Der Ganz Normale Wahnsinn
Das englische Label Wall Of Sound feiert verrückte Erfolge
Mit einer Mischung aus HipHop, Rock, Jazz und Techno macht in diesen Tagen das Londoner Label Wall Of Sound von sich reden. Die Propellerheads, The Wiseguys oder auch die Dirty Beatniks, allesamt Bands der kleinen britischen Firma, werden schon jetzt von großen Plattenfirmen heftig umworben.
„Wir machen Zukunftsmusik. Nur so kann ich das nennen“, verkündet Wall Of Sound-Chef Mark )ones (32) nicht ohne Stolz, wenn er an die Platten denkt, die er und sein Kollege Mark Lessner (35) auf ihrem Label herausbringen. Zwar soll der Name ihrer Firma an die Klangschöpfungen des legendären Produzenten Phil Spector erinnern, der im Studio wahre Soundwälle errichtete. Doch hat Jones nichts dagegen, wenn seine Platten im Laden plötzlich im TripHop-Regal auftauchen. „Irgendwo müssen die Dinger ja stehen“, meint Jones müde lächelnd. Man kann ihn verstehen. Denn was die unterschiedlichen Wall Of Sound-Bands miteinander verbindet, ist einzig die Verwendung von Breakbeats. Dieses durchgehende schwarze Element auf den Veröffentlichungen des W.O.S.-Labels hat seinen Ursprung in der Vorliebe der beiden Firmenchefs für amerikanischen HipHop. Da sie in England aber keine Rapper fanden, wie man sie aus Brooklyn oder Compton kennt, entschlossen sich Jones und Lessner, neue Wege zu gehen.
Wie groß daß Angebot an aufregenden neuen Klängen ist, die zunächst niemand haben möchte, war Jones schon bei einem seiner früheren Arbeitgeber aufgefallen. Die Londoner Vertriebsfirma Soul Trader plaziert vor allem amerikanischen Rhythm’n’Blues und eben Hip-Hop in den Läden. An Soul Trader wandten sich aber auch immer wieder innovative Neutöner mit noch innovativeren Klangkonserven. „Was also lag näher, als eine Plattenfirma zu gründen, die keine Scheu hatte, diese Sachen auf den Markt zu bringen?“ erinnert Jones sich im nachhinein. Gesagt getan. Bereits 1993 erschienen Maxis von E-Klektik, Mekon und Akasha, die schon alle mit den späteren Markenzeichen von Wall Of Sound aufwarteten – mit heftigen Breakbeats eben und markanten Sequencer-Figuren. Als dann 1994 Labels wie Mo‘ Wax und Ninja Tune von sich reden machten, erschien die erste Wall Of Sound-Compilation (‚Give ‚Em Enough Dope‘) und etablierte die Firma neben den beiden genannten Unternehmen als dritte Kraft der TripHop-Bewegung.
Anders als die eher esoterisch angehauchte Konkurrenz blieb die W.O.S.-Mannschaft aber der härteren Gangart verpflichtet. Mit Musik von Kruder und Dorfmeister, Portishead, Howie B und dem Drum N‘ Bass-Pionier T-Power wiesen von Wall Of Sound zusammengestellte Compilations zu einem frühen Zeitpunkt in die musikalische Zukunft. Von da an wurden Jones und Lessner mit Demos aus ganz Europa überschwemmt. „Wir wußten nicht, wer an unserer Musik Interesse haben könnte“, erinnert sich zum Beispiel Rory Carlile von den Dirty Beatniks aus London, „aber als wir die ‚Dope‘-Compilation hörten, wußten wir, daß wir uns mit Wall Of Sound in Verbindung setzen mußten.“
Inzwischen bietet W.O.S nicht nur Compilations und Maxis an, sondern auch komplette Alben von Acts wie Rootless oder den Rythmes Digitales des Franzosen Jacques LuCont. „Ein völlig Wahnsinniger, der erst vor kurzem aus der Heilanstalt entlassen worden ist“, erzählt Mark Jones nicht ganz ohne Selbstironie, „genau die richtige Voraussetzung, um von unserem Label unter Vertrag genommen zu werden.“
Bei aller Verrücktheit ist den Wall Of Sound-Leuten der Erfolg bisher treu geblieben. Eine Bezeichnung für das, was der geneigte Hörer beim Kauf ihrer Platten bekommt, hat die englische Musikpresse inzwischen auch gefunden: British Beats. Ein Begriff, der für das weite Feld zwischen Rock und Techno steht, und in dem sich unter anderem die Chemical Brothers (s. Seite 49), Death In Vegas oder auch andere Acts erfolgreich tummeln. So verwendete etwa der renommierte Turnschuh-Hersteller ‚Adidas‘ die schwungvolle Single ‚Dive‘ von den Propellerheads für einen seiner publikumsträchtigen Werbespots.
Die Bands der Firma Wall Of Sound stehen für den jüngsten Trend auf der Insel: British Beats.