Der gute Geist von Tutzing


FOTOS: PAUL EHRENREICH

Der einsame Wolf entdeckt seine soziale Ader. Seinen Studiokomplex am Starnberger See möchte Peter Maffay nicht nur um ein eigenes Label erweitern, sondern auch zur kreativen Keimzelle für junge Musiker umfunktionieren. ME/Sounds-Mitarbeiter Michael van Almsick besuchte den Familienbetrieb.

Ich kann nicht so gut singen wie einige Sänger, die ich kenne. Ich kann auch nicht so gut Gitarre spielen wie viele Gitarristen, die ich kenne. Aber ich kann eines: Ich kann die Menschen zusammenbringen, sie mit einer Idee vertraut machen und einen roten Faden erzeugen. Darin sehe ich auch in der Zukunft meine Aufgabe.“

Also sprach Peter Maffay und schuf als erster deutscher Megastar das, was bei seinen angelsächsischen Kollegen längst zum guten Ton gehört: ein eigenes Label. Ob Prince, Dave Stewart oder Peter Gabriel — sie alle richteten sich längst großzügige Kreativzentren ein, unabhängig von den büro- ¿

kratisierten Konzernen, wo meist die Buchhalter entscheiden, was gute und was schlechte Musik ist.

„Ich arbeite gerne morgens“, beschreibt der frischgebackene Mini-Tycoon seinen Regeltag. „£.v ist wichtig für mich, um acht Uhr zu beginnen, Briefe zu schreiben und nachzudenken, wie man den Tag gestaltet. Um Zehn, wenn ich annehme, daß die normalen Büros besetzt sind, bin ich —gerade wenn eine neue Scheibe von mir herauskommt — voller Fragen: Was passiert mit dem Cover? Läuft alles planmäßig? Wenn dann niemand erreichbar ist, werde ich zum Berserker. „

Ähnlich deprimierende Erfahrungen wollte er vor allem Newcomern ersparen. Also griff Maffay gleich in die vollen, besorgte sich einen Koffer Geld, gründete mit BMG Ariola die gemeinsame Tochter Red Rooster Records und kürte den ehemaligen A&R-Chef der RCA, Franz von Auersperg, zum Geschäftsführer.

Ein Sprung ins kalte Wasser ist das eigene Label trotzdem nicht. In den letzten zehn Jahren hatte sich Maffay bereits fast eine kleine Siedlung an den Hängen des Starnberger Sees zusammengekauft. Sie enthielt schon alle wesentliche Bestandteile der künftigen Musikfabrik: Chefbüro, Management, Verlag, drei Studios. „Ich arbeite schon lange an dieser Idee. Wenn wir weiter expandieren wollten, hätten auch noch Bereiche wie Grafik und Konzertagentur in dem Laden Platz. Mit dieser Konstellation könnten wir noch mehr durchsetzen.“

Vorläufig aber ist sein ganzer Stolz das neue Studio 1, das für rund 5,5 Millionen Mark so ziemlich alles beherbergt, was ein Musikerherz höher schlagen läßt — fünf Appartments für müde Häupter und Catering inklusive. Den Strom für diesen Trakt möchte Maffay am liebsten mit Sonnenenergie erzeugen.

„Ich habe auf dem Gebäude einige hundert Quadratmeter ebene Fläche — ideale Voraussetzungen also.“ Doch sein ökologischer Vorstoß führte im beschaulichen Tutzing zu einer hitzigen Diskussion, ob derart revolutionäre Schritte mit der königlich-bayrischen Landschaftsgestaltung zu vereinbaren seien.

„Das ist doch Schwachsinn!“, fährt er aus der Haut. Denn ließe man ihm freie Hand, wäre sein Studio vermutlich vom Stromnetz völlig unabhängig. „Aber dann würden die Isar-Amper-Werke an mir keine müde Mark mehr verdienen. Deshalb hat man meine Anfrage wohl kurzerhand abgeschmettert. „

Ein finanzielles Abenteuer geht Maffay mit seinem Label trotzdem nicht ein. „Nur wenige, spezialisierte Studios“, ist er überzeugt, „haben überhaupt eine Oberlebenschance. “ Und zwar Soundwerkstätten, die in einem sich ergänzenden Verbund arbeiten, in dem die höllisch teuren Produktionsvorgänge mit den — potentiell — überaus profitablen Lizenzund Verlagsaspekten kombiniert werden können. „Wer ein Label außaut, dort Künstler scoutet, sie bei einer Vertriebsfirma unterbringt, sie mit seinen Produktionsmitteln produziert bis ein fertiger Tonträger vorliegt, diesen dann konsequent promotet und nachher sieht, wie dieser Künstler auf der Bühne tolle Auftritte absolviert — der hat diesen Kreis geschlossen. Erst in einer solch komplexen Struktur spielt ein Studio eine sinnvolle Rolle, weil man eben ganz anders kalkulieren kann.“

Damit seine Kalkulation auch aufgeht, schloß Maffay einen erstaunlich ausgeschlafenen Ehevertrag mit BMG Ariola: Er brachte seine Studios in die gemeinsame Red Rooster-Tochter ein, während BMG mindestens bis 1995 für jährlich 1.5 Millionen Mark an Gehältern und Produktionskosten geradestehen wird. Auf der anderen Seite — und das ist Maffays Mitgift — brachte die Vermietung der Studios bisher (bei einer Auslastung von 50 Prozent) jährlich rund 1,5 Millionen in die Kasse. Auch über diese Einnahmequelle verfügt nun künftig Red Rooster Records. Wird eine mehr als 50prozentige Auslastung erreicht, kommt das beiden Vertragspartnern gleichermaßen zugute. „Mein persönlicher Beitrag liegt in einer solch drastischen Reduktion der Studiopreise, wie sie ein anderes Studio gar nicht anbieten könnte, ohne dabei bankrott zu gehen.“ Unkreative Dinge, wie etwa die lästigen Vertriebsprobleme, überläßt er liebend gerne BMG.

Die Vorteile für ihn liegen auf der Hand: „Es ist einerseits die Ambition, zu einer besseren Produktionsform zu kommen. Wir brauchen aber auch einfach einen gewissen menschlichen Austausch, wenn wir uns den Spaß an der Arbeit erhalten wollen. Jedesmal, wenn ich anfing, mich zurückzuziehen, wurde ich tmkommunikativ, produzierte keine Hooks mehr. Aber jetzt tauschen sich etliche Leute mehr als früher aus. Hier wird eigentlich dauernd irgendetwas produziert. Ob man nun etwas entwickelt mit jemandem, der überhaupt noch nicht bekannt ist.

oder ob man Filmmusik bearbeitet: Es sind immer irgendwelche Leute um einen herum. Für mich fällt allein dadurch schon etwas ab. „

Was aber nichts an der Tatsache ändert, daß er auch in Zukunft seine eigene Musik im Studio selbst umsetzen wird. „Meine Sachen zu produzieren, ist nach wie vor eine lustvolle Angelegenheit. “ Einen anderen Musiker zu produzieren ist für ihn zu gefährlich: „Ich bin nicht der geborenem Produzent, ich besitze nicht die Gabe, einen anderen sich entwickeln zu lassen und ihn nur an der langen Leine zu fiihren. Dafür bin ich einfach viel zu besitzergreifend. Wenn ich mit jemand anderem in einem Raum sitze, dann will ich es so machen, wie ich es will. Das muß für meinen Gegenüber aber keineswegs der richtige Weg sein.“

Die Chancen stehen trotzdem nicht schlecht, daß sich Red Rooster Records zu einem florierenden Label entwickelt. Annabel Lamb hat unterschrieben, Mark Knopfler-Intimus Roland Brent arbeitet schon heftig mit Jung-Rocker Christian Wolf, ein Soundtrack mit Rainhard Fendrich und Campino bahnt sich gerade an. „Klaus Voormann“ (der „fünfte Beatle“ und spätere Trio-Produzent) steht zwar auch auf dem Klingeldisplay des Hausherrn, konspirative Absichten bestreitet man aber heftig.

Maffays Rolle bei Red Rooster Records ist letztlich die eines Frühstücksdirektors. „Franz entscheidet autark. Wenn er mir aber Bänder vorspielt und mich bittet, aus der Hüfte heraus zu sagen, was ich davon halte, also Dinge zu analysieren, interessiert mich das natürlich doch. Es ist ein bißchen so wie Schachspielen: Welchen Zug mache ich, um ans Ziel zu kommen.“

In diesem Punkt legt der 42jähnge freilich auch mehr als zwei Dekaden an Erfahrung in die Waagschale. Seit 1979 wird jede Scheibe von Maffay Platin, das heißt, sie verkauft mehr als 500.000 Exemplare, manchmal sogar zwei Millionen. Der Erfolg war vermutlich nur möglich, weil der Musiker Maffay und der Mensch Maffay in ihrer öffentlichen Erscheinung dekkungsgleich waren. Gerade in Deutschland sind Künstler wenig gewillt, sich in die Karten schauen zu lassen, und würden lieber vertuschen, wieviel Organisation hinter einer ¿

Plattenproduktion, einer Tournee oder auch nur einem Fernsehauftritt steckt. „Prince hat mit Paisley Park ein riesengroßes unternehmen und macht trotzdem gute Musik. Es steht auch nirgends geschrieben, daß man Musik und Geschäft nicht miteinander verbinden kann. Ich weiß zum Beispiel, daß Grönemeyer versorgt wird aus einem bis zu 20köpfigen Team. Ähnlich ist es mit Marius. Wolfgang Niedecken tippt sicher nur seine ganz persönlichen Briefe selbst.“

Daß hinter einem erfolgreichen Musiker auch effiziente Verwaltungsstrukturen stehen müssen, wird gerne verheimlicht. „Es ist falsch, das der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Wenn ich mich anders draußen darstelle, fange ich doch schon an, Theater zu spielen. Dann mime ich nur Rock V Roll, und das ist so ziemlich die billigste Nummer, die es gibt. No way!“

Obwohl Maffay vergleichsweise offen mit Öffentlichkeit umgeht, fühlt er sich doch häufig miverstanden. „Manche Journalisten haben einen fiir mich unerklärbaren Hang zum Simplifizieren. Sie wollen wohl vorsätzlich bei einem Bild bleiben und — ähnlich wie ein schlechter Produzent — besitzen nicht die Gabe. Dinge in ihrer tatsächlichen Entwicklung zu beschreiben. Menschen verändern sich zum Glück, und selbst wenn sie sich zum Negativen verändern, ist Veränderung immer noch Bewegung. Und ich nehme fiir mich, in Anspruch, daß ich mich noch bewege. Es ist für mich ziemlich normal, auch Überlegungen geschäftlicher Natur als festen Bestandteil meines Lebens zu akzeptieren. „

Sein durchaus emanzipierter Geschäftssinn verstellt dem gebürtigen Siebenbürgener keineswegs den Blick für aktuelle politische Brennpunkte. „Ich bin ein emigrierter Mensch, komme aus einem ganz anderen Land und habe hier eine große Gastfreundschaft erfahren dürfen. Ich habe hier eine Chance bekommen, wie man sie fast gar nicht bekommen kann. Daher betrachte ich es als meine Aufgabe, dieser Gesellschaft auch wieder etwas zurückzugeben. „

Dies geschieht seit geraumer Zeit in Form von sechsstelligen Spenden für diverse karitative Einrichtungen — ein Thema, das Maffay bislang nie an die große Glocke gehängt hat. Finanziert wird dieses Engagement direkt aus seiner Privatschatulle, aber auch aus Mitteln, die er erhält, wenn etwa ein Tabakkonzern Probepakkungen mit Zigaretten bei seinen Konzerten verteilen darf.

Auf eine mögliche moralische Zweischneidigkeit dieser Einnahmequelle angesprochen, platzt ihm der Kragen. „Langsam verliere ich wirklich die Lust, länger zu schweigen. Wir hüben in den letzten Jahren jedes Jahr rund 500.000 Mark Charity erzeugt. Das möchte ich doch gerne einmal bei den anderen sehen. Die Herren Seh werverdiener, die es außer mir noch gibt, sollen doch einmal die Karten auf den Tisch legen.“

Einmai in Fahrt, bekommt auch die Presse gleich noch ihr Fett ab. „Wie hoch ist denn der Anteil an Werbung der Tabakindustrie beim Stern, Spiegel oder ME/Sounds ?“

Ähnlich verstimmt reagiert er zunächst auf die Frage, ob er seine Karriere nicht gefährde, wenn der geliebte Rocker in den Köpfen seiner Fans durch den bestenfalls gefühlsneutralen Geschäftsmann ersetzt würde. Doch noch bevor er antwortet, entspannen sich seine Gesichtszüge, und mit fester, aber schon fast freundlicher Stimme entgegnet er: „Darf ich eines klarstellen: Ich muß keine Karriere mehr machen! Ich habe 23 Jahre lang eine gemacht, und ich finde, es ist an der Zeit, etwas Sinnvolles zu tun. Das heißt nicht, daß ich weniger intensiv lebe. Aber es verletzt mich nicht mehr, wenn mich einer mit sportlichen Mitteln überholt. Ich kann ihm gelassen attestieren, daß er einfach besser ist. Und es tut mir nicht mal mehr weh. „

Zweifellos, Maffay hat sich verändert in den letzten Jahren, ist weniger verkrampft und deutlich souveräner geworden. Das Verhältnis zu seinen Musikern bedeutete ihm schon immer viel — „mit Frank Diez bin ich schon 18 Jahre zusammen, keine Frau hat es mit mir so lange ausgehalten“—, aber früher profilierte er sich gelegentlich eben auch auf deren Kosten und gab stets seinen eigenen Ideen den Vorzug. Das kommende Album“.Freunde und Propheten“ hingegen enthält diesmal deutlich mehr Songs seiner Mitstreiter als in der Vergangenheit. „Es gibt einen Grund, warum diese LP auch .Freunde‘ heißt: Bertram Engel, Carl Carlton und Pascal Kravetz sollen zum Zuge kommen. Was sie empfinden und was ich empfinde ist inzwischen streckenweise absolut identisch. Wir sind ein alter Sackladen, und es ¿it meine Aufgabe, ihn zusammenzuhalten. Das ist viel wichtiger, als daß wir mit der nächsten Scheibe wieder die Summer 1 werden. „

Die Frage des Charterfolges überläßt Maffay ab nächstem Jahr ganz der BMG Ariola. Sein getrübtes Verhältnis zu East West, seiner derzeitigen Plattenfirma, war in der Branche schon lange kein Geheimnis mehr, eskalierte aber mit Erscheinen des letzten Albums „38317“. „Es war die bodenloseste Kampagne, die ich je erlebt habe“, lautet sein Urteil. Rege Aktivitäten der Anwälte waren die Folge.

„was der Platte natürlich überhaupt nichts gebracht hat.“ Die Garantiesumme von 1,87 Millionen, die er künftig pro Album erhält, hätte er wohl auch von East West bekommen. Bemerkenswert hingegen, zumindest für Deutschland, sind die Zusatzvereinbarungen, die er mit BMG verabredet hat: „Ich bin nämlich gar nicht verpflichtet, überhaupt Material zu produzieren. Dann werde ich natürlich nicht bezahlt. Andererseits habe ich aber auch die Möglicheit, innerhalb von vier Jahren bis zu drei Platten abzuliefern. Ich wollte eine derartige Regelung immer schon haben. Das funktioniert aber nur, wenn man sich gegenseitig absolut vertraut.“