Der Popstar als Fiktion
iTunes-Charts vom 19. November 2012, Platz 1, Rihanna, „Diamonds“
Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal auf einem Konzert betrunken war. Konzerte beginnen in der Regel am frühen Abend, man geht nüchtern hin, zum Betrunkensein braucht es dann etwas Zeit, und in der Regel reicht die Länge eines Konzerte dafür nicht aus; oder die Länge der Schlange vor der Bar verhindert, dass man sich Richtung partiellem Erinnerungsverlust trinken kann. Auch insofern verdanke ich und ein paar andere Berliner Rihanna ein besonderes Erlebnis, als sie auf ihrer unmittelbar legendären „777“-Tour bei uns zwischenlandete (sieben Tage, sieben Städte, abgeflogen in einer Boeing 777): Ich zumindest kann mich an ihr Konzert nicht mehr ganz erinnern. Weil ich mir die stundenlange Wartezeit kurzgesoffen habe. Aber wenn ich die vielen Fotos und Videos auf meinem Handy richtig verstehe, war Rihanna wirklich da, sah toll aus und hat kaum einen Ton gesungen, also live, so wie man das bei Konzerten üblicherweise macht als Sängerin. Doch Rihanna ist keine übliche Sängerin. Nicht ihr unfassbarer Erfolg, nicht ihre unfassbare Produktivität, nicht ihre unfassbare virtuelle Präsenz machen sie so unüblich. Sondern ihre Existenz an sich. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass sie am Zustandekommen eines einzigen ihrer Lieder in irgendeiner Weise beteiligt war, außer auf deren Gesangsspuren. Und doch scheint jeder neue Songtext die Fortsetzungsautobiografie einer Künstlerin perfekt fortzuschreiben, von deren realen Leben man nichts weiß. Außer dass sie einmal von ihrem Freund zusammengeschlagen wurde. Rihanna hat die Fiktionalisierung der Popstar-Persona in völlig neue Dimensionen getrieben. Die Frage, ob sie ferngesteuert ist oder doch die Fernsteuerung für sich selbst in ihren Händen hält, stellt sich nicht mal mehr: Rihanna ist eine Erfindung, man weiß nur nicht, von wem. Aber sie existiert. Jedenfalls tut sie das auf vielen Fotos und Videos auf meinem Handy, wie immer die da reingekommen sein mögen.