Der flotte Dreier


„Ich wünsche ihnen viel Glück!“ Mike Rutherford spricht über Marillion und das seltsame Phänomen, daß Fish und seine Mannen heute mit genau dem Sound und Stil ihre Hits landen, der seiner eigenen Band GENESIS in ihrer Anfangszeit vor 18 Jahren kaum genug fürs tägliche Brot einbrachte. „Marillion sind sicherlich dufte Typen, ich freue mich für sie. Und obendrein hören sie sich auch recht proper an. „

Obwohl ich mir sicher bin, daß er das auch gesagt hätte, wenn er Marillion für einen Haufen unsympathischer, unmusikalischer Trottel hielte -— Rutherford ist ein Engländer aus dem Bilderbuch, die Verkörperung der englischen Tugenden Höflichkeit. Fairness und Sportsgeist, das perfekte Produkt gediegener Privatschulerziehung — kann er es sich in jedem Fall leisten, so locker die Lorbeeren zu verteilen: Sein drittes Soloprojekt (unter dem Namen Mike And The Mechanics) hat ihm in den Staaten einigen Erfolg beschieden und bewiesen, daß Phil Collins nicht das einzige Genesis-Mitglied ist, das gut auf eigenen Füßen stehen kann. Zudem steht ein neues Genesis-Album ins Haus — und die laufen schließlich seit 1980 auch nicht gerade schlecht.

„Das neue Album heißt INVISIBLE TOUCH und sollte seit Anfang Juni auf dem Markt sein. Es enthält alte und neue Genesis-Elemente, auf jeder Seite gibt es einige kürzere Songs, aber auch jeweils ein 10-Minuten-Stück mit Schwerpunkt auf einem Instrument. „

Also der pompöse, üppige Genesis-Sound …

… den sich viele unserer alten Fans wünschen, allerdings zeitgemäß aufpoliert. Wir klingen keinesfalls wie unsere eigene Karikatur!“

Rutherford steht voll und ganz hinter Genesis. Als ich ihn frage, ob er oder insbesondere Phil bei einem gemeinsamen Projekt nicht ma] mit dem Gedanken spiele, gewisse Ideen oder Songs für ihre Soloalben zurückzuhalten, antwortete er mir: „Genesis ist etwas ganz anderes -— Genesis ist größer als die Summe ihrer Teile. Ich glaube, manchmal wird vergessen, daß wir zusammen Musik produzieren, die keiner von uns jemals im Alleingang zustande bringen könnte. Hör mal in unser neues Album rein und dann in einige unserer Soloplatten – und du weißt, wovon ich spreche! Genesis ist etwas Besonderes!“

Ab einem gewissen Punkt, spätestens bei Live Aid, hatte sich Phil Collins zum überdimensionalen Superstar gemausert. Mußten ihn jetzt die anderen nicht erst überreden, wieder bei Genesis die Trommelstöcke zu schwingen? Oder, da er sich ja offensichtlich dazu entschlossen hatte, mußten sie da nicht wenigstens hie und da sein Ego etwas in seine Grenzen weisen?

„Wir hatten immer eine Maxime: Wenn jemand gehen möchte, soll er’s tun — kein Vertrag wird ihn gegen seinen Willen binden. Ich habe in dieser Beziehung wahre Horrorgeschichten von anderen Bands gehört und bin der Meinung, daß man nicht aus den falschen Gründen zusammenbleiben sollte. Bei uns gibt es keine ‚moralischen‘ Verpflichtungen, wir sind schließlich alle sehr gut mit Genesis gefahren. Das letzte, was wir uns wünschten, wäre, daß Phil mitmacht, weil er sich verpflichtet fühlt! Aber das sähe ihm sowieso nicht ähnlich.

Ich kann’s manchmal kaum glauben, wie wenig er sich eigentlich geändert hat. Die Arbeit mit Mike And The Mechanics war für mich schon eine gehörige zusätzliche Belastung, also muß es doch für ihn, der praktisch erreicht hat, was man erreichen kann, ganz ungeheuerlich sein. Trotzdem: , Ego‘ scheint ein Fremdwort für ihn zu sein.

Er führt allerdings kein allzu ausgeprägtes Familienleben, ist frisch verheiratet, seine Kinder sind mit seiner Ex-Frau im Ausland —- also hat er’s in dieser Hinsicht schon etwas leichter. Ich dagegen führe ein sehr aktives Familienleben. Aber ich habe trotzdem keine Ahnung, wie Phil das alles unter einen Hut kriegt!“

Rutherford selbst bereitet sich gerade auf eine Mechanics-Tour durch die Vereinigten Staaten und Kanada vor. Sechs Wochen Pause, dann weiter mit Genesis. Er ist nicht gerade begeistert davon, das geruhsame Leben mit Frau. Kindern und Pferden für einige Zeit gegen den Rock ’n‘ Roll-Lifestyle einzutauschen, von dem er offensichtlich nicht allzu viel hält. Aber er scheint durchaus erfreut darüber, daß er noch immer in seinem „Traumjob arbeiten kann und dabei genug Geld verdiene, um all das tun zu können, was Spaß macht. Ich muß zugeben, daß es langsam ein bißchen verrückt wird, aber Tatsache ist, daß es mit Genesis weiter gewaltig abgeht: da ist nicht dran zu rütteln. Ich sage mir immer wieder, daß es irgendwann ja mal ruhiger um uns werden muß.“

Kommt es ihm nicht manchmal wie ein kleines Wunder vor, daß jetzt — nach langen Jahren, in denen Genesis nur eine Kult-Band war — alle Aktivitäten ihrer Mitglieder (selbst die von Marillion) absolut hitverdächtig sind?

„Nein, ein Wunder ist das bestimmt nicht. Wir haben schließlich hart gearbeitet!“