Der Vogel-Oscar: „Mad Max“, „Spotlight“ und „The Revenant“ aus der Sicht eines Vogelexperten


Was Kino mit Vogelkunde zu tun hat: Eine ornithologische Expertise zu den besten Darstellungen und Luftnummern der prämierten Filme des Jahres. Von Nick Lund, einem sogenannten Birder.

Wenn man Birder ist, ist man immer Birder. Da gibt es keinen Aus-Knopf. Wer kann schon genau voraussehen, wann ein seltenes Exemplar vorbeifliegt oder plötzlich irgendwo singt? Als Birder muss man allzeit bereit sein! Beim Autofahren? Beobachtet man Vögel. Man ist Gast bei einer Gartenhochzeit? Oder vielleicht selbst der Bräutigam? Man beobachtet Vögel. Während eines langweiligen Meetings in einem Raum mit großem Fenster? Man beobachtet auf jeden Fall Vögel! Und selbstverständlich beobachtet man Vögel, wenn man ins Kino geht oder Fernsehen guckt. Sobald man erst einmal damit anfängt, draußen Vögel und ihre Stimmen zu identifizieren, kann man nicht mehr anders, als es auch vor dem Bildschirm zu tun. Man mache sich dort allerdings auf Enttäuschungen gefasst!

Mit Vögeln in Filmen stimmt fast immer etwas nicht. Ich weiß nicht warum, aber es ist so. Rufe von Weißkopfseeadlern sind in Wahrheit immer Rufe von Rotschwanzbussarden (sogar David Attenborough wurde bei diesem Fehler ertappt!). Vögel tauchen in Gegenden auf, in denen sie gar nicht vorkommen, und Vogelstimmen im Hintergrund einer Landschaftsaufnahme sind fast immer fehl am Platz, egal ob in Dramen oder Dokumentationen. Und lasst uns gar nicht erst mit „The Big Year“ anfangen (das Thema füllte eine eigene Kolumne!). All diese Fehler in Filmen sind wirklich ärgerlich, weil sie eigentlich gar nicht erst passieren müssten. Man pumpt Millionen in einen Film und schafft es nicht, einen Blick in ein Bestimmungsbuch zu werfen, um sicherzugehen, dass der Vogel, den man da zeigt, auch wirklich in die Szenerie passt? Für einen Vogelbeobachter ist ein Vogel ebenso am falschen Ort wie ein SUV, der durch ein Bürgerkriegs-Drama kurvt.

Das Zwitschern der Indianermeise symbolisiert in dem Film „Der Marsianer“ die Idee des Lebens.
Das Zwitschern der Indianermeise symbolisiert in dem Film „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“ die Idee des Lebens.

Andererseits ist die korrekte Verwendung von Vögeln im Film ein Zeichen von Qualität und gutem Handwerk, bei dem noch Wert auf Details gelegt wird. Mir scheint, dass ein präziser und genauer Einsatz von Vögeln und Vogelstimmen immer auch ein Zeichen für große Sorgfalt in anderen Bereichen – und daher ein guter Indikator für einen guten Film ist. Also, wie sieht es nun mit der Oscar-Kategorie „Bester Film“ aus? Um mich auf die diesjährige Oscar-Verleihung vorzubereiten, hatte ich mir alle acht Filme, die für die Kategorie „Bester Film“ nominiert waren, angesehen – und dabei Augen und Ohren natürlich nur auf Vögel gerichtet.

Folgende Filme waren nominiert (für den Fall, dass Sie es schon vergessen haben): „The Big Short“, „Bridge of Spies“, „Brooklyn“, „Mad Max: Fury Road“, „Der Marsianer“, „The Revenant“, „Raum“ und „Spotlight“. Und so haben sie sich geschlagen: Halt! Moment. Vorher noch kurz ein Haftungsausschluss: SPOILER-ALARM! Das ist unvermeidbar, aber ich werde versuchen, nichts zu verraten, was nicht unbedingt sein muss. Außerdem kann ich nicht für die absolute Fehlerfreiheit dessen, was gleich kommt, garantieren. Ich habe die meisten Filme im Kino gesehen – ohne den Luxus einer Rückspulfunktion. Ich habe mein Bestes getan, um Vögel zu bestimmen, die nur vage zu sehen oder zu hören waren. Es mögen mir dabei Dinge entgangen sein. Schauen Sie sich die Filme einfach selbst an, dann können Sie auf meinem Blog mit mir darüber streiten, falls ich es vergeigt habe.

„Bridge of Spies“ und „Spotlight“

Fangen wir mit zwei Filmen an, die ihre eigene Kategorie bilden: Filme komplett ohne Vögel. Obwohl ich sie genauestens studiert habe, konnte ich in beiden Filmen weder das winzigste Geflatter noch das leiseste Zwitschern vernehmen. Sie haben beide kaum Outdoor-Szenen, also nehme ich an, dass das Sinn ergibt, aber es ist trotzdem enttäuschend, keinen einzigen Vogel geboten zu bekommen.

Dieser Umstand wirft die Frage auf: Ist es besser, wenn in einem Film Vögel vorkommen, die aber falsch sind – oder wenn erst gar keine darin auftauchen? Ich habe die Frage auf Twitter gestellt, und das Ergebnis war eindeutig unentschieden.

Ich finde, das komplette Fehlen von Vögeln sollte bei der Bewertung in der Kategorie „Bester Film“ weder Pluspunkte bringen noch zu Punktabzug führen. Wie jeder weiß, gewann „Spotlight“, und „Spotlight“ ist auch super, während „Bridge Of Spies“ sehr öde ist.

Wertung: 0 Vogel-Bonus-Punkte. („Bester Film“ wird nach Punktesystem entschieden, richtig? Nicht? Na ja gut. Zu blöd.)

„Der Marsianer“ und „Raum“

Im Soundtrack beider Filme tauchen Vogelstimmen auf, und sie werden ähnlich benutzt: In beiden Filmen stehen die Vogelstimmen symbolisch für die Idee des Lebens. Wenn Jack in „Raum“ aus dem Schuppen befreit wird, ist das Erste, was man hört, das Zwitschern eines Vogels (wobei ich die Art nicht ermitteln konnte). Die Szene von „Der Marsianer“, die den Astronauten Mark Watney nach einer grauenvollen Flucht vom Roten Planeten zurück auf die Erde zeigt, wird im Hintergrund mit Stimmen von Indianermeise, Buchentyrann und Carolinaspecht unterlegt.

In „Der Marsianer“ hört man auch das Zwitschern des Carolinaspechts.
In „Der Marsianer“ hört man auch das Zwitschern des Carolinaspechts.

Beide Szenen zeigen Figuren, die das erste Mal seit langer Zeit die wirkliche Welt wiedersehen – und mithilfe von Vögeln wird einem dieses Bild eingebläut. Obwohl in beiden Filmen Vögel ähnlich eingesetzt werden, sind sie nicht ebenbürtig. In „Raum“ ertönt ein kurzer Vogelruf. In „Der Marsianer“ habe ich drei verschiedene Arten gehört, von denen jede einzelne perfekt in die Umgebung von Houston passt. Gut gemacht! 

Wertung: +5 Vogel-Bonus-Punkte für „Raum“; +25 für „Der Marsianer“.

„Brooklyn“ und „The Big Short“

Zwei sehr gute Filme mit einem soliden Einsatz von Vögeln. In „The Big Short“ habe ich drei Vögel gezählt: Ganz am Anfang singen irgendwelche Drosseln, eine schnelle Nahaufnahme zeigt einen Haussperling und irgendwelche Arten von Möwen mit schwarzem Rücken bei einem Blick durchs Fenster. Nicht falsch, aber auch nicht besonders beeindruckend. (Hätte man die Nahaufnahme des Haussperlings gegen die einer Leconte-Ammer ausgetauscht, hätten wir ins Geschäft kommen können).

Der Ruf des Rotkardinals ertönt im Film „Brooklyn“.
Der Ruf des Rotkardinals ertönt im Film „Brooklyn“.

In „Brooklyn“ singen eine Menge Vögel. Möwen kreischen auf einer Schiffsfahrt von Irland in die USA. (Ich habe den Horizont nach Sturmtauchern abgesucht. Ohne Erfolg.) Auf den Straßen von New York ertönten stimmige Rufe vom Rotkardinal und sogar vom Schornsteinsegler. Unglücklicherweise gibt es einen großen Fehler: Zurück in Irland, wird in einer Szene auf einem Friedhof ein Schwarm Krähen im Hintergrund mit Stimmen von Amerikanerkrähen vertont. Schade. Ansonsten ein reizender Film. Halten Sie sich nur die Ohren bei der Friedhofsszene zu!

Wertung: +20 nichtssagende Punkte für „The Big Short“ und +10 für „Brooklyn“.

„The Revenant“

Es besteht kein Zweifel daran, dass in „The Revenant“ mehr Vögel auftauchen als bei jedem anderen der nominierten Filme, sowohl auf der Leinwand als auch im Soundtrack. Dummerweise sind sie alle falsch! Der Film spielt in einer Gegend, die das heutige South Dakota zeigen soll. Warum plappert dort ein Gelbschnabelkuckuck in der Szene mit der Bärenattacke? Warum ruft da ein Eistaucher? Nur der Blauhäher, den man in der Szene hört, als Hugh Glass auf einer Trage den Berg hochgeschleppt wird, ist einigermaßen plausibel.

HOLDERNESS, NH - JULY 31: Its red eye gleaming in the summer sun, a common loon stretches on Squam Lake. The loons had poor productivity this year on the lake. (Photo by Mark Wilson/The Boston Globe via Getty Images)
HOLDERNESS, NH – JULY 31: Its red eye gleaming in the summer sun, a common loon stretches on Squam Lake. The loons had poor productivity this year on the lake. (Photo by Mark Wilson/The Boston Globe via Getty Images)

Aber das sind nicht die einzigen Vögel in diesem Film. Ich bin kein Experte für europäische Arten, aber Alex Lees hat getwittert, er hätte den Grünfink, den Feldschwirl und einen Tyrannenadler gehört. Henry Cook sagte, er habe eine Kohlmeise gehört. Unverzeihlich. Und das ist noch nicht alles: Eine andere Szene beginnt mit einem Schwenk von Baumkronen hinunter auf einen großen Vogel, den man auf einen Ast im Vordergrund computeranimiert hat. Es soll ein Kolkrabe sein, aber sein Schnabel ist zu groß und sein Gesicht echt bizarr. Geht gar nicht.

Ich wollte diesen Film gut finden, aber es ging einfach nicht. Okay, Leo bekam seinen Oscar als „Bester Darsteller“, das musste sein, aber es ist definitiv kein „Bester Film“.

Wertung: -100 Punkte.

„Mad Max: Fury Road“

Mein Lieblingsfilm des Jahres ist jener, der – soweit ich das einschätzen kann – als einziger den Namen eines Vogels im Drehbuch stehen hat. In einer Szene fährt der von Furiosa angeführte Treck von Geflüchteten und Überlebenden durch eine sumpfige Höllenlandschaft mit skurrilen Stelzen-Leuten und einem Haufen Krähen. Später wird klar, dass der Sumpf eigentlich das untergegangene Grüne Land ist, das man sich als Zufluchtsort erhofft hatte. „Die Krähen …“, sagt Furiosa nur, als die Wahrheit herauskommt, „dieser gruselige Ort mit all diesen Krähen.“

Hey! Sie haben „Krähen“ gesagt! Egal, dass Vögel hier Tod und Zerstörung symbolisieren. Sie sind Hauptdarsteller! Und mit Ausnahme der zweiköpfigen Eidechse aus der Anfangsszene sind diese Krähen auch die einzigen nicht-menschlichen Darsteller im ganzen Film. Sie sind Überlebende. Und obwohl keine anderen Vögel oder Vogelstimmen in diesem Film vorkommen: Die Tatsache, dass ein Vogel explizit erwähnt wird, hebt diesen Film in eine Vogel-Klasse für sich. „Mad Max“ bringt Vögel nicht nur auf die Leinwand, sondern hat sie auch im Drehbuch.

Wertung: +100 Punkte und Gewinner der Kategorie „Bester Film“.

Nick Lund ist leidenschaftlicher Birder und lebt bei Washington D.C. Er arbeitet als Senior Manager bei der National Parks Conservation Association (npca.org) und schreibt in seiner Freizeit verrückte Dinge über Vögel in seinem Blog The Birdist (thebirdist.com) und für die National Audubon Society, eine amerikanische Vogelschutzorganisation.

UniversalImagesGroup UIG via Getty Images
UniversalImagesGroup UIG via Getty Images
Education Images UIG via Getty Images
Boston Globe Boston Globe via Getty Images