrackte Dreiecksbeziehung. MULTI-LOVE ist nicht nur ein sehr gutes Album über die Komplexitäten moderner Liebe, sondern vor allem ein sehr gutes Album: Der Titel ist Referenz auf den mit Dutzenden Farben, Formen und Stilen aufgeschichteten Sound. Grundlage ist schöne, warme Schlafzimmer-Psychedelia. Dazu kommt Soul, Synthie-Pop und schummriger Prog Rock, Disco und hypnotischer Funk. Annett Scheffel

Platz 15: FFS – FFS

FFS_self-titled_album_cover_artDomino/GoodToGo (5.6.)
Ein Beleg dafür, dass Songs nie abgeschlossen sind: Als das Album von Franz Ferdinand und Sparks erschien, fielen die Rezensionen verhalten, die Chartsplätze bescheiden aus. „Klingt wie Franz Ferdinand und Sparks“, lautete der achselzuckende Konsens. Dass das etwas Großartiges ist, zeigte sich erst mit den Festivalauftritten der Supergroup: Auf Nachmittagsslots avancierten sie zu Gewinnern vieler Wochenenden. FFS-Material wie „Piss Off“ wurde ebenso gefeiert wie „This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us“ – zugegeben aber nicht ganz so stark wie „Take Me Out“. Stephan Rehm

Platz 14: Tocotronic – TOCOTRONIC („DAS ROTE ALBUM“)

 TocotronicVertigo/Universal (1.5.)
Alle sangen sie noch „Amore“, als auch die Urväter jeder Rockmusik, die heute in deutscher Sprache gut und richtig ist, sich auf Albumlänge dem zentralsten aller Themen annahmen: der Liebe. War es zu viel des Guten oder war das Gute zu viel? Ihr elftes Album sorgte erstmals für sinkende Verkaufszahlen. Bedauerlich, hielt die Band doch ihr schwindelerregend hohes Niveau: Auf den Konzerten reihten sich die neuen, poppiger als zuvor geratenen Stücke mühelos neben die vielen Klassiker ein. Taktisch wäre jetzt wohl eine Pause ratsam, aber darauf geben Tocotronic hoffentlich nichts. Stephan Rehm

Platz 13: The Libertines – ANTHEMS FOR DOOMED YOUTH

the-libertinesUniversal (11.9.)
Ihr erstes Album nach elf Jahren geriet eher zum Abschluss eines Abenteuers als zum Neuanfang. Doherty und Bârat begruben auf Stücken, die Fans teils seit Urzeiten als Demos vertraut sind, ihr Kriegsbeil und erinnerten an die einstigen Exzesse. Was diese Nabelschau an Aussagekraft für die Gegenwart schuldig blieb, machte sie mit riesigen Songs wett, die Anthems geworden wären, hätte man sie zu einer Zeit veröffentlicht, in der Rock’n’Roll etwas zählte. Die Wahl auf One-Direction-Produzent Jake Gosling wäre dem puristischen Fan aber auch damals schon zuwider gewesen. Stephan Rehm

Platz 12: Hot Chip – WHY MAKE SENSE?

Hot_Chip_WhyMakeSense_Artwork_hiresDomino/GoodToGo (15.5.)
Es wurde viel geschrieben über das Nerdtum von Hot Chip. Aber genau das definiert ihre Musik, als Ergebnis von Erkundungstouren durch die Geschichte der Tanzmusik, auf der Suche nach neuen alten Einflüssen für ihren cleveren Zitat- Elektro-Pop. Diesmal im Beutesack: Hip- Hop, R’n’B, Oldschool-House und Funk. Überhaupt durchzieht dieses sechste Album der Londoner eine ungewohnte Funkyness. Funk als Ausdruck des Hedonismus im Gegensatz zur melancholischen Tanzmusik, für die Hot Chip immer standen. Rhetorische Frage: Können die ein schlechtes Album machen? Albert Koch

Platz 11: Courtney Barnett – SOMETIMES I SIT AND THINK, AND SOMETIMES I JUST SIT

CourtneyMarathon Artists/House Anxiety/Rough Trade (20.3.)
Was lehrt uns Courtney Barnett? Dass man gar nicht so gut singen können muss, um brillante Popmusik zu fabrizieren? Ein bisschen vielleicht. Dass die Attitüde eine gewaltige Rolle spielt, wenn man Songs schreibt? Ganz sicher! Die Australierin wirft mit Gedankenfetzen um sich, die nicht komplex sein wollen, sich mit massig Anleihen an den US-Alternative-Rock der 90er aber zu schrullig durchdachtem Gitarrenpop hochschrauben. Ein Auszug: „Give me all your money and I’ll make some origami, honey“. SOMETIMES I SIT AND THINK, AND SOMETIMES I JUST SIT ist gewitzter als alle Comedians im deutschen Privatfernsehen es je sein werden. Jördis Hagemeier

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