Der Muskelmann Als Quasselstrippe


Henry Rollins lud den rasenden ME/Sounds-Reporter Severin Mevissen zu einer Fahrt auf dem Rücksitz eines Lincoln ein. Und hörte dann nicht mehr auf zu reden

So, nun setzt euch hin und haltet den Mund, ich habe ’ne ganze Menge zu erzählen von Henry Rollins, dem immer wütenden Muskelpaket, mit dem ich gerade wertvolle Stunden verbracht habe, und der redet so viel, daß es ansteckend ist. Nicht weil er auf Speed oder Koks oder sonstwas ist, denn Drogen nimmt der nicht, der lebt gesund. Er redet deshalb soviel, weil er zuviel Energie hat und zuviel Kaffee trinkt. Henry redet gern und vor allem redet er gern über jeden Scheiß, zum Beispiel darüber, daß er pleite ist. Nun fragt man sich, wie ein Rockstar, der gerade bei den reichen Jungs von Dreamworks – Geffen, Katzen- und Spielberg – einen Plattenvertrag unterschrieben hat, pleite sein kann. Das geht einfach, sagt er, weil er zwei eigene Labels und einen Buchverlag führt, mit denen er Autoren und Musiker (wieder-)veröffentlicht, die er selbst mag, so wie den alten „Last Exit to Brooklyn“-Hubert Selby oder neue Jazzmusiker, und daß ihn dieses Hobby mächtig kostet. Jazz ist seine Leidenschaft, und wenn der bucklige Zuhörer überrascht aufschreckt, da zieht Henry erst richtig vom Leder und erzählt von seiner Plattensammlung, vom kompletten Eric Dolphy, John Coltrane und Duke Ellington und ihm werden beim Erzählen die Augen feucht; mir die Hose, aber damit stehe ich ziemlich alleine da, denn Frauen z.B., Frauen, die er ab und zu nach Hause einlädt, die schlafen schon mal ein, wenn Henry ins Schwärmen über… na, von mir aus Duke Ellington gerät. Henry mag auch R.E.M., Michael Stipe ist ein alter Freund von ihm, genau wie Wayne Kramer, der Ex-MCs-Gitarrist, der ihn neulich Backstage in Santa Ana besuchte, und von dem Henry behauptet, daß er immer noch jeden anderen Gitarristen in Grund und Boden spielen könnte. Rollins hält deshalb wenig von der Musikszene der 90er Jahre, insbesondere von „Alternative Rock“, denn der wird von nichtsnutzigen Mittelstandskindern gemacht, die sich stolz dazu bekennen, alle Wiederholungen von ‚Bezaubernde Jeannie‘ anzugucken und dann auch noch zugeben, daß sie eigentlich gar nicht richtig spielen können – Pussies! Wenn Henry so redet, gerät er in Rage, das macht ihn wütend, genauso wütend wie ihn Leute machen, die vor ihm auf der Rolltreppe stehenbleiben und ihm den Weg versperren; die ihm, dem Arbeitstier, die Zeit vergeuden. Dann möchte er den Betreffenden am liebsten in den Hintern treten, daß der Stiefel steckenbleibt, und selbst wenn er das nicht ganz wörtlich meint, so traut man ihm doch zu, gewalttätig zu werden, nicht zuletzt wegen seiner Physis, seines Crew-Cuts und seiner Musik. Ja, seine Musik hat so gar nichts von Coltrane oder Ellington, sondern klingt eher wie ein vertonter Arschtritt, das will Henry auch so, denn seine Musik ist für ihn das Ventil, das ihn davon abhält, gewalttätig zu werden, und er schreibt gute Songs nur dann, wenn er eine saumäßige Laune hat. Wenn er gute Laune hat, dann wird Henry ganz aufgeregt, geradezu körperlich aufgeregt, so geschehen, als er Isaac Hayes, John Lee Hooker, Jerry Lee Lewis und zuletzt sogar James Brown treffen durfte. James Browns ‚Live at the Apollo, Vol. III‘ ist sein Lieblings-Live-Album. Und ach, beinah hätte er’s vergessen, die Henry Rollins Band bringt’ne neue Platte heraus, ‚Come In And Burn‘. Henry muß sehr, sehr schlechte Laune gehabt haben, als er die Songs schrieb. Aber das weiter zu beurteilen, ist der Job eines Kritikers. Und ich nehme jetzt ein Valium.