Die 50 besten Platten des Jahres 2015
Wer hat 2015 das Rennen gemacht? Future Soul, 90s-Indie, HipHop, gar Jazz oder doch das sogenannte Austropop-Revival? Eine große Jury hat entschieden: Das sind die 50 besten Platten des Jahres.
Die besten Platten. Die eindrucksvollsten Konzerte. Künstler, die 2015 geprägt haben. Mit unserem großen Jahresrückblick versuchen wir einmal mehr, den Deckel drauf zu machen. Doch selten blieben zum Ende eines Jahres noch so viele Fragen offen. Dass wir dabei die großen gesellschaftlichen Themen wie die Massenflucht von Menschen nach und innerhalb von Europa, die Bedrohung durch den Terrorismus, Hass auf der Straße und im Internet oder das Recht auf freie Meinungsäußerung gerade in der Kunst nicht außer Acht lassen wollen, dürfte klar sein. Aber wir fragen uns auch:
Wohin führen die Wege der Popmusik, der anspruchsvolleren?Wie kann man alt werden im HipHop?
Wiederholt sich der Britpop-Showdown von 1995 ausgerechnet in Österreich?
Was kommt nach „Mad Men“?
Was nach 00s-Indie-Rock?
Und dürfen wir vielleicht noch ein bisschen mit Miley spielen?
Antwortversuche auf diese und andere Fragen findet Ihr im großen Jahresrückblicks-Special 2015 in der Januar-Ausgabe des Musikexpress. Die Liste aller Listen aber, nämlich die 50 Platten des Jahres, die findet Ihr nun auch hier. Nimm das, 2015!
Platz 50: Mac Demarco – ANOTHER ONE
Captured Tracks/Cargo (7.8.)
Musik kann ja so geschmeidig sein: Das hat Mac DeMarco mit seiner Mini-LP jüngst wieder unter Beweis gestellt. Er schüttelt seinen Easy-Listening-Indie-Rock so locker aus dem Ärmel wie ein Seiltänzer, der mit Götterspeise jongliert. Noch besser wird es nur, wenn man DeMarco live erlebt. Da wird rücksichtslos gestagedived, blank gezogen, gespuckt und geknutscht. Auf, nicht vor der Bühne, wohl bemerkt. Dazu haut der gebürtige Kanadier mit breitem Grinsen lasziv in die Gitarrensaiten und säuselt Mädchen in der ersten Reihe etwas von der verlorenen Liebe ins Ohr. Jördis Hagemeier
Platz 49: Lana Del Rey – HONEYMOON
Vertigo/Universal (18.9.)
Schon vor Erscheinen ihres Del-Rey-Debüts war mancher überzeugt, dass die Luft schon wieder raus sei aus Lizzy Grants Kunstfigur mit dem Hang zu fiesen Herzensbrechern. Doch HONEYMOON ist bereits ihr drittes Sommerabende füllendes Werk und es ist ihr drittes gutes. Auch wenn Dan Auerbachs Produktion von ULTRAVIOLENCE markanter war: Man kann nicht lassen von diesem Hollywood-Dream-Pop und vor allem nicht von dieser Stimme. Del Rey säuselt nicht, sie mischt stetig weiter an diesem süßen Gift, bis sie uns alle gefügig gemacht hat. Und dann löst sie uns auf in Melancholie. Oliver Götz
Platz 48: Ibeyi – IBEYI
Xl/Beggars/Indigo (13.2.)
Der Beat als verbindendes Element der „Eine-Welt-Musik“. Die Zwillingsschwestern Lisa-Kainde und Anomi Diaz, Exilkubanerinnen in Paris, verbinden auf ihrem Debüt die afro-kubanische Musiktradition mit den aktuellsten Strömungen der elektronischen Musik. Die Songs sind ultraminimalistisch arrangiert und werden von XL-Labelchef Richard Russell dezent mit Beats und Samples unterlegt. Ibeyi sind näher an den zeitgenössischen Bemühungen von Elektro-Ethno-Fusionen, wie sie vom Hyperdub-Label betrieben werden, als an den sozialromantischen westlichen Vorstellungen einer „Weltmusik“. Albert Koch
Platz 47: Jessica Pratt – ON YOUR OWN LOVE AGAIN
Drag City/Rough Trade (30.1.)
Wie würde die Musik von Joanna Newsom klingen, würde man ihr das Budget für ihre Arrangeure streichen und alle Instrumente wegnehmen bis auf eine Gitarre und einen Laptop? Wahrscheinlich so wie die der kalifornischen Songwriterin Jessica Pratt. Die hat mit ihrem zweiten Album ein kleines, ruhiges Meisterwerk geschaffen, das wir nicht in die Freak-Folk-Schublade stecken wollen. Ätherischer, semi-quäkiger Gesang, minimalistische Arrangements und Songs, die so gut sind, dass sie in dieser kargen Umgebung in voller Pracht erblühen. Albert Koch
Platz 46: Foals – WHAT WENT DOWN
Warner (28.8.)
Größter Fehler, den man bei WHAT WENT DOWN begehen kann: Sich vom Sound des namensgebenden Openers blenden lassen. Das vierte Album der Oxforder um Yannis Philippakis ist alles andere als eine vor Riffs triefende Rock-Platte geworden. Das beweist schon „Mountain At My Gates“, dieser Popsong, der es schafft, Melancholie mit Lust und Leidenschaft kollidieren zu lassen. „Give It All“ und „Snake Oil“ sind grundverschiedene Songs, die jedoch sofort als Foals-Stücke erkennbar sind. Das Tempo ist gediegen, die Arrangements weniger vertrackt, aber nicht weniger gelungen. Dominik Sliskovic
Platz 45: Hiatus Kaiyote – CHOOSE YOUR WEAPON
Flying Buddah/Sony (8.5.)
Angesichts dieser Platte ist der Begriff Future-Soul mehr als angemessen. Auf einer Länge von 70 Minuten über 18 Tracks baut sich die australische Band ein hypnotisches und von Ideen durchströmtes Sound-Labyrinth, in dessen Winkeln einem allerorts Unerwartetes begegnet: 80er-Boogie und Modern Jazz, Funk und Dubstep, Polyrhythmik und Scat-Gesang. Wirbelnde Elektronik vermischt sich mit Akustikgitarren und dem samtweichen Gesang von Sängerin Nai Palm. Immer, wenn man denkt, die Songs würden in einem der vielen Grooves innehalten, eilen sie in eine andere Richtung davon. Annett Scheffel
Platz 44: Róisín Murphy – HAIRLESS TOYS
PIAS/Rough Trade (8.5.)
Zu lange war sie untergetaucht, und es fehlte ein Hit für mehr Aufmerksamkeit. So kam das Comeback eine der wenigen echten Persönlichkeiten des Dance-Pop nur bei denen an, die darauf gewartet hatten. In Form eines Albums, das von den Popstar-Ambitionen von OVERPOWERED (2007) nichts wissen wollte, sondern sich auf dem (Moloko-)Feld zwischen Disco, House, Funk, Acid Jazz und Electronica richtig breit machte. HAIRLESS TOYS ist eine selten sophisticated Platte, voll klanglicher Finessen, und einer Sängerin, die klingt, als könne sie alles von sich mühelos in jeden Ton stecken. Oliver Götz
Platz 43: Sun Kil Moon – UNIVERSAL THEMES
Rough Trade/Beggars/Indigo (29.5.)
Mark Kozelek wurde in den letzten Jahren durch seine ebenso zahlreichen wie saublöden Rants zu so einer Art Depp vom Popdienst. Kann man witzig finden, ist aber eher schade, weil er nach wie vor Platten aufnimmt, die Aufmerksamkeit verdienen. Auf UNIVERSAL THEMES singt er sich analog zum Albumtitel durch acht sperrig bis breit angelegte Songs. Kozelek, früher eine Art musikalischer Regenmacher, festigt damit den Ruf des schonunglosen Americana-Storytellers, den er sich schon mit den letzten beiden Alben erarbeitet hat. This Is Sadcore, aber gleichzeitig viel mehr. Jochen Overbeck
Platz 42: Zugezogen Maskulin – ALLES BRENNT
Buback/Indigo (13.2.)
Gleich zu Beginn des Jahres wird die Messlatte im Deutschrap von den Herren Grim104 und Testo nach oben gehängt. Auf den zwölf Tracks findet man kritische Betrachtungen der Hipsterisierung ihrer Wahlheimat Berlin, Schwulenfeindlichkeit und der Flüchtlingsdebatte. Die trappige Beat-Untermalung ist wuchtig, auch mal mit einer Portion Drum’n’Bass gemischt und kommt selbst in ruhigeren Momenten beim Thema Heimat und Ost-Tristesse überzeugend daher. Die von Links mehr als angehauchten Songs von ALLES BRENNT taugen als Party-Banger, sind aber allesamt inhaltlich relevant. Tamara Güclü
Platz 41: John Grant – GREY TICKLES, BLACK PRESSURE
Bella Union/[PIAS] Coop/Rough Trade (9.10.)
Sicherlich ist es vermessen, von Popsongs auf den seelischen Gesundheitszustand des Künstlers zu schließen. Aber dass das dritte Soloalbum Grants trotz wieder düsterer Grundstimmung vor Kraft strotzt, ist Fakt. Zwischen sarkastischen Elektronummern, die dem Funk bis auf die Knochen an die Wäsche gehen, und elegischen Balladen (great, greater, Grant!) scheint GREY TICKLES … zwar in zwei Hälften gerissen zu werden. Aber ein Manko ist darin nicht zu erkennen, es scheint nur einfach die dominanten Kräfte abzubilden, die an diesem Mann zerren. Oliver Götz
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