Der Mann, der beim ME Lulu Eetgood war


Eine Kolumne für die Ewigkeit feat. Entzauberung einer „krassen Geschichte“ und eine Band, von der Sie noch nie gehört haben – hofft Josef Winkler.

Letztens bin ich an so einem TV-Themenabend über die Modebrangsche hängen geblieben. Stundenlang Dokus über gestresste creative people in den Fäschnmetropolen, die irgendwelchen Deadlines hinterher- und sich an ihren individuell gepflegten Beinahe-Nervenzusammenbrüchen entlanghechelten – passte gut als Hintergrundrauschen zu meinem eigenen Deadlinegehechel am Laptop. Ständig gaben Interviewpartner mehr oder weniger gehaltvolle „Philosophien“ zum Wesen der Mode zum Besten, und irgendwann war da die Chefredakteurin der deutschen „Vogue“ und sprach: „Trends sind heute nicht mehr für die Ewigkeit gemacht.“ Und ich dachte bei mir: Da scheint aber jemand so RICHTIG sein Metier gedanklich durchdrungen zu haben – kann ja auch nicht schaden, wenn man’s beruflich macht. Seither versuche ich, mir analog behämmerte Nonsens-Weisheiten für Chefredakteure anderer Fachpublikationen auszudenken, aber ich komme auf nichts ansatzweise so kunstvoll Idiotisches. Sagt der Chef vom „Kicker“: „Fußball ist heute kein Brettspiel mehr, das man nur im Zoo riecht.“ Sagt der ME-Chef: „Popmusik ist heute nichts mehr, das man rektal zu sich nimmt.“ Hm. Naa. Egal.

Aber apropos „für die Ewigkeit gemacht“. Da würde ja wohl nicht nur die „Vogue“-Chefin beipflichten, wenn man behauptete, dass auch Situationskomik heute nicht mehr für die Ewigkeit gemacht ist. War sie früher ja auch schon nicht – sieht man von jenen raren Einzelfällen ab, in denen beim Entstehen resp. der gezielten Inszenierung von Situationskomik ein Aufzeichnungsgerät dabei war, die Komik sich dann auch erfolgreich auf das Speichermedium „transportierte“ und also der Nachwelt wenn schon nicht ewig, so doch für eine gewisse Zeit erhalten und im besten Fall vermittelbar blieb.

Und hier muss ich Bezug nehmen auf den „Flurfunk“ im April-ME. Darin kommt im Zusammenhang mit unserem neuen Chefredakteur Severin Mevissen eine „krasse Geschichte mit Cibo Matto“ zur Sprache, „von der der Kollege Winkler immer redet“. Ich war erstaunt, dies zu lesen, fiel mir doch spontan keine „krasse Geschichte mit Cibo Matto“ ein, von der ich immer rede, ja: jemals geredet hätte. Doch dann purzelte eine Erinnerung aus meinem Kopf, die ich hiermit gerne ergänzend bzw. korrigierend nachreichen möchte. Ich warne vor: Die Geschichte ist in keinster Weise krass, sondern bestenfalls lustig. Es ist nicht einmal eine Geschichte im eigentlichen Sinn, eher ein Partikel Situationskomik.

Also: Frühsommer 1996. Unser damaliger US-Korrespondent Severin Mevissen ist in der Redaktion in München zu Besuch, blättert durch die druckfrische neue Ausgabe, findet den Text über die Band Cibo Matto, den er geschrieben hat, liest, hebt dann den Kopf und fragt baff: „Warum heiß ich hier Lulu Eetgood?“ Wie sich herausstellte, hatte den damaligen Chefredakteur der Schalk in den Nacken gebissen, und er hatte Severin kurzerhand ein „witziges“ Pseudonym verpasst, das ihm passend schien zu dem Namen der Band, der irgendwas mit Essen zu tun hatte (Kunstkonzept, fragen Sie nicht). Der Gag besteht also darin, dass ein ME-Autor in einen Raum voller ME-Redakteure hinein die aus seiner Sicht berechtigte, doch hinreichend bizarre Frage stellt: „Warum heiß ich hier Lulu Eetgood?“ Und keiner rafft, wovon er spricht, aber alle finden es lustig – in diesem Moment. Situationskomik eben.

Dass ihm dann durch mangelhafte Kolportage eine Überhöhung zum Mythos einer „krassen Geschichte“ widerfahren würde, die 16 Jahre später in zwei ME-Ausgaben in Folge thematisiert wird, hätte sich dieser Gag wohl nicht träumen lassen und ist freilich hart für denjenigen Leser, den dieses ganze Insider-Joke-Gewäsch aus dem vorletzten Jahrzehnt einen feuchten Schmuh interessiert, also unter Umständen: Sie. Schlimm?

P.S.: Was für krasse Geschichten Severin in New York unter Umständen tatsächlich mit Cibo Matto erlebt haben mag, steht übrigens auf einem ganz anderen Blatt. Mal sehen, ob wir das noch finden.