Der Siegeszug der Glow Sticks
Und? Froh, dass es bald vorbei ist? Nick, Tourmanagervon Deichkind, bekommt große Augen. „Nein, überhaupt nicht! Das könnte echt ewig so weitergehen!" Fünf Tage auf Tour mit T.Raumschmiere, der Bloodhound Gang und den Hamburg-Flensburger Chaoten sind viel zu kurz
Schluss mit Krawall, vorbei mit Remmidemmi. Durch den Backstage-Bereich ziehen Nebelschwaden und brennen in den Augen. Letzte Konfettipünktchen sinken zu Boden, der glitschig ist wie nach drei Tagen Regenwetter. Eine gute Stunde blieb nach dem glorreichen Finale der Gruppe D der Jägermeister Rockliga, um aus den Künstlerkabuffs im Ulmer „Roxy“ eine Partyhölle zu machen. Hier, das ist offensichtlich, waren Profis am Werk.
„Wer war das?'“Der Mann von der Hallen-Security kommt offenbar gerade von einem Tennisturnier. Er hat was gegen Remmi-Demmi. „Wer war das mitdem Feu-er-lösch-er?“ Seine Stimme donnert wie die des Leibhaftigen, und erist sauer, der Leibhaftige, sehr sauer. Wer noch bei Sinnen ist, packt seine Habseligkeiten und sucht das Weite. Ist ja auch gut jetzt. Draußen warten die Nightliner mit laufenden Motoren, bereit, nach Hamburg durchzustarten und nach Berlin. „War schön mit euch.“ Zwei Frottee-Handtücher verhüllen Buddys massigen Body nur unzureichend. Macht nix, hier ist man schließlich unter sich. In der frischen Luft einer Ulmer Märznacht verabschieden sich die Kontrahenten voneinander, die in fünf Tagen Kumpels geworden sind. T.Raumschmiere und Deichkind waren angetreten, um in dem Bandwettbewerb des Wolfenbütteler Kräuterlikör-Herstellers den Besten unter sich auszumachen. Ja, die Bloodhound Gang war auch dabei, aber sie musste zum Flieger. Die Rock’n’Roll-Party zum Abschluss findet deshalb ohne die Herren Rockstars statt. Nun ja.
Beim Auftakt in der“Matrix, einer ArtMulcizweck-Disco
am Rande Bochums, ist gute Laune Mangelware. In einer Sofaecke des weitläufigen Backstagebereichs hinter der schmalen Bühne diskutieren die Deichkinder mit Tour- und Stagemanagement vor allem, was während des Auftritts alles nicht funktioniert hat. Faxe sind nicht angekommen, die „Zitze“ – das neueste Bühnenspielzeug- konnte mangels Platz nicht zum Einsatz kommen, und zu allem Überfluss unterbrach mittendrin ein gut fünfminüriger Stromausfall den Aufstand im Schlaraffenland. „Da hat“, sagt Buddy, „ja wirklich gar nix geklappt“.
Tourmanager Nick, schon den ganzen Abend unterwegs von Pontius zu Pilatus, reißt der Geduldsfaden: „Digger“, herrscht er Björn an, den
Bühnenmanager, „ich glaub’dir nicht mehr. Ich glaub’dir nicht mehr, dass du von nixeine Ahnung hast. Du spielst hier ein ganz beschissenes Spiel!“
Björn, durchtrainierter Anfang-Vierziger mit runder Brille, kahlem Schädel und Fred-Perry-Shirt, zuckt die Achseln. Und schweigt. Nick, ein eigentlich ganz gemütlich wirkender Hüne mit Wuschelhaaren und Seemannshemd, fährtfort: „Du bist der falsche Mann amfalschen Platz…“
„Das ist alles gaaanz normal“, sagtTobby. Für das Publikum tritt er als Moderator in Erscheinung, der die Bands ankündigt und am Ende das Applausometer ins Auditorium hält, das den Sieger des Abends ermittelt. Hinter den Kulissen ist er der informelle Gute-Laune-Onkel, den jeder kennt und jeder mag. „Am ersten Abend sind alle noch ziemlich nervös „, sagt er jetzt und grinst durch seinen rötlich-weiß gelockten Vollbart. „Das ist völlig normal.“ Er tritt von einem Bein aufs andere, stopft die Hände in die Taschen seines brokatfarbenen Anzugs und zieht sie wieder raus. .Aber am zweiten Abend, da saufen alle zusammen. Und dann läuft’s meistens.“Tobby muss los. Die Bloodhound Gang ansagen.
Die Schockpopper aus Amerika machen sich gerade warm. „Prost“, bellt Evil Jared, Basser und Fronttier, schließlich lebt er in Berlin. Er wuchtet ein winziges Reagenzglas Kräuterschnaps in die Höhe, die Crew stößt an. Dann beginnen die ersten Akkorde von „Fire Water ßurn“. Jimmy Pop tätschelt Evil Jareds Schultern, ehe er gemütlich auf die Bühne schlendert. Auch wenn mit Deichkind der Titelverteidiger dabei ist, scheint der Sieg für die MTV-Stars sicher. Die Fans jedenfalls geben alles. “ Wirmussten hier schon einige aus dem Verkehr ziehen „, sagt Boris Schimansky vom lokalen Veranstalter. Das Publikum hat mindestens soviel Durst wie seine Idole auf der Bühne. Ein Heimspiel für die Gang.
Im winzigen Vorraum zur Bühne herrscht derweil mächtig Gedränge. Hier haben die Bühnentechniker ihr Equipment aufgebaut und versuchen sich an einem sauberen Livesound. Gar nicht so einfach, denn überall stehen Menschen im Weg, denen „All Area“-Ausweise um die Hälse baumeln. Neugierige Konkurrenten, Wichtigtuer mit Fotoapparaten, und – so nennt man das wohl – Groupies. So sehen die also aus, ein wenig, als guckte man fern. Blond, brünett, sogar rot. Es gibt sie in allen Farben. „Bist du von der Presse? „, fragen später ein paar Halbwüchsige am Hallenausgang, die erstaunlich nüchtern wirken. „Schreib, dass Bloodhound Gang scheiße waren!“ Deichkind gewinnen den Applauswettbewerb; Jimmy Pop is not amused. Und seine Fans: ernüchtert.
Auch in Kassel ist nichts ZU holen für Jimmys Gang .Weird, these fuckin Krauts. Was finden die nur an diesem seltsamen Fratzengeballer, mit knallrotem Gummiboot, Hüpfburg, Trampolin und Ägypter-Kostümen aus Müllbeuteln? „We never really thoughtglowstickswerea great idea“, schreiben sie in ihr Onlinetagebuch. Die Leute in Bochum-Kassel-Leipzig-Würzburg-Ulm, sie feiern dieses inszenierte Chaos der Deichkinder und wären gern noch mehr ein Teil davon. Wenn Andre Heller das sehen könnte – für einen atomaren Bruchteil seiner Budgets zaubern die Deichkinder mehr Phantasie auf die Bühne als Hellers Hochglanzakrobaten in 20 Jahren. Das Spektakel aus schwitzenden Leibern, quengeligem Sprechgesang und basslastigen Parolen ist eine gigantische Sturmfreiparty, die jeden Reiche-Eltern-Tempel in Schutt und Asche legen würde. Da mag Evil Jareds T-Shirt-Kanone noch so beeindruckend sein-sie zieltins Leere. Immerhin: Jeder kriegt, was erverdient. Die Ringelshirt-Dekolletees in der ersten Reihe, die sind für ihn.
Was Marco verdient, ist ein anständiger Whiskey, quasi als Schmiermittel fürs T.Raumschiff. In gewisser Weise ist Marco das Gegenteil von Evil Jared, dem Kleine-Mädchen-Traum: Marco ist der Kleine-Mädchen-Schreck. Wenn er mit seiner Gang auf die Bühne kommt und ins Mikro brüllt, sich eimerweise Wasser über den Schädel gießt und torkelnd den Kreuzberger Johnny Rotten gibt, atmen die Dekolletees in der ersten Reihe flacher, werden Augen glasig und Mienen panisch. Sie trau- -»
-* men von Evil Jareds Feinrippunterwäsche. Und sie bekommen eine leere Plastikflasche, die Marco in die erste Reihe bolzt.
Die Welt ist grausam. Man kann es gar nicht früh genug lernen. Und deshalb ist es gut, dass T.Raumschmiere den Kontrapunkt setzen im Gute-Laune-Programm, wenn auch ohne den Hauch einer Siegchance. „Ich seh‘ das hier als pädagogischen Auftrag „, sagt Marco, bevor er mit seinen Elektropunk-Kumpanen Andi (Gitarre) und Ben auszieht, das Publikum zu verstören. „Den reichlich witzlosen, unfassbar eintönigen Auftritt der Laptop-RockervonT.Raumschmiere hätte man sichgetrost in die Haare schmieren können „, schreibt die junge Kollegin der Schwäbischen Zeitung in Ulm am Tag danach. Sie muss noch viel lernen …
In Leipzig ISt das Wetter fies, nass und kalt Aber das stört hier im Werk II niemanden. Deichkind haben den dritten Sieg am dritten Abend gelandet, und jetzt wird gefeiert. Die Backstageräume sind sehr backstage. Ein gut meinender Kopf ohne Ohren hat sie direkt hinter die Bühne platziert, vom Rest der Halle abgetrennt nur durch ein paar Planen und Bauzäune, was Unterhaltungen während der Konzerte so gut wie unmöglich macht. Jetzt aber hat die Rockliga Pause. Und während Marco noch einen Whiskey trinkt und alle anderen auch, gehen die Stagehands ihrer Arbeit nach. Plane um Plane verschwindet, Bauzaun um Bauzaun, bis der Backstage die Halle und die Halle der Backstage ist. Ein surreales Szenario. Zumal durch ein feines Glas Scotch betrachtet. WÜrzburg Zeigt sich von seiner schäbigsten Seite. Das Müllheizkraftwerk bläst seinen weißen Atem in den trüben Himmel. Der „Tempel der Lust“ nebenan wirkt wie ein schäbiges Matratzenlager und der Soundpark O st wie der letzte Altglascontainer vor dem Ende der Welt. „Hier werden die Leute rangekarrt, um Spaß zu haben „, knurrt Deichkind-DJ Phono. „Ekelhaft.“ Würzburg schmerzt. Wenigstens gibt es Tomapyrin und ein gutes Frühstück. Zur nächsten Tankstelle mit Zigaretten sind es 20 Minuten. Zur nächsten Dusche auch. Nur die Bloodhound Gang hat eine eigene, aber da traut sich niemand rein. Die Deichkinder sind nölig wie ihr Rapgesang. Der Laden, der Backstageraum, das Industriegebiet-alles nix. „Angeblich ist es schon seit acht Wochen ausverkauft“, sagt Buddy. „Trotzdem ist das einer der fünf beschissensten Rockläden Deutschlands.“
Vielleicht geht ja hier endlich was für die Bloodhound Gang. Sie stellen die Setlist um, das dröge Endlosintro weicht Punkrock von Beginn an.
Marcos Lehrstunden haben offensichtlich nicht nur in der ersten Reihe Wirkung getan. Die Würzburger Kids im deutlich überfüllten Airport-Saal des Soundparks (was für ein Euphemismus) nehmen es dankbar an. Diesmal gewinnt die Gang den Klatschwettbewerb. Und siehe da: Die Götter steigen vom Olymp – hinab auf die Bierbänke des normalen Backstagevolks. Evil Jared, Jimmy Pop und Kollegen – eigentlich ganz nette Kerls. „Die BloodhoundGang“, sagt Sebi von Deichkind generös, „war heute richtig gut.“ Ein Lob, das er sich leisten kann. Vor dem letzten Spieltag ist den Deichkindern der Gruppensieg nicht mehr zu nehmen.
Nur Daniel, der Tourmanager, schlummert, schläft sich die vergan genen vier Nächte aus den Knochen. Ansonsten herrscht – auch früh umvier-auf dem Weg von Würzburg nach Ulm noch reges Treiben im Nightliner der T.Raumschmiere. Aus der Sitzecke im Heck dröhnt Turbonegro, Marco sucht in Bettenritzen und Couchpolstern den Dongle, der die Musiksoftware auf seinem Laptop frei schaltet. Plötzlich-ein Schrei: „Sommerzeit.‘ Umstellung auf Sommerzeit!“ Daniel sinkt zurück in die Kissen. Ein Tourmanager ist immer im Dienst. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, uim ist eine schöne Stadt, mit dem Münster in seiner Mitte und vor allem: so sauber. DJ Phono und seine Freundin kehren zurück zum Roxy, in dem abends das Finale steigen wird. Sonntagsspaziergang? Die beiden strahlen, als seien sie gerade einem Gedicht von Eduard Mörike entschlüpft: Ja herrlich!“ Als die Sonne langsam über der Donau versinkt, füllt sich der Parkplatz. Offenbar haben einige Besucher schon den Führerschein, das war nicht überall so. Aus Autolautsprechern knarzt „Remmidemmi“.
Drinnen machen T.Raumschmiere den Anfang. Die Bühne ist groß, der Saal auch. Das Rockstarsein, so muß es sich anfühlen. Auch die Bloodhound Gang ist versöhnt, mit sich und den komischen Krautfressern. Sie rocken, genau wie tags zuvor in Würzburg. Steht ihnen gut. Vor Deichkinds Erscheinen herrscht trautes Einverständnis am Bühnenrand. Marco und Andi von T.Raumschmiere, Evil Jared und Lüpüs Thunder von der Bloodhound Gang beklatschen die Sieger der Gruppe D. Deichkind fahren wieder zum Finale nach Berlin. Hört sich nach einer klaren Sache an. Aber das dachte die Bloodhound Gang auch.
„Du guckst immer nur zu und machst Fotos“, beschwert sich Buddy, kurz bevor der Feuerlöscher hochgeht. „Du musst mitmachen!“ Na gut, ein Bierchen wird nicht schaden. Dabeisein ist nicht immer alles. —