Die 50 besten Platten des Jahres 2015
Wer hat 2015 das Rennen gemacht? Future Soul, 90s-Indie, HipHop, gar Jazz oder doch das sogenannte Austropop-Revival? Eine große Jury hat entschieden: Das sind die 50 besten Platten des Jahres.
Platz 40: Motorama – POVERTY
Talitres/Rough Trade (30.1.)
Um Russland steht es gar nicht so schlecht. Also, zumindest im musikalischen Sinne. Motorama sind das beste Beispiel dafür. Längst überfällig, dass sich die Band aus Rostow am Don vom langjährigen Image als Geheimtipp löst. Dabei lässt sich dem zögerlich zarten Erfolg durchaus Gutes abgewinnen. Denn: Radikaler Post-Punk mit zutiefst herzzerreißenden, melancholischen Melodien, gesungen von einer ergreifend schwermütigen Stimme, kann anscheinend genau dann besonders gut gedeihen, wenn er in Russland feststeckt. Das ist erschreckend plausibel. Und etwas bedrückend zugleich. Jördis Hagemeier
Platz 39: Vert – THE DAYS WITHIN
Shitkatapult/Indigo (6.11.)
Alben, die auf lange Bandpausen folgten, gab es dieses Jahr zuhauf. Aber über keins konnte man sich so freuen wie über die Rückkehr von Vert. Neun Jahre nach SOME BEANS & AN OCTOPUS hat der Brite Adam Butler seine Kompositionsblockade anscheinend überwunden. Die Stücke wandern durch einen fiependen, gluckernden, schimmernden Klanggarten; Songtextur und Sound wechseln sich beim Umspielen der Melodie ab, während Butler mit ruhiger Stimme den Zuhörer wie einen verlorenen Seemann auf seinen ersten Landgang nach fast einem Jahrzehnt mitnimmt. Willkommen zurück! Daniel-C. Schmidt
Platz 38: Laura Marling – SHORT MOVIE
Caroline/Universal (20.3.)
Warum die Namen der Vergangenheit bejubeln, wenn wir Laura Marling haben? SHORT MOVIE besitzt alle Qualitäten, von denen Altvordere sprechen, wenn sie Joni Mitchell oder Carole King im Sinn haben. Die Britin schrieb die Songs in L. A., wo sie sich niederließ, um mal zu schauen, was dran ist am Mythos. Ihre Reflexionen sind fantastisch: Die Songs klingen, als habe Marling die Wolken ihrer Heimat in eine Box gequetscht und diese in Kalifornien geöffnet: britische Regenluft in amerikanischen Landschaften – gesungen mit einer Stimme, die Stolz, Kraft und Emotionalität flüssig kombiniert. André Boße
Platz 37: Benjamin Clementine – AT LEAST FOR NOW
Caroline/Universal (17.4.)
Man denkt ja, man weiß, wie das klingt: ein Mann, ein Klavier. Meist recht hübsch, oft dramatisch. Dann sitzt da plötzlich ein dürrer Zweimetermann an den Tasten, ein Mysterium, ein Vagabund mit langen, feinen Fingern und Elektroschock-Frisur. Und man lauscht den ungestümen, scharfkantigen Klavierballaden seines großartigen Debüts (die besten heißen „Adios“ und „Cornerstone“), diesem eigentümlichen Stil aus Soul, französischem Chanson, Jazz und extrovertiertem Operngesang, man schluckt vor tiefer Gerührtheit und denkt an Nina Simone. Diese ganz bestimmte, zentnerschwere, glühende, stechende Melancholie hört man nur alle paar Jahre mal. Annett Scheffel
Platz 36: Low – ONES AND SIXES
Sub Pop/Cargo (11.9.)
Alan Sparhawk und Mimi Parker haben ein Luxusproblem: Sie schreiben auch im 22. Jahr ihres Bestehens packendere Kleinoden, als es anderen Folksongwritern in deren ganzer Karriere gelingt. Bloß: Gehört hat ONES AND SIXES wieder kaum wer. Woran liegt es, dass ihr Slowcore keinen Nerv bei Menschen trifft, die Low zu mehr als nur zum Vorprogramm von Wilco verhelfen könnten? Egal, denn oft kommt es nicht mehr vor, Lieblingsbands für sich zu haben. ONES AND SIXES besticht wieder mit Stille, einem wiederkehrenden Lei(d/t) Thema. Man darf dieses Album in Ruhe immer wieder hören. Fabian Soethof
Platz 35: Health – DEATH MAGIC
Caroline/Universal (7.8.)
Den bisweilen fast kakophonischen Radau, den sie bislang veranstaltet hatten, bezeichnete die Band aus L. A. plötzlich als ein Missverständnis. Man habe es bislang einfach nicht vermocht, den gewünschten Sound zu produzieren. DEATH MAGIC klingt tatsächlich glatter, stellenweise sogar poppig und doch kaum weniger gewaltig als seine Vorgänger. Fast wie eine Kreuzung von MUSIC FOR THE MASSES mit THE DOWNWARD SPIRAL, um einen Vergleich zu ziehen, der einer jeden Band schmeicheln dürfte, die Synthesizer nicht nur einsetzt, um eine nette, kleine Melodie in die Welt zu tragen. Oliver Götz
Platz 34: Vince Staples – SUMMERTIME ’06
Def Jam/Universal (6.7.)
„9 millimeter, my brother’s my keeper“, dröhnt es einem bei „Señorita“ entgegen. Die Stimme von Feature-Gast Future Hendrix, in Kombination mit den düsteren, gerappten Hood-Reports des Newcomers Staples, macht den Song zu dem Hit des Albums. Aber auch ruhigere Stücke wie „Surf“ feat. Kilo Kish bleiben dank des deepen Hintergrund-Basses in Erinnerung. Dass man Long Beach, California auch nach Snoop Dogg wieder auf der Rap-Landkarte wahrnimmt, ist der Verdienst des 22-Jährigen. Seine Storys über den von Gang-Gewalt geprägten Alltag wirken auf jedem Stück authentisch. Tamara Güclü
Platz 33: Florence + The Machine – HOW BIG, HOW BLUE, HOW BEAUTIFUL
Island/Universal (29.5.)
Schwer zu sagen, wann genau Florence ihren endgültigen Durchbruch feierte, der ihr schließlich einen Headlinerslot beim Glastonbury 2015 bescherte. Schon 2009, als sie mit ihrem Debüt die Musik- und Modewelt betörte? 2011, als sie mit CEREMONIALS nachlegte? Oder dieses Frühjahr, als sie auf ihrem dritten Album und in den Dante’esken Videos mehr denn je im Zentrum ihrer Band stand, göttlichen Bombastpop schuf und damit ihren Ausnahmestatus festigte? Wer die engelsgleiche Welch einmal live auf der Bühne erlebt hat, der weiß so oder so: Da oben gehört sie hin, die Gute. Fabian Soethof
Platz 32: Young Fathers – WHITE MEN ARE BLACK MEN TOO
Big Dada/Rough Trade(3.4.)
2014 gab’s für den Vorgänger DEAD den Mercury Prize, die drei aus Edinburgh verdrängten Damon Albarn und FKA Twigs. Als sie den Preis in der Hand hielten, strahlten sie das Glück einer Ente aus, die bei der Brotfütterung als Einzige keinen Krümel abgekommen hat. „Was sollen wir machen, herumspringen?“, fragten sie – wissend, dass DEAD bereits Vergangenheit war. WHITE MEN ARE BLACK MEN TOO ist ein Schritt nach vorne: Harmoniegesang statt Rap, Einflüsse aus Rock’n’Roll, Soul, Gospel und Pop. 2015 ist das Jahr, in dem sie locker an ihren Vorbildern TV On The Radio vorbeigezogen sind. André Boße
Platz 31: Sleater-Kinney – NO CITIES TO LOVE
Sub Pop/Cargo (16.1.)
Die Rückkehr der famosen drei geschah nicht aus Langweile: Carrie Brownstein, Corin Tucker und Janet Weiss haben die zehn Jahre ohne Sleater-Kinney für viele andere Aktivitäten genutzt, Brownstein zum Beispiel glänzte an der Seite von Fred Armisen in der mehrfach ausgezeichneten Sketch-Comedy „Portlandia“. Als sich die Band dann dem neuen Album widmete, war klar: Das darf nicht halbgar werden, sonst hat keiner was davon. Gesagt, getan: NO CITIES TO LOVE besitzt wütenden Charme, bietet turbulente Wahrheiten („It’s not the cities, it’s the weather we love“) und ist tief in ihrem Herzen eine furiose Rock’n’Roll-Partyplatte. André Boße
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